Streit ums Sparen
Konflikt spitzt sich zu – das kann Ampel jetzt kippen
Die Ampel steht vor einer entscheidenden Woche. Mit einer Einigung zum Budget steht und fällt die Koalition. Verhandler sehen die Chancen schwinden.
"Es sah schon besser aus für die Ampel", fasst ÖVP-Chefverhandler Harald Mahrer die Stimmung in den Koalitionsverhandlungen im "Heute"-Interview zusammen. In der Tat: Zwar haben die Verhandlungs-Untergruppen mit Beendigung ihrer Tätigkeit Ende der Woche Einigung in zahlreichen Punkten erzielt (die Rede ist von mehr als 50 %) – aber in der zentralen Frage des Staatshaushalts und seiner Sanierung eskaliert der Streit zwischen ÖVP und SPÖ zusehends.
Fakt ist: Das Budgetloch ufert aus. Erst am Freitag schlug die Nationalbank Alarm – deren Experten sehen die Entwicklung der österreichischen Wirtschaft in ihrer neuesten Prognose noch düsterer als zuletzt und rechnen mit einer noch höheren Neuverschuldung des Staats. Konkret wird für 2025 ein Defizit von 4,1 % der Wirtschaftsleistung (BIP) erwartet. Für 2024 kalkulieren die Wirtschaftsforscher der Nationalbank mit 3,7 %.
Damit schwebt über Österreichs Bevölkerung ein harter Sparkurs. Denn die EU wird uns das nicht durchgehen lassen. Die Brüsseler Grenzwerte liegen bei 3,0 % Defizit und einer Staatsschuldenquote von 60 % (Österreich ist bei rund 80 %).
Budgetplan bis Mitte Jänner
Tatsächlich droht uns die EU bereits mit der Einleitung eines Defizitverfahrens. Bis Mitte Jänner (die Frist wurde wegen der laufenden Regierungsbildung bereits erstreckt) muss Österreich in Brüssel einen Plan vorlegen, wie man das Schuldendesaster in den Griff bekommen und 2025 die EU-Defizitregeln erfüllen will.
Kommt aus Österreich nichts, entscheidet die EU allein, ob sie uns ein Defizitverfahren aufbrummt oder nicht.
Streitpunkt EU-Defizitverfahren
Das EU-Verfahren ist einer der wesentlichen Streitpunkte der Ampel-Verhandler. Die Fronten zwischen der SPÖ – die dafür plädiert, ein solches Defizitverfahren zu riskieren – sowie ÖVP und Neos, die ein EU-Verfahren vermeiden wolle, verhärten sich.
Hintergrund ist der Konflikt um Sparkurs und Budgetsanierung. Die ÖVP will die Staatsfinanzen allein durchs Kappen der Ausgaben in den Griff bekommen. Die SPÖ fordert auch einnahmenseitige Maßnahmen, also neue oder höhere Steuern.
ÖVP sieht bei Steuern rot
Die Roten seien in "Retro-Ideologie" gefangen, wenn sie von einer "Reichensteuer" sprechen würden, sei das ein "PR-Gag" und würde letztlich darauf abzielen, allen etwas wegzunehmen", attackiert VP-Verhandler Mahrer gegenüber "Heute" die SPÖ scharf. Auch von SP-Verhandlern in die Diskussion geworfene zusätzliche "Sündensteuern" (auf Tabak, Alkohol und Zucker) oder einer "Maschinensteuer" sind für die ÖVP-Seite kein Thema.
Warum rund um den Budgetstreit in der Ampel das EU-Defizitverfahren ein Knackpunkt ist, erläutert Ökonom Hanno Lorenz vom ThinkTank Agenda Austria im Gespräch mit "Heute".
Spardruck wird geringer
"Ein Defizitverfahren bedeutet, dass der Spardruck geringer ist, weil die Budgetsanierung über einen längeren Zeitraum erstreckt werden kann", so Lorenz. Konkret sind dafür fünf bis sieben Jahre Zeit. Österreich stünde dann unter strenger Kontrolle der EU, müsste die Budgetmaßnahmen mit Brüssel abstimmen, sprich genehmigen lassen.
„EU-Defizitverfahren ist kein gutes Signal für Gläubiger und den Wirtschaftsstandort“
Ohne das EU-Verfahren müsste Österreich hingegen einen realistischen Plan nach Brüssel liefern, wie das Defizit schon 2025 auf unter 3 % gedrückt werden soll.
Was würde ein Defizitverfahren konkret für Österreich bedeuten? "Es ist nicht das Ende der Welt, aber in gewisser Weise rufschädigend – kein gutes Signal für Gläubiger und den Wirtschaftsstandort", sagt Lorenz. Denn Österreich würde damit offiziell zum Budgetsünder, also nicht unbedingt attraktiv für Investitionen.
Außerdem sei mit einem Defizitverfahren das Schuldenproblem nicht gelöst, sondern werde in die Zukunft verschoben, so der Experte. Es sei möglich, nächstes Jahr so viel einzusparen, dass wir die EU-Defizitregeln erfüllen und das Verfahren vermeiden können, sagt Lorenz: "Das Geld ist da, wir müssen nur aufhören, es auszugeben." Die Agenda Austria sieht auf der Ausgabenseite ein Einsparpotenzial von knapp 11 Mrd. Euro für nächstes Jahr.
ÖVP und Neos dagegen, SPÖ dafür
Die ÖVP will jedenfalls alles tun, um ein Defizitverfahren abzuwenden. Das bekräftigte zuletzt der neue Interims-Finanzminister Gunter Mayr. Auch die Neos wollen das Verfahren nicht: "Das kann nicht das politische Ziel sein", heißt es aus der Partei zu "Heute". Dieser Punkt werde nächste Woche auf der Verhandlungsagenda stehen.
Die SPÖ wiederum sieht im EU-Defizitverfahren eine Chance. "Wir brauchen das, ohne geht es nicht, das sollten endlich alle einsehen", sagte ein hochrangiger roter Regierungsverhandler schon vergangene Woche zu "Heute".
„Defizitverfahren bringt wesentliche Erleichterungen im Konsolidierungsprozess“
Am Donnerstag sprang Andreas Schieder, SPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament und ebenfalls roter Ampel-Verhandler, für ein Defizitverfahren in die Bresche – mit dem Argument, dass es "wesentliche Erleichterungen im Konsolidierungsprozess mit sich bringen würde" und die künftige Regierung dann mehr Geld – und zwar etliche Milliarden mehr – ausgeben könnte. Es wäre gescheit, sich bewusst in ein solches Verfahren zu begeben, denn das brächte mehr Spielraum für "wachstumsfördernde Investitionen", die auch die Wirtschaft ankurbeln könnte, so Schieder zur "Presse". Hintergrund ist, wie zuvor erwähnt, der längere Zeitraum, der in einem Defizitverfahren für die Budgetkonsolidierung zur Verfügung steht.
Die Ampel-Positionen liegen hier also weit auseinander. Mit einer Einigung über die Budgetsanierung steht und fällt die Ampel – zumindest darüber sind sich alle einig.
Entscheidende Woche
Wie die Chancen stehe, sich hier zusammenzuraufen, wird die nächste Woche weisen. Dann wird auf Chefebene verhandelt. Am Montag sollen auch endgültige Zahlen zum Budgetrahmen vorliegen. Schließlich stehen auch bereits erzielte Einigungen in vielen Bereichen – etwa bei Migrations-, Gesundheits-, Frauenthemen – letztlich im luftleeren Raum, denn bisher wurde ohne budgetäre Vorgaben verhandelt. Jetzt muss allen Vorhaben noch der Kostenpunkt zugeordnet werden.
„In der kommenden Woche geht es darum, das Versprechen 'Kein Weiter wie bisher' mit Leben zu erfüllen“
Ampel-Chancen
Im Vorfeld der entscheidenden Verhandlungswoche werden die Erwartungen jedenfalls tiefer gehängt. Hatten Verhandler wie ÖVP-General Christian Stocker die Chancen für ein Zustandekommen der Ampel bis vor Kurzem noch bei 50:50 gesehen, schlägt das Pendel jetzt nach unten aus. "Die Chance, dass es was wird, ist für mich jetzt deutlich unter 50 Prozent gesunken", sagt ein Top-Verhandler "Heute".
Neos-Verhandler Sepp Schellhorn bezifferte die Chance auf ein Zustandekommen der Dreierkoalition im ORF-"Report" zuletzt sogar auf nur noch 25 Prozent. Gegenüber den "Salzburger Nachrichten" begründete er das damit, dass die von den Pinken angestrebten großen Reformen bei ÖVP und SPÖ nicht erkennbar seien.
Reformen
Für die Neos ist ein umfassendes Reformpaket Bedingung: "In der kommenden Woche geht es darum, das Versprechen "Kein Weiter wie bisher" mit Leben zu erfüllen, Ambitionen zu zeigen und Visionen umzusetzen", schrieb Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger am Freitag auf Instagram.
Spannend wird, ob schon nächste Woche tatsächlich eine Entscheidung fällt, ob die Ampel weiterverhandelt wird oder ihr das Licht ausgeht, bevor sie überhaupt eingeschaltet wurde.
Diese aktuellen Storys solltest du heute lesen
Derzeit im Fokus der Userinnen und User von Heute.at im Ressort "Nachrichten" ist die aktuell meistgelesene Story "". Ist dir etwas aufgefallen oder hast du einen Input für uns, dann schreib uns ein Mail.
Auf den Punkt gebracht
- Die Koalitionsverhandlungen der Ampel stehen vor einer entscheidenden Woche, da eine Einigung über das Budget die Zukunft der Koalition bestimmt.
- Während die ÖVP und Neos ein EU-Defizitverfahren vermeiden wollen, sieht die SPÖ darin eine Chance, was zu einem harten Konflikt um den Sparkurs und die Budgetsanierung führt.