Längst unerreichbar?
Klimaforscher knallhart: 1,5-Grad-Ziel ist "lächerlich"
Der Hut brennt: Die Pariser Klimaziele drohen laut dem Bericht des UNO-Umweltprogramms (UNEP) zu scheitern. Mojib Lativ findet dazu harte Worte.
Ohne globale Mobilisierung "in einem noch nie dagewesenen Ausmaß" sei das 1,5-Grad-Ziel "bald tot", stellte Exekutivdirektorin Inger Andersen zur Veröffentlichung zur klaffenden Emissionslücke im neuen UN-Report klar. Die aktuellen Versprechungen reichen bei Weitem nicht.
Um zu verhindern, dass diese Grenze überschritten wird, müssten sich die Staaten gemeinsam verpflichten, ihre jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2030 um beinharte 42 Prozent – und bis 2035 um unvorstellbare 57 Prozent – im Vergleich zu 2019 zu senken. Die Hauptarbeit entfällt dabei auf die G-20-Staaten, die im Vorjahr für mehr als drei Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich waren.
„Wir spielen mit dem Feuer, es gibt keine Zeit mehr zu verlieren. Entweder schließen [wir] die Emissionslücke, oder wir stürzen kopfüber in eine Klimakatastrophe, unter der die Ärmsten und Schwächsten am meisten leiden werden.“
Mojib Latif: 1,5-Grad-Ziel "lächerlich"
Geht es nach dem deutschen Klimaforscher Mojib Latif ist das fulminante Scheitern des 1,5-Grad-Ziels vorprogrammiert. "Ich finde es geradezu lächerlich, dass sich die Weltpolitik immer noch an dem 1,5-Grad-Ziel festhält", ärgert sich der Wissenschaftler am Dienstag im Gespräch mit den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Er verweist auf die aktuelle Lage: "Das ist de facto doch längst gerissen. Es hat daher etwas von Realitätsverweigerung, wenn man immer noch diesen Zielwert beschwört." Der September 2024 lag laut EU-Dienst Copernicus 1,54 Grad über dem vorindustriellen Niveau und war der 14. Monat in einem 15-monatigen Zeitraum, in dem die globale durchschnittliche Oberflächenlufttemperatur an bzw. jenseits des Pariser Klimaziels lag.
Latif ist überzeugt, dass es noch schlimmer wird: "Wir werden auch die Zwei-Grad-Marke reißen!" Die Erderhitzung in einem halbwegs passablen Rahmen zu halten, könne nur durch schnelle und drastische Maßnahmen, konstatiert er und stimmt damit mit der UN-Einschätzung überein.
Die bald wieder anstehende Klimakonferenz COP29 in Baku, Aserbaidschan, hält er allerdings vorrangig für einen Austausch viel heißer Luft. Die dort vorgelegten Klimaschutzpläne und Versprechen an Hilfsmittel für ärmere Länder hält der Deutsche für reine Symptombehandlung.
Den eigentlichen Zweck, die Treibhausgas-Emissionen deutlich zu senken, konnten die Konferenzen bisher nicht wirklich erfüllen: "Man kann sich auch tot verhandeln. Handeln statt verhandeln sollte das Motto sein", so der Klimaforscher kritisch.
Als einen von wenigen Lichtblicken sieht er aber, dass zumindest einmal im Jahr der öffentliche Blick der Welt auf das Thema Klima gelenkt werde. Dass dieses von scheinbar akuteren Krisen wie Teuerung und Ukraine-Krieg in Europa in den Hintergrund gedrängt wird und abgesehen von den Grünen von kaum einer Partei noch ernsthaft angesprochen wird, sei ein fatales Versäumnis.
"Das zeigt mir, dass das Thema immer noch nicht ernst genommen wird, obwohl die Anzeichen in Form von Extremwetter und Katastrophen sich ja ständig mehren", stellt Mojib Latif bedrückt fest.
Kein Ausweg?
Zwar gibt es technische Möglichkeiten wie Direct Air Capture and Storage (DACS), um bereits in die Atmosphäre gelangtes CO2 wieder zu binden, doch sind diese extrem teuer und bei Weitem nicht in genügender Kapazität in Betrieb.
Und: Auf natürliche Kohlenstoffsenken können wir uns mit zunehmender Erwärmung nicht mehr verlassen.
Zu dieser Erkenntnis kamen Schweizer Forscher am Ende eines mehrjährigen Experiments im März 2023. Mit steigender Erwärmung verliert Waldboden massiv an Humus und setzt Kohlenstoff wieder frei. Aus der ehemaligen CO2-Senke wird eine CO2-Schleuder – "Heute" berichtete.
Eine neue Studie zeigt nun genau das: Im Jahr 2023, dem bisher wärmsten Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, wurde der sich im Experiment abzeichnende Zusammenbruch der natürlichen Kohlenstoffsenken weltweit beobachtet werden: Wälder, Pflanzen und Böden haben netto kaum noch CO2 aufgenommen. Zu diesem Ergebnisse kam ein internationales Forscherteam bei seinen Berechnungen, die im "National Science Review" publiziert wurden.
Der Umschwung der natürlichen Ökosysteme kommt laut ihren Einschätzungen schon ab rund 1,2 bis 1,4 Grad Erwärmung über vorindustriellem Niveau – und damit deutlich früher als bisher gedacht. Die einzig sinnvolle Gegenmaßnahme bleibt also die Abkehr von fossiler Verbrennung.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Der Bericht des UNO-Umweltprogramms (UNEP) warnt, dass die Pariser Klimaziele ohne eine beispiellose globale Mobilisierung nicht erreicht werden können, und fordert drastische Reduktionen der Treibhausgasemissionen bis 2030 und 2035
- Der Klimaforscher Mojib Latif hält das 1,5-Grad-Ziel für unrealistisch und betont, dass nur schnelle und drastische Maßnahmen die Erderwärmung in einem akzeptablen Rahmen halten können, während technische Lösungen wie Direct Air Capture and Storage (DACS) derzeit nicht ausreichend sind