Führender Klimaforscher

"Wahrscheinlichkeit größer, dass wir scheitern werden"

Laut Hans Joachim Schellnhuber dampft die Welt mit Vollgas in die Klimakrise. Dennoch setzt er sich weiter vehement für nachhaltigen Klimaschutz ein.

Roman Palman
"Wahrscheinlichkeit größer, dass wir scheitern werden"
Hans Joachim Schellnhuber, Gründer und langjähriger Leiter des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), ist jetzt Generaldirektor des IIASA in Laxenburg bei Wien.
imago/photothek

Seine Arbeiten zu den Kippelementen des Klimas haben die Forschung maßgeblich geprägt. Mittlerweile 73 Jahre alt, wird der deutsche Wissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber aber nicht müde, sich weiter für einen weltweiten Klimaschutz einzusetzen.

Die aktuelle Entwicklung und die vielen neuen Negativrekorde im vergangenen Jahr seien allerdings "bestürzend", sagt der neue Generaldirektor des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien im Gespräch mit dem "Standard".

In der öffentlichen Aufmerksamkeit würden zwar Extremereignissen dominieren, doch viel dramatischer sei, was sich im Hintergrund abspielt. Laut Schellnhuber gibt es bereits "Anzeichen, dass sich das Klimasystem als Ganzes im Umbruch befinden könnte". Als Indiz nennt er den enormen Sprung bei der Durchschnittstemperatur der Ozeane, der zuletzt beobachtet wurde.

Schlafender Riese erwacht

"Wir Wissenschafter hoffen, dass es sich dabei nur um einen kurzfristigen Ausreißer handelt und das System sich wieder 'beruhigt'. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass der Riese aus noch nicht recht verstandenen Gründen jetzt erwacht und wir uns gerade in ein anderes Klimaregime bewegen."

Von einer Begrenzung der Erwärmung auf maximal 1,5 Grad spricht er schon gar nicht mehr. Mittlerweile sei zu befürchten, dass wir selbst über völkerrechtlich vereinbarte Zwei-Grad-Ziel hinausschießen werden. "Entscheidend wird aber sein, wie lange und wie steil sich das Überschießen vollzieht". Denn jenseits davon häufen sich kritische Kipppunkte, die jeder für sich enorm negative Auswirkungen nach sich ziehen würden.

Das ist eine der existenziellen Fragen, die heute die Forschung umtreiben.
Hans Joachim Schellnhuber
über das Klimasystem als "gereizter Riese"

Schafft es die internationale Staatengemeinschaft, die 2-Grad-Marke für maximal 30 bis 50 Jahre zu überschießen, so erklärt Schellnhuber, könnte es durchaus sein, das rasante Abschmelzen des Grönland-Eisschildes oder der Westantarktis gestoppt werden kann. In vielen Systemen unseres Planeten gebe es eine "Karenzzeit", einen Puffer, bevor ein Kippvorgang unumkehrbar werde.

"Die Frage ist also, ob wir den gereizten Riesen wieder zum Einschlafen bringen können. Das ist eine der existenziellen Fragen, die heute die Forschung umtreiben."

Die größten Sorgen würden ihm und seinen Kollegen aber Wechselwirkungen und Rückkopplungsprozesse machen, die den menschenverursachten Treibhausgasen noch Unmengen aus natürlichen Quellen hinzufügen. Das wären laut dem Forscher etwa der Verlust der tropischen Regenwälder und das Auftauen der Permafrostböden und der Methaneis-Vorkommen auf den Kontinentalschelfen. Gerade Methan (CH4) sei ein extrem potentes Treibhausgas und etwa 20mal so klimaschädlich wie CO2, und das, obwohl es sich schneller wieder abbaut.

Nur so haben wir eine Chance, bei den Emissionen bis 2040 global auf null zu kommen
Hans Joachim Schellnhuber
über Erdgasverzicht in der Energieversorgung

Auch hier ist der Stein aber wohl schon ins Rollen gekommen: "Die Methankonzentration in der Atmosphäre schnellte in den letzten Jahren wieder nach oben, und es gibt starke Hinweise, dass dieser jüngste Zuwachs aus natürlichen Quellen stammt. Das würde bedeuten, dass die Ökosysteme bereits reagieren und die befürchteten Rückkopplungseffekte schon eingetreten sind."

Gemessene Monatsmittelwerte der globalen Methan-Konzentration in der Atmosphäre seit 1983.
Gemessene Monatsmittelwerte der globalen Methan-Konzentration in der Atmosphäre seit 1983.
NOAA

Laut Schellnhuber gibt es nur eine einzige Lösung für dieses Problem: auf Erdgas (Methan) bei der Energieversorgung vollständig zu verzichten. "Nur so haben wir eine Chance, bei den Emissionen bis 2040 global auf null zu kommen, was zugegeben außerordentlich schwerfallen wird."

Klimaneutralität reicht nicht mehr

Doch selbst wenn die Weltwirtschaft bis spätestens 2045 weitgehend emissionsfrei würde, täte das alleine nicht mehr ausreichen, um wieder unter die 2-Grad-Marke zu kommen. "Das bedeutet also, dass wir CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen müssen, was mittlerweile auch die meisten verstanden haben", erklärt der Deutsche.

Für einen globalen Effekt müsste die Lösung dafür aber nicht nur skalierbar sein, sondern auch kostengünstig. Und genau da fallen rein technische Ansätze wie Carbon Capture and Storage (CCS) – was auch in Österreich diskutiert wird – völlig durch (Mehr dazu hier >). "Unter dem Strich ist das sündteuer und allerbestenfalls klimaneutral, aber keinesfalls klimapositiv."

Schellnhuber glaubt aber, eine einfache wie wirksame Lösung gefunden zu haben: die weltweiten Wälder. Bäume ziehen über die Photosynthese ohnehin CO2 aus der Atmosphäre und lagern es in ihrem Holz ein. "Wenn ich Bäume nicht als Pellets verbrenne, sondern zu Nutzholz verarbeite, dann habe ich sogar einen künstlich verlängerten CO2-Speichereffekt von etlichen Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten".

Königsweg gefunden?

Er setzt besonders auf die Verwendung als nachhaltiges Baumaterial und Ersatz für Beton. Bei einem Einfamilienhaus würden im Schnitt rund 100 Tonnen Stahlbeton anfallen, die Herstellung des notwendigen Zements ist enorm energieintensiv. Die weltweite Zementproduktion sei für rund 8 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich – dreimal mehr als der Flugverkehr.

Würde nun vorrangig aus Holz gebaut, würde man nicht nur die Emissionen einsparen, sondern gleichzeitig auch ehemals atmosphärisches CO2 nachhaltig gebunden, argumentiert der Wissenschaftler.

In meinem Leben hatte ich ein paar Ideen – das ist vielleicht die beste von allen.
Hans Joachim Schellnhuber
über den möglichen "Königsweg"

"Ich halte eine solche Verbindung von Forstwirtschaft und Bauwesen für den Königsweg, um das Klima in Zukunft nicht nur zu stabilisieren, sondern in gewissem Umfang sogar zu reparieren!", ist der IIASA-Chef überzeugt. "In meinem Leben hatte ich ein paar Ideen – das ist vielleicht die beste von allen." Genau diese will er nun als Leiter der Laxenburger Forschungsinstitution umfassend verfolgen.

Klar ist aber, das ein solches Unterfangen, nicht nur auf das 21. Jahrhundert begrenzt sein kann. Bei einem früheren Auftritt hatte Schellnhuber von einem "Zwei-Jahrhundert-Projekt" gesprochen. Ironischerweise, so erklärt er, spiele uns dabei die bisherige Klimaschutz-Untätigkeit sogar in die Hände: "Wir stoßen gerade ungewollt ein Klimasystem an, das wärmer, feuchter und CO2-reicher sein wird. [...] Wir bewegen uns also auf günstigere Waldbedingungen zu."

Trump-Wiederwahl ein "dramatisches Problem"

Dennoch drängt die Zeit für die Implementierung der Schutzmaßnahmen. Ein wichtiger Faktor ist dabei die politische Entwicklung in den USA. Eine Wiederwahl Donald Trumps etwa könne die Klimaschutzbemühungen um zehn Jahre zurückwerfen, warnt der Deutsche. Das würde die Welt nahe an die Kipppunkte heranführen und "dann haben wir tatsächlich ein dramatisches Problem."

Vielleicht soll es aber so sein, dass man [...] durch eine dunkle Phase hindurchmuss, erst dann eines Besseren belehrt wird und dann endlich die richtigen Maßnahmen ergreift
Hans Joachim Schellnhuber
über die Untätigkeit der Politik

"Vielleicht soll es aber so sein", reflektiert der 73-Jährige mit Blick auf die Vergangenheit. Eventuell müsse die Welt erst erneut eine "dunkle Phase" durchmachen, ehe die Politik "eines besseren belehrt wird und dann endlich die richtigen Maßnahmen ergreift". Bedrückender Nachsatz: "Allerdings hoffe ich inständig, dass diese Schocktherapie nicht mit ähnlich entsetzlichen Ereignissen verbunden sein wird wie Mitte des 20. Jahrhunderts."

Als großes Problem sieht er die zunehmende Spaltung im Informationsraum in Echokammern. "Das Problem ist, dass viele Leute heutzutage nur noch im Internet nach Informationen stöbern, um ihre Meinung zu bestätigen. Wir reden dann eben nicht mehr über 'Evidenz', sondern über 'Präferenz', und nicht über 'Information', sondern über 'Konfirmation'." Soziale Medien und ihre Algorithmen würden das alles noch befeuern.

Heute halten sich viele die Augen zu, damit sie die Klimakrise nicht mehr sehen müssen
Hans Joachim Schellnhuber
über kognitive Dissonanz in der Bevölkerung

Er warnt davor, die Augen vor den kommenden Krisen zu verschließen: "Heute halten sich viele die Augen zu, damit sie die Klimakrise nicht mehr sehen müssen – und hoffen, dass sie dann umgekehrt von der Klimakrise nicht gesehen, sprich geschädigt, werden können."

Dennoch alles tun

Trotz aller Widrigkeiten bestehe noch die Chance, dass am Ende alles gut ausgehen wird. Doch diese schwindet, warnt Schellnhuber: "Aus meinem Wissen über geschichtliche und geopolitische Zusammenhänge schließe ich, dass die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass wir scheitern werden."

Warum er trotz dieser geringen Erfolgschance weiterkämpft? "Wenn Sie nur eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit haben, dass die einzig existierende Therapie Ihr todkrankes Kind rettet, dann werden Sie dennoch alles dafür tun, dass diese Therapie angewandt wird. So ist es auch mit dem Klima und der 'Gesundheit' unseres Planeten."

Hans Joachim Schellnhuber (*1950, Bayern) gilt als einer der international renommiertesten Klimaforscher. Er war zwischen 1992 und 2018 Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Mitglied des Weltklimarats (IPCC).
Er brachte als einer der ersten das Konzept der Kipppunkte in die Klimaforschung ein und ist ein vehementer Verfechter nachhaltigen Klimaschutzes, um zumindest das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.
Seit 1. Dezember leitet er als Generaldirektor das Internationale Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien.

rcp
Akt.