Jetzt spricht ÖVP-Chef
"Gibt Themen, über die verhandle ich mit Kickl nicht"
ÖVP-Obmann Christian Stocker im "Heute"-Interview über sein neues Amt, die Verhandlungen mit Kickl und seine Überzeugungsarbeit in seiner Familie.
"Heute": Herr Bundesparteiobmann, "umgefallen" ist noch eines der freundlicheren Attribute, die Ihnen in den letzten Tagen zugeschrieben wurden. Wie wollen Sie Ihre Glaubwürdigkeit und jene der ÖVP wiederherstellen?
Christian Stocker: Es ist kein Geheimnis, dass ich gesagt habe, dass ich Herbert Kickl nicht in Regierungsverantwortung sehen will. Dass sich das verändert hat, hat mich und die Volkspartei Reputation, Glaubwürdigkeit und Vertrauen gekostet. Persönlich hätte ich es mir leichter machen können. Ich bin wirtschaftlich unabhängig, muss niemandem gefallen und nichts mehr werden. Bei allen Optionen, die es gab, bin ich aber der Meinung, dass es eine notwendige Entscheidung war. Von dieser Notwendigkeit musste ich auch meine Familie erst überzeugen.
Ist es gelungen?
Meine Familie habe ich mittlerweile überzeugt. Ich hoffe, es gelingt mir auch beim Rest der Bevölkerung. Denn was würde es für das Land bedeuten, wenn wir jetzt in Neuwahlen gehen, Monate verstreichen und dann gar nicht gesagt ist, dass drei Parteien ausreichen, um eine Mehrheit abseits der freiheitlichen Partei zu finden. Wie die Verhandlungen mit Herbert Kickl ausgehen, weiß ich nicht.
„Babler kann sich aus der Welt des Klassenkampfs nicht befreien.“
Woran sind die Verhandlungen mit der SPÖ gescheitert?
Wir haben uns intensiv bemüht, abzuschließen, dann aber gesehen, dass sich Andreas Babler aus der Welt des Klassenkampfs nicht befreien kann. Er erachtet Umverteilung für maßgeblich für dieses Land. Das sehen wir nicht so.
Aber warum verschließt sich die ÖVP so beharrlich einem Beitrag von Vermögenden?
Wir sind der SPÖ sogar entgegengekommen, haben eine Milliarde aus ihren Vorschlägen gefunden – aber auch gesehen, dass es einfach nie genug war. Egal, wie weit wir uns auf die SPÖ zu bewegt haben. Nachdem sie die NEOS vertrieben hatten, ging es für die SPÖ nur noch darum, wer als Erster vom Verhandlungstisch aufsteht. Dafür sind wir nicht zu haben – Kirschkern-Weitspucken haben wir uns erspart …
Video: Christian Stocker im "Heute"-Talk
Ohne despektierlich klingen zu wollen: Waren Sie als Nachfolger von Karl Nehammer die erste Wahl oder hat sich niemand anderes gefunden?
Das kann ich schwer beurteilen. Aber ich kann Ihnen sagen: Ich bin mit Jeans, Rollkragenpullover und Sneakers zu der Sitzung nach Wien gefahren, habe also nicht damit gerechnet. Meine Frau hat es aus den Medien erfahren, man hat mir dann einen Anzug gebracht, damit ich vor die Medien treten konnte.
Wie konkret war Sebastian Kurz tatsächlich im Gespräch?
So weit ich weiß, hat Sebastian Kurz für sich selbst entschieden, dass er seine Zukunft in der Wirtschaft sieht.
Wie hat sich Ihr Leben seit Sonntag verändert?
Ich spüre die Last, die jeder spürt, der so wichtige Entscheidungen für unser Land treffen muss. Aber ich bin gewöhnt, Druck und auch Lasten auszuhalten.
Die ÖVP hätte auch – wie es die SPÖ im Übrigen seit Jahrzehnten tut – sagen können, dass sie Herbert Kickl nicht zum Kanzler macht.
Eine Koalition ist ein Übereinkommen auf Zeit zwischen zwei Parteien, um wechselseitig Mehrheiten im Parlament sicherzustellen. Die Parteien und Programme verschmelzen ja nicht.
„Über den ÖXIT spreche ich nicht einmal.“
Bisher war die Volkspartei in ihrer Programmatik sehr klar – etwa pro-europäisch – eingestellt.
Daran ändert sich nichts. Wir sind ganz klar pro-europäisch und ein verlässlicher Partner in der Europäischen Union. Über den ÖXIT(EU-Austritt, Anm.) spreche ich nicht einmal. Die Volkspartei stand und steht für Leistung, Familie und Sicherheit – all das ist im "Österreich-Plan" nachzulesen.
Das heißt: Sie stehen zur Vollmitgliedschaft?
Ja, unbedingt. Und politisch orientieren wir uns an der freien, westlichen Welt, nicht an autoritären Regimen. Einflussnahme aus dem Ausland, insbesondere Russland, können wir nicht dulden.
Wie, denken Sie, würden unsere europäischen Partner auf einen Kanzler Kickl reagieren?
Wenn es dazu kommt – was noch lange nicht ausgemacht ist –, dann muss die EU wie auch wir damit umgehen. Das Land, die Volkspartei und auch ich müssen damit umgehen, denn die Grundlage für politische Entscheidungen sind Wahlen. Wir alle kennen das Ergebnis vom September. Das ist zur Kenntnis zu nehmen.
Das hat in den letzten Wochen etwas anderes ausgesehen.
Man braucht Mehrheiten. Wir haben uns bemüht, eine abseits von Herbert Kickl zu finden. Das ist nicht gelungen. Jetzt hat Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag.
„Ich habe zu Herbert Kickl alles gesagt, was zu sagen war.“
Ausländische Geheimdienste könnten die Zusammenarbeit mit Österreich einstellen, wenn die FPÖ in Regierungsverantwortung kommt. Spielt das bei der Ressortverteilung eine Rolle?
Bevor Ressorts verteilt werden, braucht es eine inhaltliche Übereinkunft.
Sie haben mit Herbert Kickl bereits persönlich gesprochen. Was sagt er zu den Bedingungen der Volkspartei?
Wir haben darüber gesprochen, dass wir, wenn wir in diese Verhandlungen eintreten, sie strukturieren müssen, wie die Zusammensetzung der Teams ausschaut, wie sich das alles abspielen wird. Wir haben inhaltlich noch nichts besprochen.
Halten Sie Herbert Kickl für rechtsextrem?
Ich habe zu Herbert Kickl alles gesagt, was zu sagen war. Ich werde mich für nichts entschuldigen, nichts zurücknehmen. Ich will auch nichts auf die Goldwaage legen. Ich habe zu Andreas Babler vieles gesagt und ich habe trotzdem mit ihm verhandelt.
Glauben Sie, dass der FPÖ-Chef noch offene Rechnungen mit der ÖVP hat, etwa aus der Zeit, als das Ibiza-Video auftauchte und er als Innenminister abgesetzt wurde?
Das muss man Herbert Kickl fragen. Ich war damals nicht dabei, ich kann das nicht beurteilen. Ich gehe sehr ernsthaft in diese Gespräche, mit Verantwortung, und sie sind ergebnisoffen. Aber der Auftrag zur Bildung einer Regierung liegt beim Obmann der FPÖ und wir werden sehen, wie er das anlegt.
Werden rote Linien, die Sie vorhin formuliert haben, festgelegt, zum Beispiel durch eine Präambel?
Das glaube ich nicht. Ich habe auch noch keine roten Linien festgelegt.
Es gibt aber Themen, über die reden Sie gar nicht.
Der ÖXIT kommt, wie erwähnt, für uns nicht in Frage. Die Grundlage unserer Verhandlungsposition ist, dass wir uns an der freien westlichen Welt orientieren und nicht an Diktaturen und autoritären Regimen, dass wir die Rechtsstaatlichkeit hochhalten und dass für uns die Souveränität dieses Landes im Vordergrund steht.
Das ist ja auch in der Verfassung abgesichert.
Naja, dass man ein verlässlicher Partner in der EU ist, steht nicht in der Verfassung. Dass man internationale Kooperationen benötigt, damit man erfolgreich wirtschaften kann, dass man Verbündete in der freien westlichen Welt sucht, steht ebenfalls nicht in der Verfassung.
Also das geht noch für Sie darüber hinaus?
Das geht darüber hinaus. Und im Übrigen ist es auch kein Fehler, sich die Grundlagen der Verfassung bei Beginn einer Regierungsverhandlung ins Gedächtnis zu rufen.
„Wir wollen das Budget ausgabenseitig sanieren.“
Welchen Plan zur Konsolidierung des Budgets verfolgen Sie? Und denken Sie grundsätzlich, dass es mit den Freiheitlichen leichter wird? Kickl hat ja wie Sie ausgeschlossen, dass es neue Steuern geben soll.
Wir haben in diesen Monaten, die hinter uns liegen, intensiv gearbeitet. Und zu Unrecht ist diese Arbeit teilweise in Verruf geraten, zu langsam, zu kompliziert, zu aufwendig. Aber Karl Nehammer ist zu verdanken, dass wir jetzt eine Grundlage haben, wo wir relativ schnell entscheiden können, welche Maßnahmen wir setzen wollen. Die Zahlen liegen am Tisch. Und die Maßnahmen sind beziffert, was sie bringen oder kosten. Wir haben ja ein Zeitkorsett, das uns durch Brüssel vorgegeben ist, und werden zeitgerecht diesen Referenzpfad nach Brüssel melden. Das ist die erste Aufgabe, die wir in diesen Gesprächen erfüllen müssen. Und ich glaube, das kann sich aufgrund dieser Vorarbeit, die Karl Nehammer geleistet hat, ausgehen.
Gilt das Versprechen, keine neuen Steuern?
Für uns ist es so, dass wir immer gesagt haben, dass wir das Budget ausgabenseitig sanieren wollen. Wenn wir uns die Abgabenquote und die Ausgabensteigerungen ansehen, die der Krise geschuldet waren, da wurde vieles notwendig, was jetzt überdacht werden kann. Es gibt viele Schrauben, an denen gedreht werden kann.
Es gibt zwar noch keine Koalition, aber schon Demonstrationen dagegen. Was denken Sie sich, wenn Sie sehen, dass Tausende Menschen am Ballhausplatz gegen Blau-Schwarz demonstrieren?
Ich kann natürlich nachvollziehen, dass sich viele Menschen Sorgen machen über diese Entwicklung. Ich kann auch nachvollziehen, dass manche damit nicht einverstanden sind. Und es ist halt so, dass Demokratie davon lebt, dass Gegensätzlichkeiten bestehen. Wenn das alles am Boden der Rechtsstaatlichkeit bleibt, dann ist es Teil einer normalen demokratischen Auseinandersetzung, wozu auch Demonstrationen gehören. Und ich hoffe, dass es in diesem Rahmen bleibt.
„Natürlich, wir stehen hinter dem Kopftuchverbot für Kinder.“
Der harte Zugang im Asyl- und Migrationssystem eint ÖVP und FPÖ. Gibt es da ein Thema, das Ihrer Meinung nach jetzt Priorität genießt?
Auch da ist es so, dass in den vergangenen Wochen und Monaten auch mit der SPÖ und mit den NEOS eine sehr gute Grundlage für Migration, Integration und Asylpolitik geschaffen wurde. Ich selbst habe diesen Cluster geleitet. Wir waren zeitgerecht mit allem fertig. Und wir haben hier, glaube ich, eine sehr gute Arbeit geleistet. Ich glaube nicht, dass die am Widerspruch der FPÖ scheitern wird, die Ergebnisse, die wir hier erzielt haben.
Das heißt, Sie stehen hinter einem Kopftuchverbot?
Natürlich, ein Kopftuchverbot für Kinder.
Wird die FPÖ in dem Kapitel mehr Verschärfungen wollen?
Möglicherweise, aber ich sage offen, wir haben ein Programm ausverhandelt, dass wir ab dem ersten Tag, wenn jemand zu uns kommt, ein Integrationsprogramm vorschreiben, je nachdem, wie die Situation dessen, der bei uns ankommt, ist. Welche sprachlichen Fähigkeiten hat er? Welche beruflichen Fähigkeiten hat er? Wie ist er sonst sozialisiert? Hier wird modulartig ein Programm zusammengestellt, vom Spracherwerb über Werteorientierung bis zu dem, was unsere Gesellschaft, unsere Kultur ausmacht, bis zu den beruflichen Fertigkeiten, die es braucht, um in Österreich auch Fuß fassen zu können in der Gesellschaft und am Arbeitsmarkt. Das alles ist ausgearbeitet.
Das wäre ein Pflichtprogramm?
Ja, die Teilnahme ist Voraussetzung für die Staatsbürgerschaft. Wir haben vorgesehen, dass jemand, der von unserer Gesellschaft Leistungen erhält, in welcher Form immer, auch einen Beitrag leisten muss. Einerseits durch Arbeit, wenn er am Arbeitsmarkt vermittelt werden kann, oder, wenn das nicht der Fall ist, dann durch gemeinnützige Tätigkeiten. Da gibt es eine Vielzahl von, glaube ich, sehr guten Überlegungen und Maßnahmen, die schon am Tisch liegen und die dazu führen, dass wir in diesem Bereich eine bessere Entwicklung nehmen.
„Ob wir uns einig werden, ist noch nicht ausgemacht.“
Es soll Änderungen bei der Mindestsicherung geben, Sie kennen ja den Fall von 4.600 Euro für eine syrische Großfamilie.
Wir wollen keinen Zuzug in das Sozialsystem. Wer Schutz vor Verfolgung braucht, soll ihn erhalten, solange das notwendig ist. Aber das Sozialsystem soll nicht der Grund sein, warum man ausgerechnet in Österreich einen Asylantrag stellt.
Sollten Sie sich einig werden mit der FPÖ, werden Sie das ÖVP-Regierungsteam als Vizekanzler anführen?
Wenn wir uns einig werden, dann wird es wahrscheinlich so sein. Aber ob wir uns einig werden, ist noch nicht ausgemacht.
Das heißt, Sie sind gekommen, um zu bleiben?
Wenn Sie das sagen.
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Auf den Punkt gebracht
- ÖVP-Obmann Christian Stocker spricht im Interview über seine neue Rolle, die Herausforderungen bei den Verhandlungen mit Herbert Kickl und die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der ÖVP.
- Er betont, dass er bestimmte Themen, wie den ÖXIT, nicht verhandeln wird und dass die ÖVP weiterhin pro-europäisch und ein verlässlicher Partner in der EU bleibt.