"Heute"-Kommentar
Wie SPÖ-Chef Babler zum "Sonnenkönig" werden will
"Hunderte" Fachleute sollen der SPÖ ein Wahlprogramm nach dem Vorbild Kreisky schreiben. Wer mitmacht, ob es dafür Geld gibt, wo das Risiko liegt.
Ein Bruno für alle Dem Sprichwort nach führen alle Wege nach Rom, in Österreich führen alle Wege zu Bruno Kreisky. Weltanschauung, politische Verortung, Sicht auf Wirtschaft und Gesellschaft – bei uns nicht so wichtig. Der legendär-brummige Kanzler von 1970 bis 1983 ist Vorbild für jeden und jede im Land. Für seine SPÖ sowieso, aber wenn es passt, dann auch für ÖVP, FPÖ, die Grünen, Sebastian Kurz, den Schachverein der Republik Kugelmugel oder die Ortstafel-Kommission von Bad Fucking.
Ein Bruno für Babler Für die Nationalratswahl 2024 bedient sich nun Andreas Babler beim "Sonnenkönig". Über die "Kronen Zeitung" – auch das ein historisches Erbe – verlautbarte die Partei am Mittwoch die Einsetzung eines "Expert*innerats". Damit bereite der neue Vorsitzende "seine Reformkanzlerschaft" vor, so die frohe Kunde. Eine mutige Ansage und auch aus allerlei Gründen riskant.
Kreisky band Gegner ein
Großes Vorbild Es sind große Fußstapfen, in die Babler da tritt oder treten lässt. Zu große? Der Blick in die Vergangenheit lässt das vermuten. Nachdem Kreisky 1967 Parteichef geworden war, hatte er umgehend eine Reformkommission eingesetzt, die das alte, verstaubte Programm der Partei auf den Stand der Zeit bringen sollte. Mit der Leitung wurde Karl Blecha betraut, später Innenminister, im Brotberuf Demoskop. Ein Glücksgriff, er organisierte für Kreisky in der Folge drei absolute Mehrheiten.
Über den Tellerrand hinaus Für das Programm wurden 11 Arbeitsgruppen eingesetzt, von Bildung bis zu Justiz, erstmals aber stand auch Ökologie auf der Agenda, auf das Thema war Kreisky in Schweden aufmerksam geworden. Wichtig war dem späteren Kanzler vor allem, dass nicht nur Rote mitarbeiteten. In den Teams gab es auch Fachleute aus dem ÖAAB und konservative Beamte aus den Ministerien. Der Hintergedanke: Möglichst viele einbinden, um eine breite Bewegung zu erzeugen. Ob das bei Babler auch so geplant ist?
Hochrangige Gruppe Am Kreisky-Programm "Für ein modernes Österreich" arbeiteten 1.400 Expertinnen und Experten mit, einige waren Hochkaräter, machten nachher politische Karriere. Heinz Fischer betreute das Thema Hochschulpolitik, der spätere Minister Christian Broda kümmerte sich um die Justiz, Doppeldoktorin Hertha Firnberg um die Wissenschaft, Hilde Hawlicek arbeitete sich an der Bildung ab, sie wurde einige Jahre später Unterrichtsministerin.
Wer soll das bezahlen?
Keine Luftschlösser Während Babler bei seinen Plänen mit einem Zahlenwerk im Graubereich hantiert, gab es beim Kreisky-Programm eine klare Vorgabe: Für jedes Projekt, das beschlossen worden war, musste umgehend ein Finanzierungskonzept erarbeitet werden. Dafür gab es sogenannte "Ökonomische Versammlungen", die von Eugen Veselsky geleitet wurden, in der Regierung Kreisky dann Staatssekretär. Sein wichtigster Fachmann schaffte es sogar zum Finanzminister: Hannes Androsch. Er blieb Veselsky in gegenseitiger Abneigung verbunden.
Schneller Erfolg Noch während die Arbeitsgruppen werkten, stellten sich bei Regionalwahlen für die SPÖ erste Erfolge ein. Sie mündeten im Sieg bei der Nationalratswahl 1970. Koalitionsgespräche mit der ÖVP scheiterten. Kreisky holte – hochproblematisch – für rund ein Jahr die FPÖ ins Boot, die seine Regierung stützte, bei den Verhandlungen saß der junge Jörg Haider mit am Tisch. 1971 ließ Kreisky neu wählen, schaffte die "Absolute" und begann sein Konzept "Für ein modernes Österreich" umzusetzen. Die FPÖ hatte die SPÖ im Wahlkampf für 1970 übrigens als möglichen Koalitionspartner ausgeschlossen.
Babler kupfert ab Nun lässt der aktuelle SPÖ-Vorsitzende ein "inhaltliches Konzept" erarbeiten, es nennt sich "Kreisky 2.0". "Hunderte Expert*innen" sollen daran mitarbeiten, wie gut sich das Ergebnis mit dem aktuellen Parteiprogramm verträgt, wird sich noch weisen. "Zu eng" sei die Partei in den letzten Jahren geworden, heißt es, nun werde "mehr Breite" angestrebt. Die Oberleitung über alle Arbeitsgruppen hat Marc Hall übernommen, geboren in England, früher Manager bei OMV und Wiener Stadtwerke, politisch sozialisiert beim roten Studentenverband VSStÖ. 1984 wurde er dessen Vorsitzender, er folgte auf einen gewissen Alexander Wrabetz.
Experte zum Geburtstag Zwischen 12 und 13 Arbeitsgruppen sollen an "Kreisky 2.0" arbeiten, die Vorbereitungen laufen seit Sommer. Erste Gruppen tagen schon, etwa weil sie, wie der "wirtschaftspolitische Arbeitskreis" unter AK-Ökonom Markus Marterbauer, bereits existierten. Neben Marc Hall und der EU-Abgeordneten Evelyn Regner, sind Wolfgang Petritsch (Ex-Sekretär von Kreisky), AKH-Ärztin Miriam Hufgard-Leitner, Ökonomin Isabella Weber (erfand die Gaspreisbremse), Achim Truger (Mitglied im deutschen Sachverständigenrat), der Ex-Spitzenbeamte Manfred Matzka und der frühere Polizei-Generalmajor Günter Krenn an Bord. Er bekam den Status Mittwoch an seinem 67. Geburtstag verliehen.
Teilnehmer anonym Kleinere Arbeitsgruppen haben ab 10 Teilnehmer, das Thema innere und äußere Sicherheitspolitik beackern aber gleich 70 Personen. Spannend: Wird das "Kaiser-Doskozil-Positionspapier" zur Migration umgeschrieben? Erste Zwischenergebnisse der Beratungen sollen im Jänner verkündet werden. Weitere Expertinnen und Experten – alle arbeiten unentgeltlich – werden laut SPÖ laufend zu den Gruppen stoßen. Ein Teil will anonym mitarbeiten, weil sie im Job Nachteile befürchten.
Wie bei Kreisky Als 1967 die Arbeiten an einem neuen Programm begannen, wurden fünf Ziele festgelegt, darunter die Eindämmung der Preissteigerung, die Schaffung moderner Schulen und besserer Bildung, den Bau neuer Wohnung und die Schaffung von Arbeitsplätzen, um den Wohlstand zu sichern. Nur falls jemand glaubt, die Zeiten würden sich soooo rasant ändern.