"Heute"-Kommentar

Pferdchengate: So stolperte ÖVP in Pizzeria-Handyaffäre

In einem Lokal ging Justizsektionschef Pilnacek auf Nationalratspräsident Sobotka los. Wie alles öffentlich wurde – zutiefst österreichisch.

Christian Nusser
Pferdchengate: So stolperte ÖVP in Pizzeria-Handyaffäre
Wissen, was ist – eine Kolumne von Dr. Christian Nusser
Helmut Graf, Grafik "Heute"

Vorbild Ibiza In Österreich ist immer irgendwie Ibiza. Das ganze Jahr über finden sich Politiker und Menschen aus dem politischen Umfeld, die reden, und Aufzeichnungsgeräte, die rumliegen und das Gesagte festhalten. Heinz-Christian Strache war ein diesbezüglicher First Mover. Er skizzierte einer Oligarchen-Darstellerin mit problematischer Fußpflegesituation seine politischen Vorstellungen. Der Zusammenschnitt davon wurde am 17. Mai 2019 unter dem Filmtitel "Ibiza-Affäre" veröffentlicht, später geriet auch der Name "Ibizagate" in Verwendung, ohne dass man erfuhr, welches Gate damit gemeint war.

City wird zur Insel Der Vorgang hat sich in der Zwischenzeit etwas professionalisiert. Früher musste verreist werden, um einen Skandal zu erzeugen, jetzt funktioniert das auch innerhalb der eigenen Stadtmauern. Tatorte sind nun bequem mit einem Klimaticket erreichbar.

Alkohol löst Zunge Die Betroffenen reden meist frei von der Leber weg, was daran liegen könnte, dass ihre Leber unter dem Einfluss der Nationaldroge Alkohol steht. Sie tun damit gleichzeitig etwas für den Fremdenverkehr, denn auch Geselligkeit ist eines unserer Markenzeichen. In Österreich gibt es Ibiza-Videos also nicht einfach bloß so, sondern immer in Weinbegleitung.

Tatort "Il Cavalluccio"

Barsche Garnelen So war es auch diesmal. Am 28. Juli hin frequentierte der zu diesem Zeitpunkt suspendierte Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek (60) eine Wiener Innenstadt-Pizzeria. Das Il Cavalluccio in der Göttweihergasse 2 gilt als leicht gehobener Schuppen, nicht übertrieben teuer. Die Gamberi in pastella con salsa allo jogurt & alghe, die bochernen Garnelen mit Joghurt und Algen also, gibt es als Vorspeise um 20 Euro, der gegrillte Wolfsbarsch, verkauft unter dem Arbeitstitel Filetto di branzino al profumo di agrumi & verdure, kostet 29 Euro.

Pferdchen statt Kamel Für Pilnacek war der Termin ein Heimspiel. Er hatte seinem früheren Stammlokal, dem "Schwarzen Kameel", den Rücken gekehrt, und verkehrte nun sehr häufig im "Pferdchen", dem Il Cavalluccio eben. Dort trug er auch häufig seinen Kummer vor. Der fachlich hochgeschätzte Sektionschef und frühere Generalsekretär des Justizministeriums war im Februar 2021 suspendiert worden. Er soll Investor Michael Tojner eine Razzia "verpfiffen" haben. Das ließ sich nicht nachweisen, aber auf dem Handy des Juristen fanden sich verfängliche Nachrichten, die eine Suspendierung nach sich zogen.

Sobotka ließ Pilnacek abblitzen

Witwe klagt an Die Amtsenthebung Pilnaceks war noch aufrecht, als er am 20. Oktober zu Tode kam. Beim Requiem am vergangenen Samstag in Wien fand seine Witwe, selbst Präsidentin am Straflandesgericht Graz, einschneidende Worte – in Anwesenheit von drei ehemaligen Justizministern und einer früheren Justizministerin, die aktuelle Ressortchefin Alma Zadić fehlte. "Christian hat sich nicht das Leben genommen", sagte Caroline List, "ihm wurde das Leben genommen".

Handy lief mit Bei Wolfgang Sobotka (67) hatte Pilnacek auf Unterstützung gehofft – und war abgeblitzt. Über den Ärger darüber machte sich der Sektionschef im Il Cavalluccio an diesem 28. Juli Luft. Das Gespräch mit einem Bekannten darüber verlagerte sich schnell an einen Tisch. Pilnacek hatte eine laute Stimme, konsumierte gern Alkohol, vertrug aber wenig. Eine fatale Mischung, vor allem an diesem Abend, denn am Nebentisch saßen zwei Männer, die mitbekamen, was da vor sich ging.

Wer waren die Lauscher? Es gibt zumindest zwei Versionen davon, wer die beiden waren. "Ein Blauer und ein Roter", hört man aus der ÖVP, klarere Quellen legen die Spur zu zwei ehemaligen BZÖ-Parteigängern. Wie auch immer. Am Tisch der beiden Männer lag ein Smartphone und es wurde flink auf "Aufnahme" gedrückt – für gleich 90 Minuten lang. Relevant sind davon fünf bis sieben Minuten, die Dienstag öffentlich wurden.

Pilnacek blitzt ab Er beklagte sich laut Mitschnitt über mangelnde Unterstützung aus den Reihen der ÖVP, für die er sich engagiert habe. Sobotka soll ihm entgegnet haben, dass er nicht einmal Parteimitglied sei und überdies wenig Schaden von der ÖVP abgehalten habe. Außerdem sei er für die fatale Reform der Strafprozessordnung und die Abschaffung der Untersuchungsrichter verantwortlich.

Ist das echt? Erst passierte danach nichts. Nach dem Tod von Pilnacek traten die beiden Männer, die das Gespräch aufgezeichnet hatten, dann an die "Krone" heran. Die Zeitung überprüfte die Echtheit des Mitschnitts, auch Fragen der Pietät stellten sich, immerhin war Pilnacek inzwischen aus dem Leben geschieden. Die Worte der Witwe bei der Totenmesse gaben dann den Ausschlag für die Veröffentlichung.

Abwehrschlacht der ÖVP Am Dienstag spitzten sich die Ereignisse zu. Inzwischen war auch der ORF in den Besitz des Mitschnitts gekommen, er lag offenbar in mehreren Teilen vor. Der öffentliche-rechtliche Rundfunk debattierte eine Veröffentlichung in ZiB 1 oder ZiB 2. Auch immer mehr politische Parteien bekamen Wind von der Sache und bereiteten geharnischte Aussendungen vor, Medien publizierten erste Geschichten. Die betroffene ÖVP überlegte, wie sie die Abwehr-Kommunikation gestalten sollte. Ergebnis: Aussendung via APA, Generalsekretär Christian Stocker in die ZiB 2.

Nirgends mehr sicher Die Verteidigungslinie war schnell klar. Die ÖVP wird den Mitschnitt als illegal framen, als Machwerk im Stil eines Spionagedienstes. Tenor: Nicht einmal in einem Lokal sei man in Österreich inzwischen mehr vorm Abhören sicher.

Wahlkampfbürde für Kanzler Der Vorgang bleibt problematisch. Der Mitschnitt kann als Beleg dafür dienen, dass die ÖVP über die Jahre versucht hat, bei der Justiz zu intervenieren. Im Mikrokosmos Österreich wird sie nicht die einzige Partei gewesen sein, aber von den anderen liegen, Stand aktuell, keine Tonbandaufzeichnungen vor. Und: Wie verträgt sich das alles mit Sobotkas Aussagen vor dem U-Ausschuss? Für Kanzler Karl Nehammer kommt die Affäre zur Unzeit, vorm Start in das Doppel-Wahljahr 2024, erst EU, dann Nationalrat. 

Wer redet mit Sobotka? Als zweithöchster Mann im Staat kann der Nationalratspräsident nicht abberufen werden. Er müsste selbst zurücktreten und dazu wohl erst intensiv überredet werden. Aber wo ist die Person in der aktuellen ÖVP, die Manns oder Fraus genug ist, um einen der mächtigsten Männer der Partei in die Wüste zu schicken? Freiwillige Bewerbungen für den Job werden dankend angenommen.

cnn
Akt.
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