"Heute"-Kommentar

Corona-Zeugnis für Regierung fertig – das steht drin

Impfpflicht, Lockdowns, Masken: Die Regierung ließ sich von einem Forschungs-Team auf die Finger schauen. Und holte die Meinung von 320 Personen ein.

Christian Nusser
Corona-Zeugnis für Regierung fertig – das steht drin
Wissen, was ist – eine Kolumne von Dr. Christian Nusser
Wissen, was ist – eine Kolumne von Dr. Christian Nusser

Weihnachts-Geschenk an Regierung Zeit ist ein dehnbarer Begriff, offenbar ist sie aber auch Ansichtssache. Lange, kurze sieben Monate Zeit räumte die Regierung also im Frühjahr einem Wissenschafts-Team ein, um zu untersuchen, wie sich die Politik in der Pandemie geschlagen hat. Also nicht gegenseitig, sondern grundsätzlich. Bis Jahresende sollte der diesbezügliche Bericht fertig sein. "Ein tolles Projekt", sagt Alexander Bogner jetzt, "nur die Zeit war zu kurz".

Kaiserschnitt Bogner forscht am "Institut für Technikfolgen-Abschätzung", Teil der "Österreichischen Akademie der Wissenschaften". Im vergangenen halben Jahr leitete er zusätzlich das Studienteam, das die Coronazeit unter die Lupe nehmen sollte. Zum Auftrag war er wie die Jungfrau zum Kind gekommen, denn eigentlich war die Geburt anders geplant. Um Verwerfungen möglichst schmerzfrei aus der Pandemie zu begleiten, hatte sich Kanzler Karl Nehammer die Einsetzung einer "Versöhnungs-Kommission" ausgedacht. Sie sollte eine Art politischen Kaiserschnitt durchführen, sectio nehammerea. Aber nicht nur eine Geburt, auch Versöhnung braucht eben ihre Zeit.

"Versöhnungsprozess"

Wählerschaft zurückgewinnen Am 7. März hatte Nehammer bei einem Hintergrundgespräch, das da schon zum "Kanzlergespräch" hochgestuft worden war, die anwesenden 21 Journalistinnen und Journalisten mit einer Ankündigung überrascht. Er wolle "die Hand ausstrecken" und einen "Versöhnungsprozess einleiten". Wohl nicht gänzlich uneigennützig. Während der Coronazeit waren der Politik generell und der ÖVP im Speziellen viele Menschen davongelaufen, weil sie Impfung, Maskenpflicht, Lockdowns oder anderen Maßnahmen für den Teufel hielten. Die galt es nun als Wählerschaft wieder an Bord zu holen, nötigenfalls durch wissenschaftlichen Exorzismus.

Feuer und Flamme Der Kanzler visionierte darüber, eine Kommission einzusetzen und das flugs. Für die Leitung werde eine "untadelige, parteifreie, juristische Person" gesucht, ließ er ausrichten, am besten früher an einem Höchstgericht tätig. Bis nach Ostern sollte alles fixiert sein, Team, Aufgabe, Zeitplan.

Kanzler nicht mehr dabei

Plötzlich alles anders Als Ostern kam, blieb das Nest leer und der Versöhnungskanzler war davongehoppelt. Es dauerte zwei Monate, ehe eine Kommission eingesetzt war, und es handelte sich streng genommen auch um keine Kommission mehr. Zur Präsentation seiner eigenen Studiengruppe erschien Nehammer gar nicht mehr, er schickte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, Trümmerfrau der ÖVP und das 24 Stunden am Tag. Sie hatte Alexander Bogner mitgebracht, er sollte als eine Art "Chef-Coronator" Zeugnis ablegen gegenüber der Regierung. Oder sie gegenüber ihm.

"Inszenierung" Bogner ist Soziologe, in seinem Fach höchst anerkannt, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie, vor allem wollte er nicht, dass ihm und seinem Team das Schicksal mehrerer Covid-Beratungsgremien ereilte. Also zog er schnell eine rote Linie und platzierte die Politik dahinter. Die Präsentation nannte er "Inszenierung", auch sonst schaffte er Klarheit. Wohl deshalb sagt er heute: "Wir konnten vollkommen frei arbeiten".

5 Fallstudien, 200 Seiten Das Resultat wird in rund zwei Wochen präsentiert, der genaue Tag steht noch nicht fest. Aber das Corona-Zeugnis für die Regierung ist fertig, es hat um die 200 Seiten, derzeit finden letzte Arbeiten daran statt und der Bericht wird layoutiert. Er besteht aus zwei Teilen, fünf Fallstudien, in denen die politischen Entscheidungen während der Pandemie aufgearbeitet werden. Und aus einem Dialogprozess, den hatte sich das Kanzleramt gewünscht.

Geheime Debatten Ohne dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekam, fanden im Herbst im ganz Österreich Debattenrunden statt, in jedem Bundesland eine. Die Statistik Austria hatte vorab 320 Personen repräsentativ dafür ausgewählt. Eine externe Agentur führte die Diskussionen durch, zwei Termine fanden im Oktober statt, ein Termin im November, jeweils am Wochenende, jeweils parallel in drei Bundesländern.

Ohne Maulkorb Das Setting war überall gleich: Fünf Tische, an denen zwischen 32 und 38 Personen einen ganzen Tag lang darüber reden konnten, was während der Pandemie schiefgelaufen sein könnte und was in Zukunft besser gemacht werden sollte. Es entstanden sehr offene Dialoge, in denen eine andere Sprache vorherrschte als im streng wissenschaftlichen Teil der Corona-Reifeprüfung.

Sind wir Wissenschaftsmuffel? Studienleiter Alexander Bogner hatte 16 Forscherinnen und Forscher um sich versammelt, seine freie Wahl. Fünf Institutionen machten mit, von der "Österreichischen Akademie der Wissenschaften" über das "Institut für Höhere Studien" bis zum "Zentrum für Soziale Innovation". Dem Impfplan wurde auf die Spritze gefühlt, aber es wurde auch der Frage nach einer etwaigen grundsätzlichen Wissenschaftsfeindlichkeit im Land nachgegangen.

Kommt Kanzler? Die erzielten Ergebnisse seien hochinteressant, sagt Bogner. Man darf Klarheit erwarten, eine Abrechnung wohl nicht. Ob der Kanzler zur Präsentation erscheint oder wieder seine Trümmerfrau schickt, ist noch nicht entschieden. Das Forschungsteam denkt daran, eine eigene, zweite Pressekonferenz zu geben, um in die Tiefe gehen zu können. Die eigentliche Vorstellung der Ergebnisse scheint dafür minder geeignet. In Vorwahlzeiten besteht schnell Gefahr, dass aus allem eine politische Schlammschlacht wird.

Für so etwas ist dann immer Zeit.

cnn
Akt.
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