Wagt ÖVP Absprung?
Warum Neuwahl-Gerüchte plötzlich eine Inflation erleben
Die Inflation stürzt ab, die politische Spekulationen erleben Höhenflüge, die SPÖ trudelt durch die Gegend. Wie das alles miteinander zusammenhängt.
Selten, aber gibt's Vor Allerheiligen wollte in Österreich heuer keine so richtige Grabesstimmung aufkommen. Am Dienstag frohlockten der Kanzler, der Finanzminister und der Wirtschaftsminister, der zufällig auch wieder einmal im Land war. Die Inflationsrate war im Oktober von 6,0 Prozent auf 5,4 Prozent abgesunken, hatte die Schnellschätzung der Statistik Austria ergeben (mehr dazu hier). Gut? Schlecht? Beides!
Wenn dich keiner lobt, lob dich selbst! "Der österreichische Mittelweg zeigt Wirkung", schrieb Karl Nehammer, ohne diesen Mittelweg näher zu erläutern. "Trotz aller Herausforderungen" bleibe "das Leben für die Menschen leistbar", lobte Magnus Brunner sich und die Seinen. Martin Kocher sah eine "positive wirtschaftliche Dynamik im Jahr 2024" am Horizont aufsteigen. In Österreich ist Optimismus erste Bürgerpflicht, vor allem für Politiker.
Österreich nur auf Platz 16
Eher Champignons… Die rosarote Brille ist aber ein nur zum Teil angemessenes Kleidungsstück. Tatsächlich scheint erfreulich, dass die Teuerung sinkt, und sie tut dies auch noch über alle Erwartungen der Experten hinweg deutlich. Schuld daran sind aber nur zum Teil staatliche Maßnahmen, viel eher trägt die Zinspolitik der europäischen Zentralbank Früchte. Vor allem, wenn man beginnt, Äpfel mit Birnen zu vergleichen.
… keine Champions Unter den 20 Euro-Ländern sind wir nämlich ziemliche Weichbirnen. Für den internationalen Vergleich wird von Eurostat der "harmonisierte Verbraucherpreisindex" (inklusive Ausgaben von Touristen) herangezogen. Da wiesen im Oktober nur vier Euro-Staaten (Slowakei, Slowenien, Kroatien, Estland) eine üblere Inflationsrate als Österreich aus. Platz 16, wir stehen nicht auf einem Abstiegsrang, aber von der Champions League sind wir ein paar Nehammer weit entfernt.
Im Musterland Spanien steigt die Inflation
Weniger teurer statt mehr billiger Zwei Ländern (Niederlande, Belgien) brachte der Oktober sogar eine negative Inflation, die Preise sanken also tatsächlich. Die Niederlande hatten im Oktober 2022 noch eine Teuerung von 14,33 Prozent, nun minus 1,0 Prozent. Sogar das krisengebeutelte Deutschland schaffte im Oktober 3,8 Prozent. Wir liegen bei 5,4 Prozent und atmen auf. Oder durch. Seltsam! Ich sage das nur zur Sicherheit dazu: Eine sinkende Inflationsrate heißt nicht, dass es im Supermarkt billiger wird. Es wird nur weniger teurer als es schon teurer wurde.
Viva España? Die EU ist nicht nur im Außenauftritt ein ziemlicher diverser Verein, sondern auch in der Wirtschaftspolitik. Im Vorjahr der Krise tat jeder, was er für angemessen hielt, das Ergebnis offenbart sich nun. In drei Ländern (Griechenland, Estland, Spanien) stieg die Inflationsrate in Oktober sogar an. Die SPÖ sollte sich vor allem Spanien gut anschauen. Dort kletterte die Teuerung zum vierten Mal in Folge in die Höhe (wenn auch "nur" auf 3,5 Prozent). Gaspreisdeckel, Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und Sprit runter – die staatlichen Eingriffe aus dem Vorjahr wurden eingebremst, das Pendel schlägt nun ungebremst in die andere Richtung aus.
Rote Köpfe Die SPÖ will "leistbares Leben" in die Verfassung schreiben lassen, Mieten einfrieren, Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel aussetzen, eine maximale Inflation von zwei Prozent im Jahr als Staatsziel festlegen (mehr dazu hier). Der Leitantrag – oder Leidantrag – soll am Parteitag ab 11. November in Graz beschlossen werden. Das sorgt sogar unter roten Wirtschaftsverstehern für rote Köpfe. Wenn ich mich an der Tankstelle ausgenommen fühle, rufe ich dann in Zukunft nicht mehr den Tankwart, sondern den Verfassungsgerichtshof an?
Lust auf Wahlen? Die Teuerung heizt auch wieder die Spekulationen über Neuwahlen an, eigentlich schlicht nur über Wahlen, denn Altwahlen gibt es ja meines Wissens nicht. Wagt die ÖVP den Absprung? Ihr Kalkül seit Monaten: Weniger Teuerung = zufriedenere Menschen = mehr Freude mit der Regierung = ein besseres Wahlergebnis für Türkis, oder Schwarz, oder was auch immer. Inflation weg, Nehammer 2.0 da also? Im Frühjahr 2024, nicht erst im Herbst?
Nein! Im Österreich wird zwar stets bereits ab dem ersten Tag nach der Wahl über den nächsten Wahltermin spekuliert, aber dabei gern auf den Hausverstand vergessen. Terminlich wird es für eine Nationalratswahl im Frühjahr eng, denn der Österreicher ist schon fix verplant. Weihnachtferien, ein kurzer Jänner, im Februar Semesterferien, Ende März ist Ostern, dann sind alle Parteien mittendrin im Mobilisieren für die EU-Wahl am 9. Juni. Beide Urnengänge zusammenlegen? Hübsche Idee, aber strategisch Nonsens. Im Sommer ist sowieso keiner da. Bleibt der Herbst, wie vorgesehen.
Teufel an die Wand malen Wahltermin März, das höre ich nun trotzdem oft. Aber warum soll die ÖVP vorzeitig eine Riesenbrezn riskieren? Sie schaffte unter Kurz 37,5 Prozent, nun soll sie ohne Not vorzeitig massiv Macht abgeben? Und den Kanzler dazu? Die Grünen (13,9 %) werden so lange an der Regierung festkleben, wie sie können. Und die SPÖ muss erst die eigenen Leute davon überzeugen, die SPÖ zu wählen. Bleibt die FPÖ, die würde gerne wählen. Aber die anderen Parteien werden den Teufel tun, ihr diesen Wunsch von den Lippen abzulesen. Werden sie doch, oder?