"Gewinnen mit ihm nicht"
Vor Ampel-Poker: Kritik an Nehammer in der ÖVP
Am Donnerstag geht das Koalitions-Tauziehen nach einem Kanzler-Urlaub weiter. Nehammer sieht sich mittlerweile mit ÖVP-interner Kritik konfrontiert.
Am Donnerstag ist Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer von seinem Kurzurlaub mit der Familie in den Herbstferien wieder zurück im Büro. Und es geht gleich wieder voll los in Sachen Koalitionspoker.
Viele kritische Stimmen
Zunächst muss Nehammer parteiintern alle mächtigen Player von einer Zusammenarbeit mit der SPÖ überzeugen. Zu den kritischen Stimmen zählten zuletzt vor allem die Wirtschaft – Stichwort SPÖ-Forderung nach Vermögens- und Erbschaftssteuern – und der Bauernbund. Aber auch in einigen Bundesländern gibt es noch Überzeugungsarbeit zu leisten. Das heißt: Die Telefone der ÖVP-Granden werden in den nächsten Tagen wohl heiß laufen.
Zu tun gibt es jedenfalls genug. Auf Puls4 äußerte sich Ex-Mandatar Martin Engelberg durchaus kritisch über Karl Nehammer – er hätte sich schon vor der Nationalratswahl einen anderen Spitzenkandidaten gewünscht: "Es wäre mir lieber gewesen, die ÖVP hätte sich sowohl inhaltlich als auch personell anders aufgestellt und die Chance wahrgenommen, doch wieder Erster zu werden und damit eine ganz andere Gestaltungsmöglichkeit zu haben."
Er habe seine Kritikpunkte schon vor circa eineinhalb Jahren im ÖVP-Parlamentsklub angesprochen, so Engelberg, der dem Kanzler zwar für seine Integrität Respekt zollte, zu Puls4 aber sagte: "Ich hatte das Gefühl, wir gewinnen mit ihm die Wahl nicht. Das hat sich bestätigt."
Auch der steirische ÖVP-Landeshauptmann Christopher Drexler hatte zuletzt im "Heute"-Interview Zweifel daran geäußert, dass die "großen Herausforderungen wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit auch unsere Arbeitsplätze zwischen den im Gespräch befindlichen Parteien mir nichts, dir nichts verhandelbar ist". Und er hatte angekündigt: "Insofern werde ich hier ein kritischer Beobachter bleiben."
Steirer-Wahl als wichtiges Datum
Drexler und seine ÖVP haben immerhin am 24. November Landtagswahlen zu schlagen. Wird eine Dreierkoalition gegen die FPÖ tatsächlich noch vor diesem Datum fertig, werden der in Umfragen prognostizierte Wahltriumph der Blauen und die Niederlage für die ÖVP wohl noch größer als erwartet.
Die nächste Baustelle für Nehammer: Er muss auch die Landesparteien jener Bundesländer an Bord holen, die derzeit mit den Freiheitlichen regieren. Das sind immerhin so mächtige Landesorganisationen wie Nieder- und Oberösterreich sowie Salzburg. Und auch Vorarlberg steht kurz vor Schwarz-Blau.
Was macht Rudi Fußi?
Und auch die Pläne von Rudi Fußi für eine Kandidatur als SPÖ-Chef gegen Andreas Babler werden in der ÖVP aufmerksam beobachtet: Schließlich stehe noch gar nicht fest, mit wem man auf SPÖ-Seite dann als Verhandlungspartner rechnen müsse, heißt es in der Partei immer wieder.
Immerhin: Die traditionell starke schwarz-rote Achse der Sozialpartner zwischen Wirtschaftskammer und Gewerkschaft funktioniert. Dafür sorgen auch die beiden Präsidenten Harald Mahrer (ÖVP) und Wolfgang Katzian (SPÖ). Vor allem letzterer hat in seiner Partei großen Einfluss. Beide sitzen auch in den Sondierungsteams ihrer Parteien.
Erst kommende Woche wird zwischen ÖVP und SPÖ weiter sondiert
Die treffen sich übrigens erst wieder Anfang der nächsten Woche in den Steuerungsgruppen. Dann sind pro Woche zwei bis drei Termine geplant. Erst dann soll sich entscheiden, ob man es nur zu zweit versucht oder – wahrscheinlicher – um einen dritten Partner wirbt.
Das dürften wohl die Neos sein. Von Parteichefin Beate Meinl-Reisinger abwärts bringen sich die Pinken aktiv als möglicher Regierungspartner ins Spiel. Sie betonen aber: Man müsse nicht um jeden Preis mitregieren. Kalkül dahinter: Das könnte ihren Preis als Koalitionspartner in die Höhe treiben.
Wenn überhaupt, dann nur Außenseiterchancen auf einen Verbleib in der Regierung haben die Grünen. Zu viel verbrannte Erde ist in der Endphase der Koalition mit der ÖVP hinterlassen worden. Man erinnere sich nur an die Zustimmung von Noch-Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zur EU-Renaturierungsrichtlinie. Mantra der ÖVP: Wenn mit den Grünen in eine Regierung, dann nur ohne Gewessler. Einen Verzicht auf die parteiinterne Vorzugsstimmenkaiserin schließt die Ökopartei aber kategorisch aus.
Schon 32 Prozent: FPÖ eilt weiter von Wahl- zu Umfrage-Sieg
Und die FPÖ? Der treibt das kategorische Nein von Karl Nehammer zu einer blau-schwarzen Koalition offensichtlich weitere Wähler in die Arme. In einer aktuellen Umfrage für das Servus TV-Nachrichtenmagazin "Blickwechsel" kommen die Blauen von Parteichef Herbert Kick bereits auf 32 Prozent, könnten damit gegenüber der Wahl am 29. September noch einmal 3,1 Prozentpunkte zulegen. Mit 25 Prozent und damit leichten Verlusten bereits deutlich dahinter: die ÖVP. Auch das könnte bei einigen Funktionären der Volkspartei in Sachen Dreierkoalition noch einiges Kopfweh auslösen.
Auf den Punkt gebracht
- Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer steht vor der Herausforderung, seine Partei von einer Dreierkoalition mit der SPÖ zu überzeugen, wobei insbesondere die Wirtschaft und der Bauernbund skeptisch sind
- Gleichzeitig muss er die Landesparteien, die derzeit mit der FPÖ regieren, ins Boot holen, während die Neos als möglicher dritter Koalitionspartner in Betracht gezogen werden und die Grünen aufgrund vergangener Konflikte kaum Chancen auf eine Regierungsbeteiligung haben