Kanzler zu "Heute"
"Kickl steht im Trotzwinkel, aber mit ihm geht's nicht"
Die Chance, sich mit SPÖ und Neos zu einigen, beziffert Karl Nehammer mit "fifty-fifty". "Heute"-Interview über neue Steuern, Migration – und Kickl.
"Heute": Ampel, Zuckerl, "flotter Dreier" – wie nennt sich das Projekt eigentlich, das sie versuchen mit SPÖ und Neos einzugehen?
Karl Nehammer: Eine Regierung zu bilden, die aus der Mitte kommt – getragen von den Prinzipien Veränderung, Reform, Aufbruch – und einer breiten Mehrheit.
Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, dass es gelingt?
Fifty-fifty.
Glas halbvoll oder halbleer?
Ich würde sagen, das Glas ist jetzt halbvoll. Aber natürlich sind die Verhandlungen schwierig, weil die ideologischen Zugänge unterschiedlich sind.
„Ich bin sicher der, der ganz stark auf das Thema Ausgabenbremse setzt.“
Wie ist das Klima in den Verhandlungen – Aufbruchstimmung oder macht man das Notwendige, weil es keine Alternative gibt?
Bis jetzt ist alles im Plan – die Sondierungsphase liegt hinter uns und wir sind in Detailverhandlungen eingetreten. Wir sind auch genau im Zeitplan von türkis-grün vor fünf Jahren.
Gibt es Punkte, die man von vornherein ausgeräumt und gesagt hat: Das muss – trotz geringer ideologischer Überschneidungen – unbedingt drin sein?
Es gibt die Grundlinie, dass man über alles reden kann.
Und worüber wollen Sie am drängendsten reden?
Neben der Stärkung des Standorts, Migration und Integration bin ich sicher der, der ganz stark auf das Thema Ausgabenbremse setzt und nicht primär über Neu-Einnahmen nachdenkt.
Bleiben Sie beim Versprechen, dass es keine neuen Steuern geben darf?
Das ist mein Ziel. Die Ausgabenbremse muss prioritär sein.
Und wie wollen Sie dann dem gewaltigen Budgetdefizit – höher, als im Wahlkampf angenommen – entgegenwirken?
Jedes Ressort muss sein Budget neu durchdenken, sparsamer wirtschaften und auch das Thema Förderungen neu angehen. Nicht immer muss es eine Geldleistung sein. Es kann für Unternehmen auch sinnvoll sein, Garantien abzugeben. Wichtig ist, dass wir Investitionen auslösen.
Bilder: Kanzler Karl Nehammer im "Heute"-Interview
Wie reagiert die SPÖ darauf, dass Sie neue Steuern kategorisch ablehnen? Andreas Babler will Vermögens- und Erbschaftssteuern unbedingt.
Der Zugang der SPÖ ist, dass eine Einnahmenseite dabei sein muss. Wir sagen: nein. Zuerst gilt es zu prüfen, wo wir die Ausgaben effizienter einsetzen und Geld auch tatsächlich anders ausgeben können, als wir es jetzt tun. Die Rezession ging im dritten Quartal zurück, es gibt Hoffnungsschimmer. Wir dürfen die Wirtschaft jetzt nicht abwürgen, sondern müssen die Menschen dazu bringen, Geld auszugeben. 300 Milliarden Euro liegen in Österreich derzeit auf Sparbüchern – entweder im Festgeld oder am Sparbuch.
Wir haben jetzt darüber gesprochen, was für die Volkspartei nicht geht. Aber wofür soll diese neue Regierung stehen?
Es geht darum, Leuchtturmprojekte zu definieren. Für mich ist klar: Jede Maßnahme, die wir beschließen – sei es im Sozialbereich, im Wirtschaftsbereich, im Sicherheitsbereich, im Integrationsbereich oder im Migrationsbereich – sie muss für die Menschen rasch und schnell nachvollziehbar und spürbar sein.
Das sind schöne Worte, aber wie sollen drei Partner das schaffen, was zuletzt zwei nicht gelungen ist?
Wir brauchen Entbürokratisierung! Weg mit drei Mal ums Eck denken. Die Bürger müssen rasch zu ihrem Geld kommen. Dafür muss der Staat klarer und effizienter werden.
„Leonore Gewessler hat sich mit ihren Alleingängen selbst aus dem Spiel genommen.“
Eine Frage, die unmittelbar mit dem Budget zusammenhängt, sind die laufenden Beamten-Lohnverhandlungen. Sind Sie – wie von der Rechnungshofpräsidentin vorgeschlagen – für eine Nulllohnrunde?
Das ist eine politische Aussage. Ich finde, es ist gute Tradition, dass über Lohnabschlüsse sozialpartnerschaftliche Verhandlungen stattfinden.
Sollten die Neos abspringen: Ist auch eine nur mit einem Mandat abgesicherte Koalition zwischen SPÖ und Neos denkbar?
Sie kennen mich jetzt auch schon länger. An Was-wäre-wenn-Geschichten beteilige ich mich nicht. Die Gespräche in der Dreier-Koalition verlaufen konstruktiv.
Ein Switch zu den Grünen ist für Sie auch ausgeschlossen?
Die Grünen haben sich durch das Vorgehen von Leonore Gewessler selbst aus dem Spiel genommen. Sie hat mit ihren Alleingängen den Weg des Konsenses verlassen und für Sand im Getriebe gesorgt.
Die Ministerposten werden Sie uns wahrscheinlich nicht verraten. Wird die nächste Regierung in Zeiten des Budgetdefizits gleich groß, kleiner oder größer, weil drei Partner im Spiel sind?
Wir haben überhaupt noch nicht über Posten gesprochen. Und zu Symbolen: Das Bruttoinlandsprodukt der Republik Österreich sind 500 Milliarden Euro. Was glauben Sie, wie groß die Budgetrelevanz von einem Ministerium auf oder ab ist? Signale sind für mich nur gute, wenn sie tatsächlich Wirkung entfalten. Was es definitiv nicht mehr geben wird: Riesen-Ressorts wie das Umwelt-, Energie- und Infrastrukturministerium von Leonore Gewessler, wo dann Projekte liegen bleiben, weil sie nicht in der Gesamtheit überblickt werden können.
„Migrationsminister? Hat für mich Charme.“
Die Österreicher erwarten rasch Lösungen beim Migrations- und Integrationsthema. Hätte ein Migrationsminister für Sie Charme?
Es darf jetzt keine Denkverbote geben. Es hat für mich deshalb Charme, weil Migration, Integration, illegale Migration ein Querschnittsthema über mehrere Ministerien ist und sich die Frage stellt: Wie löse ich das auf? Was ich nicht mag, sind reine Überschriften-Ressorts. Alles, was wir also tun, muss mit Budgetkompetenz und echten Zuständigkeiten verbunden sein. Also: Kompetenz, Verantwortung und damit auch Lösungsmöglichkeiten schaffen.
Würden Sie sich als Volkspartei ein solches Migrationsministerium zutrauen?
Die Volkspartei kann sich aufgrund ihrer Erfahrung ganz viele Ressorts zutrauen – warum nicht auch ein Migrationsministerium? Die Bürgerinnen und Bürger leiden darunter, dass es hier Fehlentwicklungen gegeben hat – und die Volkspartei löst Probleme und lebt nicht davon.
„Herbert Kickl hat es nicht geschafft, eine Mehrheit im Parlament zu finden.“
Sie haben sich am Mittwoch im Parlament außertourlich zu Wort gemeldet, hart mit Herbert Kickl abgerechnet und ihm "Desinformation" vorgeworfen. Warum so emotional – er hat ja tatsächlich die Wahl gewonnen und an ihm vorbei wird nun eine Regierung verhandelt …
Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich es für einen ganz fatalen Irrweg halte, den die FPÖ da geht und ein Bild zu zeichnen versucht, dass das, was jetzt passiert, undemokratisch sei. Fakt ist: Ja, Herbert Kickl ist mit der FPÖ stimmenstärkste Partei geworden. Er hat es aber nicht geschafft, eine Mehrheit im Parlament zu finden.
Die Programme Ihrer Parteien überschneiden sich in vielen Bereichen. Warum gehen Sie nicht mit der FPÖ eine Regierung ein?
Ich habe Herbert Kickl in einem persönlichen Gespräch die Möglichkeit gegeben, von seinen Positionen abzurücken. Er ist nicht bereit, sich zu ändern.
Von welchen Positionen sprechen Sie?
Fahndungslisten zu erstellen, nach oben zu treten, Verantwortung für die Covid-Toten zu übernehmen und die Täterdefinition in der Frage des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zu korrigieren. Da kommt nichts. Und jetzt steht er im Trotzwinkel und sagt: Der Nehammer ist so gemein und will mit mir nicht zusammenarbeiten. Mit ihm geht es nicht.
„Ich bin aber sicher, dass Christopher Drexler der beste Landeshauptmann für die Steiermark ist.“
Abschließend: Wird das Wahlergebnis in der Steiermark mit einem zu erwartenden ÖVP-Minus die Koalitionsgespräche noch einmal durchrütteln?
Es wird sicher jemand auf Bundesebene Ursachenforschung betreiben. Fakt ist: Es sind Landtagswahlen und die Bürger unterscheiden sehr genau zwischen Wahlgängen auf Bundes-, Länder oder Gemeindeebene. Insofern sehe ich es entspannt. Ich bin aber sicher, dass Christopher Drexler der beste Landeshauptmann für die Steiermark ist.
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Auf den Punkt gebracht
- Bundeskanzler Karl Nehammer spricht in einem Interview mit "Heute" über die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos.
- Er betont die Notwendigkeit von Reformen und einer effizienten Ausgabenpolitik, lehnt neue Steuern ab und kritisiert die FPÖ und deren Vorsitzenden Herbert Kickl für ihre unnachgiebigen Positionen.