"Fahrlässige Blockade"
WWF nennt größte Gefahr für unsere Ernährungssicherheit
Das EU-Renaturierungsgesetz steht auf der Kippe – auch weil unsere Landeskaiser eine Zustimmung Österreichs blockieren. Der WWF kritisiert das scharf.
Das EU-Renaturierungsgesetz hat ambitionierte Ziele. Es soll unser aller Lebensgrundlage sichern, indem es das Artensterben eindämmt und die Landwirtschaft der Union resilienter gegen die kommenden Veränderungen des Klimawandels macht. Im letzten Moment steht es nun aber auf der Kippe – auch wegen der österreichischen Landeshauptleute.
Das EU-Renaturierungsgesetz gefährde die heimische Ernährungssicherheit, behauptete Johanna Mikl-Leitner (ÖVP, NÖ) stellvertretend für die Landeskaiser vor wenigen Tagen noch im ORF. Ihre Sorge gelte vor allem der Landwirtschaft: "Wenn hier produktive Ackerflächen stillgelegt werden, dann heißt das auch weniger heimische Lebensmittelproduktion." Dann müsse mehr importiert werden, wodurch mehr Regenwald abgeholzt würde.
WWF: Landeskaiser verbreiten Fake News
Eine "nicht haltbare Argumentation", mit der Mikl-Leitner vom eigentlichen Thema ablenken wolle, donnern Kritiker. Diese sind in diesem Fall aber nicht Umweltschützer, sondern die drei Präsidenten der Katholische Aktion Österreich (KAÖ), der offiziellen Laienorganisation der katholischen Kirche. Der Widerstand der Landeshauptleute gegen das EU-Renaturierungsgesetz "ist für uns nicht begreiflich."
Die Umweltschützer schweigen angesichts solcher Aussagen aus der Politik aber natürlich nicht. Der WWF kritisierte die "fahrlässige Blockade" der österreichischen Bundesländer am Freitag aufs Schärfste.
"Das Gesetz wäre ein riesiger Fortschritt und genau die richtige Antwort auf die Klima- und Biodiversitätskrise. Dennoch sabotieren die Landeshauptleute derzeit eine Weichenstellung für ganz Europa – aus kleinkarierten, populistischen und inhaltlich längst geklärten Gründen", sagt WWF-Programmleiterin Hanna Simons.
Der WWF fordert die Bundesländer auf, den aktuellen Appell von mehr als 170 Wissenschaftlern ernst zu nehmen und ihre Position faktenbasiert zu überdenken. Einige Landeshauptleute, darunter auch Mikl-Leitner würden immer noch Falschnachrichten über eine nirgends geplante "Stilllegung von Ackerflächen" verbreiten.
Hanna Simons gibt kräftig zurück: "Die größte Gefahr für die Ernährungssicherheit in Österreich sind die Bundesländer, weil sie viel zu wenig gegen den hohen Bodenverbrauch tun. Das ist die bittere Realität".
„Wer beim Naturschutz spart, sägt am eigenen Ast.“
Tatsächlich würde die Umsetzung der EU-Vorgaben ohnehin bei den einzelnen Staaten liegen. Und im beschlossenen Gesetzestext steht klar, dass die Staaten bei der Wiederherstellung von landwirtschaftlichen Ökosystemen nicht nur hinsichtlich des Klimawandels, sondern auch "den sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnissen der ländlichen Gebiete und der Notwendigkeit, eine nachhaltige landwirtschaftliche Erzeugung in der Union zu gewährleisten" Rechnung zu tragen hätten.
"Die Wiederherstellung von Ökosystemen ist ein wesentlicher Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels und zur Verringerung der Risiken für die Ernährungssicherheit", stellten auch die wissenschaftlichen Autoren des 6. IPCC-Sachstandsbericht einhellig klar.
WWF-Programmleiterin Simons unterstreicht das am Freitag noch einmal in aller Deutlichkeit: "Intakte Ökosysteme sind unsere wichtigsten Verbündeten gegen eine Vielzahl von Krisen. Wer daher beim Naturschutz spart, sägt am eigenen Ast".
Daran hängt das EU-Renaturierungsgesetz
Das Europäische Parlament hat am 27. Februar 2024 mit 329 Ja- und 275 Nein-Stimmen, das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur beschlossen. Wegen der überraschenden Kehrtwende Ungarns vor der finalen Abstimmung im EU-Ministerrat Ende März 2024 – im Normalfall eigentlich eine Formsache – hängt es seither in einem gefährlichen Schwebezustand.
Seither wird fieberhaft versucht, die notwendige "qualifizierte Mehrheit" wiederherzustellen. Aktuell sind 18 der 27 EU-Staaten dafür, diese repräsentieren aber nur 63 Prozent der EU-Bevölkerung; 65 Prozent müssten es aber sein. Österreich, das sich wegen der Blockade der Landeskaiser bisher enthalten musste, könnte zum Zünglein an der Waage werden.