Österreich in der Kritik
"Politischer Totengräber": Wilder EU-Streit ums Klima
Im Streit um das EU-Renaturierungsgesetz steht Österreich in der Kritik. Wissenschafter warnen vor drastischen Folgen – die Politik stellt sich quer.
Wenige Wochen vor der EU-Wahl befassen sich die Mitglieder mit dem Renaturierungsgesetz – einem Herzstück des Green Deals. Obwohl unter den Staaten grundsätzlich Konsens herrscht, hakt es bei den Details.
Erst Einigung, dann Rückschlag
Das geplante EU-Gesetz sieht vor, dass künftig mehr Wälder aufgeforstet, Moore wiedervernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Für das Renaturierungsgesetz gab es zuletzt Ende März einen herben Rückschlag, als eine Abstimmung unter den 27 EU-Botschaftern zu dem lange geplanten Vorstoß kurzfristig wieder abgesagt wurde. Damit war auch die vorgesehene Absegnung des Gesetzes durch den Rat der EU-Umweltminister vorerst wieder vom Tisch.
"Gesetz wird nicht zurückgezogen"
EU-Experte und Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, Paul Schmidt, betonte, dass eine Einigung kurz bevorstehe. So sind aktuell 18 EU-Staaten für das Renaturierungsgesetz, neun – darunter Österreich – enthalten sich. Das repräsentiert 63 Prozent der Bevölkerung, für den Abschluss braucht es allerdings eine qualifizierte Mehrheit, also 65 Prozent.
Daher wäre eine Zustimmung Österreichs "jedenfalls" ausschlaggebend, so Schmidt. Dennoch zeigte sich der EU-Experte zuversichtlich, es gebe ein "hohes Interesse", das Gesetz durchs Ziel zu bringen. "Das Renaturierungsgesetz wird sicher nicht zurückgezogen", sagte er.
Wissenschaftler schlagen Alarm
Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) erklärte, dass sie für das Gesetz stimmen würde, wenn es nicht das Nein der Bundesländer gäbe. Gewessler betont, dass das Gesetz dazu beitragen soll, die letzten unberührten Landschaften des Kontinents zu erhalten und der Natur mehr Platz zum Entfalten zu geben.
Aus dem Grund haben mehr als 170 Wissenschaftler gemeinsam einen offenen Brief an die Landeshauptleute verfasst, um für ein positives Votum Österreichs für das geplante Renaturierungsgesetz der EU zu werben. Unterzeichnet ist der Brief unter anderem vom Ökologen Franz Essl, dem Umweltmediziner Hans-Peter Hutter oder der Umwelthistorikerin Verena Winiwarter.
"Politischer Totengräber"
Im Falle einer weiteren Blockade "droht ausgerechnet Österreich zum politischen Totengräber eines vorbildlichen Ansatzes zu werden, der eine EU-weite Antwort auf die gekoppelte Klima- und Biodiversitätskrise darstellt", hieß es im Brief. "Intakte Ökosysteme sind unsere besten Verbündeten und eine Rundum-Lösung für viele Probleme. Daher ist eine Blockade dieses Gesetzes verantwortungslos und gefährlich", betonte WWF-Programmleiterin Hanna Simons.
Mikl-Leitner bleibt dagegen
Die Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, Mikl-Leitner, lehnt im "Zeit im Bild 2"-Interview das Renaturierungsgesetz weiterhin ab: "Die Renaturierungsrichtlinie, wie sie jetzt vorliegt, bedroht die Landwirtschaft bei uns in Österreich. Denn wenn hier produktive Ackerflächen stillgelegt werden, heißt das auch weniger heimische Lebensmittelproduktion. Und es heißt, dass wieder mehr Lebensmittel importiert werden müssen, aus verschiedensten Teilen der Welt, wo etwa Regenwälder gerodet werden müssen, um Ackerflächen überhaupt zu bekommen", so Mikl-Leitner.
Der nächste EU-Umweltministerrat findet am 17. Juni in Luxemburg statt. Ob dann über das Gesetz für die Reparatur von Ökosystemen abgestimmt wird, hängt davon ab, ob es vorher eine Einigung unter den Ländern gibt – mit oder ohne Österreich.