Krawalle in Großbritannien

Terror-Experte warnt vor neuem Extremisten-"Drehbuch"

Die schweren Ausschreitungen in Großbritannien nehmen kein Ende. Terrorforscher Peter Neumann warnt, dass es in anderen Ländern auch passieren könnte.

Newsdesk Heute
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    Eine von Rechtsextremisten mit Fake News entfachte Welle der Gewalt hat Großbritannien erfasst.
    Eine von Rechtsextremisten mit Fake News entfachte Welle der Gewalt hat Großbritannien erfasst.
    REUTERS

    Großbritannien erlebt gerade eine brutale Welle der Gewalt, im ganzen Land kommt es nach der Ermordung von drei kleinen Mädchen in Southport zu Krawallen mit Angriffen auf Migranten, Muslime und die Polizei. Auch die Gegenproteste eskalierten.

    Terrorismus-Experten Peter R. Neumann spricht in einem Substack-Beitrag von einer "neuen Qualität" an gewalttätiger Ausschreitungen: "Hier entsteht momentan ein neues 'Drehbuch' für rechtsextreme Proteste".

    Die Faktoren, die diese überhaupt erst möglich gemacht haben, seien leicht auf andere Gesellschaften und Länder übertragbar. Das ist gefährlich: "Wir sollten genau beobachten, was in Großbritannien passiert."

    Den aktuellen Ereignissen in Großbritannien sollen insgesamt sechs kritische Faktoren zugrunde liegen. Drei davon betreffen demnach die Bewegung selbst, die übrigen den "Nährboden", der sie ermöglichte.

    3 Faktoren der Bewegung

    Online-Influencer. Sie spielen für Neumann die mutmaßlich wichtigste Rolle. Personen wie der vorbestrafte Ex-Hooligan Tommy Robinson oder Schauspieler und Rechtsaktivist Laurence Fox – sie haben hunderttausende Follower – würden als inoffizielle Anführer der Bewegung agieren. Das aber nicht im formalen Sinne. Sie würden dem ganzen aber durch Verbreitung von Videoclips und Protestaufrufen eine politisch-ideologische Richtung geben.

    Content Creators. Der Terror-Experte fasst unter diesem Begriff gleich mehrere Personengruppen zusammen. Zum einen Menschen, die teils selbst an den Protesten teilnehmen, dort Kämpfe mit der Polizei und Gegendemonstranten filmen. Zum anderen, selbsternannte "Migrantenjäger", die mutmaßlich illegale Ausländer bei angeblichen Verbrechen dokumentieren. Ebenso dazu zählt er im weiteren Sinn jene, die aus diesem Videomaterial dann kurze Clips erstellen und im Internet verbreiten.

    Peter R. Neumann gilt als bekanntester Experte der Terrorismusforschung im deutschsprachigen Raum.
    Peter R. Neumann gilt als bekanntester Experte der Terrorismusforschung im deutschsprachigen Raum.
    Anna Weise / SZ-Photo / picturedesk.com

    Lokale Netzwerke. Diese seien am Ende entscheidend für die Organisation der Proteste vor Ort. Dabei beobachtet Neumann zwei neue Entwicklungen: Rechtsextreme Gruppen, die sonst eher gespalten agierten, würden sich nun zusammentun. Inzwischen gehe die Mobilisierung auch weit über die "üblichen Verdächtigen" hinaus, umfasse Fußballfans und Otto-Normal-Bürger, die mit der rechtsextremen Szene bisher nichts am Hut hatten. Insgesamt prominent in Erscheinung würden auch jene Netzwerke treten, die Verschwörungstheoretiker und Lockdown-Gegner während der Pandemie vereint hatten. Bemerkenswert sei auch die hohe Beteiligungsrate von Frauen und älteren Personen.

    3 Faktoren des "Nährbodens"

    Soziale Medien. Facebook & Co seien das wichtigste Verbreitungsmittel. Daraus stechen TikTok, Telegram und X besonders hervor. Das Ex-Twitter hat seit der Übernahme durch Elon Musk wieder massiven Zulauf von Rechtsextremen bekommen, Desinformation wird dort de facto gar nicht mehr bekämpft. Dazu ist der Milliardär auch selbst einer, der Beiträge von Persönlichkeiten des rechten Randes teilt und somit für eine enorme Verbreitung sorgt.

    Establishment. Rechtsextreme würden in Großbritannien auch von der stillschweigenden Unterstützung des rechten Teils des Establishments profitieren, schreibt Neumann. Damit meint er nicht nur Rechtspopulisten wie Nigel Farage sondern auch Kommentatoren und rechte Flügel der Konservativen Partei, die sich nach 14 Jahren an der Macht auf einmal in der Opposition wiederfindet und deshalb hemmungslos die neue Labour-Regierung attackiert. "Eine Brandmauer gegen Rechtsaußen, wie in Deutschland, gibt es in Großbritannien nicht", erklärt der Experte dazu.

    Russland? Als letzter möglicher Faktor kommt auch Wladimir Putins Propaganda-Krieg gegen den Westen hinzu. So ist im konkreten Fall bestätigt, dass noch am Tag der Bluttat in Southport der X-Kanal eines Fake-Fernsehsenders die Falschmeldung verbreitete, dass der Killer ein unter Terrorverdacht stehender Asylwerber sei. Innerhalb weniger Stunden wurde diese erfundene Behauptung unter dem Deckmantel echter Nachrichten millionenfach gelesen. Erst zwei Tage später wurde klar, dass der Account aus Russland stammt und schon während der Corona-Pandemie Desinformationen verbreitete.

    Neumanns Fazit

    "Was sich seit einer Woche in Großbritannien abspielt, ist in vielerlei Hinsicht neu und sollte überall in Europa genau beobachtet werden", warnt Neumann. Die genannten Faktoren ließen sich nämlich "im Prinzip in allen westlichen Demokratien aktivieren". Er warnt davor, dass daraus eine Art "Drehbuch" zur Entfachung sozialer Unruhen durch die extreme Rechte entstehen könnte. "Weder Sicherheitsbehörden noch Zivilgesellschaft haben hierauf bisher eine adäquate Antwort."

    Der Terror-Forscher schließt mit einem eindringlichen Appell: "Statt darüber zu streiten, was die größte extremistische Gefahr ist, brauchen wir dringend eine Strategie, die beide strategische Gefahren für die liberale Demokratie — Islamismus und Rechtsextremismus — gleichermaßen ernst nimmt und bekämpft. Vor allem: Wir müssen handeln, bevor es die Extremisten tun."

    Über die Messer-Morde in Southport

    Seit 29. Juli befindet sich Großbritannien in Ausnahmezustand. Kurz vor dem Ende eines Taylor-Swift-Tanzworkshops im englischen Southport war ein Bewaffneter in das Gebäude gestürmt und hatte wahllos auf die anwesenden Kinder eingestochen. Drei kleine Mädchen – Bebe (6), Elsie (7) und Alice (9) – verloren dabei ihre Leben, weitere wurden verletzt.

    Der mutmaßliche Killer, Axel Rudakubana, konnte danach überwältigt werden. Er ist selbst erst 17 Jahre alt, wurde in Cardiff als Sohn ruandischer Eltern geboren und zog 2013 nach Banks in Lancashire. Seit seiner Bluttat befindet er sich in Jugendhaft. Eine erste Anhörung gab es bereits, der nächste Gerichtstermin ist für den 25. Oktober angesetzt.

    Rechtsextremisten verbreiteten daraufhin die Falschmeldungen, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen Muslim und Asylbewerber handle. Schon kurz danach kam es zu ersten Ausschreitungen, die seither das ganze Land überziehen. In mehreren Städten gab es bei den gewalttätigen Krawallen schwere Schäden, auch Dutzende Polizisten wurden im Einsatz verletzt. Es gab schon mindestens 378 Festnahmen, berichtet die BBC Montagabend.

    "Das ist kein Protest", verurteilte Neo-Premier Keir Starmer (Labour) die Ausschreitungen: "Ich werde nicht davor zurückschrecken, es als das zu bezeichnen, was es ist: rechtsextreme Gewalt", fügte er hinzu. Alle Menschen in Großbritannien hätten ein Recht auf Sicherheit, doch jetzt würden Muslime attackiert und "Nazis auf den Straßen salutieren".

    Der Regierungschef hat einen Krisenstab einberufen und will mit der "vollen Härte des Gesetzes" antworten: "Ich garantiere Ihnen, Sie werden es bereuen, an den Unruhen teilgenommen zu haben".

    Die Bilder des Tages

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      Auf den Punkt gebracht

      • In Großbritannien kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen nach der Ermordung von drei kleinen Mädchen in Southport
      • Terrorismus-Experte Peter Neumann warnt vor einer "neuen Qualität" rechtsextremer Proteste und identifiziert sechs kritische Faktoren, die diese ermöglicht haben
      • Die sozialen Unruhen sollten in ganz Europa genau beobachtet werden, da nach dem selben Schema potenziell auch in anderen westlichen Demokratien entfacht werden könnten
      red
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