Pädagogin an Brennpunkt-Schule

Lehrerin klagt:  "Die können keinen ganzen Satz sagen"

Deutsch ist in vielen Klassen eine unverstandene Fremdsprache. Diese Lehrerin in Wien gibt alles, damit ihre Schüler die Sprache lernen.

Michael Pollak
Lehrerin klagt:  "Die können keinen ganzen Satz sagen"
Keiner in dieser Klasse einer Schule innerhalb des Gürtels hat Deutsch als Muttersprache, die Probleme sind groß (Symbolfoto).
ANP / picturedesk.com

Die Missstände in unseren Schulen sind Top-Thema: Im aktuellen Schuljahr können 45 % der Kinder in der ersten Klasse nicht gut genug Deutsch, um im Unterricht mitzukommen, "Heute" berichtet laufend über dieses große Problem.

Das Problem existiert keineswegs nur in der ersten Schulstufe, erzählt diese engagierte Lehrerin einer zweiten Klasse "Heute": "Momentan habe ich drei Kinder, die dem Regelunterricht gar nicht folgen können. Die können nicht einmal einen ganzen Satz sagen, zum Beispiel, 'Frau Lehrerin, ich möchte gerne auf die Toilette gehen' – das können die einfach nicht."

"Sie konnten keinen einzigen Buchstaben"

Für viele ist es schwer zu glauben: Schon das ist für diese Klasse eine große Verbesserung. Wir sprachen mit dieser Lehrerin (23, sie möchte anonym bleiben) bereits im ersten Schuljahr, damals war die Situation viel schlimmer. "Drei meiner Kinder konnten keinen einzigen Buchstaben des Alphabets, sie konnten nicht ihren Namen schreiben."

Mehr als die Hälfte der Kinder ist allerdings in Österreich geboren, doch, "kein einziger hat Deutsch als Muttersprache", so die Lehrerin. Wie viele Kinder in welchem Bezirk Wiens die Sprache gar nicht beherrschen, verdeutlicht diese Grafik.

Vor eineinhalb Jahren stand die Frau zum ersten Mal in der Klasse vor diesen Kindern, "es hat sehr lange gedauert, aber ich kann derzeit einen Unterricht halten, bei dem mehr als die Hälfte der Kinder mitkommt", sagt sie jetzt nicht ohne Stolz.

"Bisher aus Personalmangel nicht möglich"

Das hat sich in dieser Schule verbessert: Fünf bis siebenmal pro Woche besuchen die Kinder, die nicht mitkommen, eine Deutschförderklasse. "Ich habe eine neue Kollegin bekommen, diese Förderklassen an unserer Schule werden endlich langsam aufgestockt." Was bisher aus Personalmangel nicht möglich war, geschieht jetzt regelmäßig. Das, so die Lehrerin, ist einer der wichtigen Bausteine.

Auch viele Schüler, die "gar nicht leistungsstark sind", kommen jetzt mit. Warum? "Viele sind durchgefallen, die hören den Stoff schon mehrmals – jetzt kapieren sie es, endlich haben die eine Ahnung, wovon ich rede."

"Vier Stunden pro Tag sind zu wenig"

Eine kleine Revolution gibt es bei den Erziehungsberechtigten: "Ich habe versucht, die Eltern mit ins Boot zu holen", sagt die Pädagogin zu "Heute". "Die haben endlich verstanden, dass sie mit den Kindern auch zu Hause lernen müssen. Vier Stunden pro Tag in der Schule sind einfach zu wenig. Aber manche Eltern können selbst kein Deutsch, die beherrschen vielleicht nur ein anderes Alphabet."

In manchen dieser Fälle hilft die Technologie. "Früher waren Elterngespräche ein Wahnsinn, man hat Deutsch gesprochen und die Eltern haben nichts verstanden. Jetzt nutzen die einen Übersetzer." Die Lehrerin meint damit Smartphones mit Apps, die in Echtzeit das Gesprochene in eine fremde Sprache übersetzen. So verständigen sich jetzt die Lehrer in dieser Brennpunktschule mit manchen Eltern.

"So sind sie gezwungen, Deutsch zu sprechen"

Nächste Maßnahme: "Ich habe dieses Jahr alle arabischen Kinder auseinandergesetzt, dazwischen sitzen Kinder mit anderen Muttersprachen – so sind sie gezwungen miteinander Deutsch zu sprechen. Das ist schwer, wenn mehr als die Hälfte der Klasse arabischstämmig ist, aber es geht irgendwie", sagt die Frau, die vor einem Jahr keinen Ausweg aus der Misere gesehen hat. Jetzt ist sie optimistisch: "Ich mache viel, die Kinder versuchen es auch!"

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Zusätzlich übt die Lehrerin Extra-Druck aus auf die Kinder: "Die Schulnachricht rückt näher – ich sage ihnen, das ist sehr wichtig. Jetzt geben sie Gas. Und auch den Eltern habe ich erklärt, dass ihre Kinder durchfallen werden. Sie hätten dann ein ganzes Jahr vergeudet, wenn sie nicht liefern. Wenn man ein wenig droht, dann bewegt sich was!" Es gibt wieder Hoffnung – zumindest für diese Klasse.

Situation nicht verschlechtert, nur "verändert"

Am späten Donnerstagabend nahm in der "ZIB2" bei ORF-Moderator Martin Thür die designierte Bildungsdirektorin, Elisabeth Fuchs, Stellung. Ich würde das nicht so sehen, so Fuchs auf die Frage, wie sehr sich die Situation in den Wiener Schulen in den letzten Jahren verschlechtert habe – sie habe sich vielmehr "verändert", durch gesellschaftliche Herausforderungen und Krisen wie Corona und dem Ukraine-Krieg mit Flüchtlingen. Wien habe "etwas gestemmt, das kein anderes Bundesland in dieser Zeit oder zuvor gestemmt hat", so Fuchs, zahlreiche neue Schüler seien unterjährig aufgenommen und in den Schulbetrieb integriert worden.

Fuchs erklärte zudem, dass einerseits Schüler, die kaum Deutsch können, in den Schulbetrieb eingegliedert werden können und andererseits gleichzeitig die anderen Schüler keine Einbußen bei der Qualität der Ausbildung erleben würden – das könne man nicht nur schaffen, das müsse man auch. Dass Lehrkräfte bis zu zweieinhalb Jahre auf Dienstverträge warten müssten, begründete Fuchs mit Personalmangel in der Bildungsdirektion: "Da müssen wir noch besser werden." Klar sei aber: Dienstverträge werde es geben. Containerklassen bezeichnete Fuchs schließlich als "Mobilklassen", die "ganz in Ordnung" seien, denn es handle sich auch um "schöne Container". Dennoch würden die "nicht für immer bleiben", der Plan seien Zubauten für die Schulen.

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    Auf den Punkt gebracht

    • Eine engagierte Lehrerin an einer Wiener Brennpunktschule kämpft mit den sprachlichen Defiziten ihrer Schüler, von denen viele nicht ausreichend Deutsch sprechen, um dem Unterricht zu folgen.
    • Durch intensive Deutschförderung, die Einbindung der Eltern und innovative Methoden wie den Einsatz von Übersetzungs-Apps, konnte sie jedoch deutliche Fortschritte erzielen und ist nun optimistisch, dass ihre Schüler den Anschluss finden.
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    Akt.