Politologe in der "ZIB2"

Experte ortet "ein Warnzeichen für die Demokratie"

Immer mehr Bürger wollen Rechten ihre Stimme geben, immer mehr machen aber auch gegen Rechtsextremismus mobil. Ein Experte analysiert die Lage.

Newsdesk Heute
Experte ortet "ein Warnzeichen für die Demokratie"
Der deutsche Politikwissenschaftler Herfried Münkler am späten Dienstagabend in der ORF-"ZIB2".
Screenshot ORF

Hunderttausende Menschen gehen in Deutschland seit Tagen gegen rechts und die AfD auf die Straßen, wollen die "Demokratie verteidigen". Auslöser der seit mehreren Tagen andauernden Proteste ist ein Bericht des spendenfinanzierten Rechercheportals "Correctiv" über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von Rechtsradikalen in einer Potsdamer Villa vom 25. November. An dem Treffen hatten auch mehrere AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen. Der frühere Kopf der als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte in Potsdam nach eigenen Angaben über "Remigration" gesprochen.

Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang. Nach den ersten Großprotesten in Deutschland gingen am Freitag auch in Österreich Zehntausende Menschen in mehreren Städten auf die Straße, die größte Kundgebung gab es in Wien. Auf der einen Seite immer mehr Menschen, die Rechten nachlaufen, auf der anderen immer mehr Bürger, die gegen sie auf die Straße gehen – wie kann sich das entwickeln? Das beantwortete Herfried Münkler, deutscher Politikwissenschaftler und Autor des Buches "Die Zukunft der Demokratie", am Dienstag im ORF.

Der Ruf nach "starken Männern und Frauen"

Zugeschaltet zu ORF-Moderator Armin Wolf erklärte Münkler, man müsse sich "Sorgen" um die Demokratie machen, die "bedroht" sei und bei der es darauf ankomme, wie man damit umgehe, ob sie "in den Abgrund" stürze oder sich "stabil" halte. Die Demokratien seien weltweit in der Defensive, rechte Autokratien am Vormarsch. Die Demokratie sei begründet auf "der Entschleunigung", das Beraten vor das Entscheiden zu stellen, auf Rationalität, so Münkler. "In bestimmter Hinsicht sind diese Prozesse zu lang geworden", so der Experte. Dadurch komme bei manchen Menschen in der Gesellschaft der Glaube auf, man brauche "starke Männer und Frauen", die etwas durchziehen würden.

Außerdem führe es zu einer "erheblichen Gereiztheit", dass die Zeit des Wohlstands vorbei sei, das äußere sich in Wut und Zusprache zu weit rechten Positionen, so der Politologe. Und wann seien Parteien nicht mehr rechtspopulistisch, sondern rechtsextrem? Der Rechtspopulismus sei "ein Warnzeichen für die Demokratie, dass da etwas problematisch geworden ist, aber keine Kur", so Münkler. Er stelle den demokratischen Rechtsstaat infrage. "Wir haben keine antike Demokratie nach Stimmung", so der Experte, das "steht am Spiel". Rechte würden sich immer darauf berufen, die Stimme des Volkes zu sein, sprechen würde aber nicht das Volk, sondern nur die Demagogen.

Warum funktioniere in der Schweiz, was bei uns nicht geht?

Sei ein Volksentscheid nach Vorbild der Schweizer denn da nicht die Lösung? Nur bedingt, so Münkler. Die Schweizer Bevölkerung sei "geübt und eingeübt" in direkter Demokratie, in Deutschland und Österreich hätten Referenden dagegen vor allem in der Nazizeit stattgefunden. "Da ist auf die Bestimmtheit des Augenblicks gesetzt worden", so Münkler. E habe zwar demokratische Züge gegeben, sei aber auch ein Ausschalten des Nachdenkens über die langfristigen Folgen einer Entscheidung gewesen. Könne man dann nicht Parteien wie die AfD einfach verbieten? "Ich fürchte, im Falle der AfD würde das Gericht sagen, sie ist zwar in Teilen verfassungsfeindlich, aber zu groß, um sie noch verbieten können", so Münkler. 

Ein Verfahren könne sich Jahre hinziehen, man solle der AfD deswegen nicht "die Opferrolle" schenken, sondern sich ihr politisch entgegenstellen. Der "Erosion der Mitte" müsse entgegengewirkt werden, diese habe der Weimarer Republik den Todesstoß versetzt – nun müsse die Mitte aufstehen, um gegen solche Entwicklungen jetzt zu protestieren. Die Deutschen seien in sehr viel höherer Weise "immunisiert gegen Rechtsextremismus" als die europäischen Nachbarn, so Münkler. Die Brandmauer in Deutschland sei die Entscheidung der Parteien der Mitte, keine Koalition mit rechtsextremen Parteien einzugehen. "Das ist etwas, das relativ viele Leute bewegt", so Münkler. Parteien würden zwar immer wieder Mehrheiten liebäugeln, aber letztlich würden sie "die Finger davon lassen", weil sie dann in der Mitte massiv Stimmen verlieren würden.

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red
Akt.