Vor fünf Jahren tauchte in China ein neues Virus auf, das später den Namen Sars-CoV-2 erhielt. Erste offiziell bestätigte Infektionen wurden Anfang Dezember in Wuhan erfasst. Es folgte eine Pandemie. Wie ist die Situation heute?
"Covid ist immer noch keine normale Erkältung", sagt Christian Drosten vom Institut für Virologie der Charité Berlin. "Viele Patienten fühlen sich sehr krank, wenn sie infiziert sind." Die Sterblichkeit habe sich aber aufgrund der Immunität durch Impfungen und überstandene Infektionen deutlich verringert, sie sei nun etwa so hoch wie bei der Grippe. Diese sollte man nicht mit einem grippalen Infekt verwechseln, so Carsten Watzl von der TU Dortmund: "Wer schon einmal eine echte Grippe hatte, hat großen Respekt davor."
Drosten analysierte die Virus-Situation auch am späten Dienstagabend in der ORF-"ZIB2" bei Moderator Armin Wolf. Mittlerweile sei die Sterblichkeit bei Corona in etwa so hoch wie bei der Influenza – hätten alle, die das von Anfang an gesagt hatten, doch recht? Nein, so Drosten, zu Beginn sei Corona in etwa 20 Mal tödlicher gewesen. Die Sterblichkeit habe sich verringert, das habe man auch so mit der Impfung erreichen wollen, so Drosten. Zum Schlagwort Herdenimmunität sagte Drosten: "Die bildet sich jetzt so nachhaltig heraus", so gut wie jeder Österreicher hätten sich am Boden einer Impfung bereits mehrmals infiziert. Strafen im Freien, etwa beim Sitzen auf Bänken, hätte es dagegen weniger gebraucht.
Dem Vorschlag in der Pandemie-Zeit, Risikogruppen zu impfen und bei allen anderen die Infektion "durchrauschen" zu lassen ohne Maßnahmen, könne Drosten auch heute noch nichts abgewinnen: "Da wären schlimme Dinge passiert." In anderen Ländern, in denen Systeme wie hierzulande nicht möglich gewesen seien, hätten sich Massenausbrüche mit auch sehr vielen jüngeren Menschen gezeigt, die an Corona verstorben seien. Man habe auch gesehen, dass bei einer Welle nach zwei, drei Wochen "energisch gebremst" werden musste, so der Experte.
Deutschland und Österreich seien sehr früh dran bei der Erkennung der Welle gewesen, hätten Maßnahmen treffen können, "bevor die Krankenhäuser sich füllten", so Drosten. Dass es Studien gibt, die keinen Zusammenhang zwischen der Intensität der Maßnahmen und der Zahl der Todesfälle feststellten, stellte Drosten nicht in Abrede, es gebe aber genauso welche, die dies belegen würden. "Man hat hier einfach eine Vielfältigkeit in der Herangehensweise", so der Virologe, es sei aber so, "dass die Maßnahmen im Wesentlichen gewirkt haben und sehr stark".
Es sei nachweisbar, dass das Vermeiden von Menschenansammlungen zur Eindämmung von Corona beigetragen habe, so der Experte. Das umstrittene Schließen von Schulen wollte Drosten nicht als Fehler einstufen, je nach Land sei stärker für Arbeitsstätten oder Schulen abgewogen worden, in beiden hätten sich Corona aber verbreitet. "Mir liegen keine Daten vor, die den Schaden der Masken nachweisen", so Drosten zum Maskentragen, sie hätten gewirkt und "sie haben besonders dann gewirkt, wenn eine Pflicht auferlegt wurde", weniger beim freiwilligen Tragen.
Und die Impfung? Die sei "die Rettung" gewesen, so Drosten: "Wir hätten eine sehr schwierige Situation erlebt, nicht nur für das Zusammenleben, auch für die Wirtschaft, wenn diese Impfung nicht so schnell dagewesen wäre." Der Übertragungsschutz der Impfung habe mit der Zeit abgenommen, so der Virologe, er sei aber vorhanden gewesen und habe gewirkt, als es darauf angekommen sei, im Herbst 2021.
Laut dem deutschen Robert Koch-Institut (RKI) gibt es inzwischen deutlich seltener schwere Covid-19-Verläufe als noch in den Jahren 2020 und 2021. Betroffen sind laut Carsten Watzl von der TU Dortmund meist Menschen, die wegen einer Vorerkrankung oder einer Organtransplantation ein schwaches Immunsystem haben.
Wie bei der Grippe wird vor allem bestimmten Gruppen zur Impfung geraten. "Personen ab 60 Jahren und allen, die sich schützen wollen, ist eine Impfdosis zur Auffrischung empfohlen. Ein Mindestabstand von 12 Monaten zur letzten Impfung oder bestätigten Infektion sollte eingehalten werden. Bestimmte Risikogruppen wie immunkompromittierte Personen können auch schon früher (nach 4 Monaten) geimpft werden", heißt es vom Wiener Impfservice.
Die Impfstoffe werden regelmäßig an neu auftretende Varianten angepasst – die es bei Sars-CoV-2 immer noch häufiger gibt als zum Beispiel bei anderen Coronaviren oder bei RSV, wie Watzl erläutert. "Evolutionär ist das Virus noch ein Baby", erklärt der Immunologe. "Seine optimale Anpassung hat es noch nicht gefunden."
"Ich kann mir gut vorstellen, dass auch dieser Erreger sich nach einigen weiteren Jahren beruhigt hat," sagt Drosten. "Aber vielleicht sind es auch Jahrzehnte." Dass noch einmal eine Variante entsteht, die deutlich schlimmere Krankheitsverläufe mit höherem Sterberisiko hervorruft, hält der Virologe für unwahrscheinlich. "Die Bevölkerungsimmunität, die wir jetzt durch Impfungen und überstandene Infektionen erreicht haben, ist robust und wird insgesamt noch stärker."
Langzeitfolgen treten laut Watzl bei den seit einiger Zeit kursierenden Omikron-Varianten deutlich seltener auf als bei den anfangs vorhandenen. Impfungen und überstandene Infektionen reduzieren das Risiko dafür. Womöglich träten solche Nachwirkungen in Zukunft seltener auf als bei anderen Infektionen.
Viele Viruserkrankungen können Probleme wie Herzmuskelentzündungen, Erschöpfungszustände, Depressionen oder Nervenschäden verursachen. Nach einer Grippe zum Beispiel können dauerhafte gesundheitliche Probleme ähnlich denen bei Long Covid auftreten – "Long Flu" wird dieses Phänomen genannt.
Bei Covid sind Langzeitfolgen laut Drosten aber derzeit noch deutlich erkennbar. Auch junge und fitte Personen können betroffen sein, wie der Fall der Schweizer Rad-Profi Marlen Reusser zeigt.
Drosten verweist auf eine aktuelle Auswertung, der zufolge etwa sechs Prozent der Corona-Infizierten mit Symptomen Long Covid bekommen. Sie zeigten drei Monate nach der Erkrankung noch mindestens einen von drei Symptomkomplexen: schmerzbedingte Erschöpfungszustände, reduzierte geistige Leistungsfähigkeit oder deutliche Atemwegs- und Covid-Symptome.
So wird Long Covid definiert
Long Covid – auch als Post-Covid-19-Erkrankung bezeichnet – kann nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus auftreten. Die WHO spricht von einer Post-Covid-19-Erkrankung, wenn drei Monate nach einer bestätigten oder wahrscheinlichen Ansteckung mit dem Coronavirus Symptome bestehen, die Symptome seit mindestens zwei Monaten andauern und diese nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden können. Die meisten Symptome einer Post-Covid-19-Erkrankung beeinträchtigen die Funktionsfähigkeit im Alltag. Die häufigsten Symptome einer Post-Covid-19 Erkrankung sind: starke Müdigkeit, Erschöpfung und Belastungsintoleranz, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden, Konzentrations- und Gedächtnisprobleme.
Die genauen Ursachen sind noch immer unklar. Es werden mehrere vermutet. Kürzlich haben Forschende von Helmholtz Munich und der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) einen Mechanismus identifiziert, der möglicherweise die neurologischen Symptome von Long Covid erklärt. Ihre Studie zeigt, dass das Spike-Protein von Sars-CoV-2 in den schützenden Schichten des Gehirns, den Hirnhäuten, und im Knochenmark des Schädels bis zu vier Jahre nach der Infektion verbleibt, was chronische Entzündungen auslösen und das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen erhöhen kann.
Die Behandlung von Long Covid bleibt aufgrund der von Patient zu Patient sehr unterschiedlichen Symptome eine Herausforderung. Eine für alle Betroffenen verwendbare standardisierte Therapie oder spezifische Medikamente gibt es nicht, sehr wohl aber spezialisierte Long-Covid-Ambulanzen und Reha-Einrichtungen.
Wie oft jemand von Sars-CoV-2 erwischt wird, ist dabei individuell sehr unterschiedlich. "Manche hatten es erst einmal, manche schon fünfmal", sagt Watzl. Daten zu anderen schon lange kursierenden Coronaviren zeigen demnach einen mittleren Abstand von etwa zweieinhalb bis vier Jahren bis zur nächsten Erkrankung.
Zwar wurden in einigen Ländern Pandemie-Pläne entstaubt oder überhaupt erst geschaffen. Doch ein aktuelles Beispiel zeigt, dass im Zweifelsfall weiterhin zu wenig geschieht, um die Ausbreitung gefährlicher Erreger so früh wie möglich zu stoppen: die Vogelgrippe H5N1 in US-Milchviehbetrieben. Seit den ersten Nachweisen im März wurden dem US-Landwirtschaftsministerium H5N1-Fälle in Hunderten Betrieben in vielen Bundesstaaten erfasst.
"Es sei leider nicht zu erkennen, dass Maßnahmen ergriffen werden, die das Geschehen schnell stoppen würden", sagt Martin Beer, Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) auf der Insel Riems bei Greifswald.
Auch Drosten bemängelt fehlende Dateneinsicht und gezielte Infektionsüberwachung, "bei Tieren und Menschen." Angesichts der öffentlichen Ankündigungen aus Kreisen der künftigen Regierung müsse man sich über die weitere Entwicklung Sorgen machen. "Desinformation und Populismus gefährden die Gesundheit der Bevölkerung."
Denn das Virus könne auch andere Säugetiere und Menschen infizieren, so Drosten. Zudem bestehe die Gefahr, dass ein neuer, gefährlicher Erreger entsteht. Zum Glück sei das bei Milchkühen zirkulierende Virus bei Säugetieren noch schlecht übertragbar, erklärt Drosten. Zudem könnte sich diese Viruslinie nicht so effektiv mit menschlichen Viren zusammentun. "Dennoch sollte man alles daran setzen, die übliche Verbreitung bei Kühen zu beenden, möglichst noch vor der Grippesaison", betont der Virologe. "Ich befürchte allerdings, den Zeitpunkt dazu hat man inzwischen verpasst."