Wie seine Vorgänger Karl Nehammer und Sebastian Kurz hat auch Bundeskanzler Christian Stocker (64) das geschichtsträchtige Kreisky-Zimmer als Arbeitsraum gewählt. Zum "Heute"-Interview kommt er bestens gelaunt – Stocker trägt zur Abwechslung keinen Dreiteiler – und trinkt Espresso mit einem Stück Süßstoff. Auf seinem Schreibtisch steht ein riesiger Obstkorb ("Meine Mitarbeiter achten darauf, dass ich auch Gesundes esse") und ein Lego-Modell seiner Vespa 125-GTS ("von Bundesministerin Plakolm zusammengebaut").
Das "Heute"-Interview über seinen bevorstehenden Geburtstag, Arbeiten im Alter und warum die Bundesregierung beim Thema Familiennachzug nachschärft:
"Heute": Herr Bundeskanzler, Sie feiern am Donnerstag Ihren 65. Geburtstag – eigentlich sind Sie also im Pensionsalter. Warum tun Sie sich diesen Job an?
Christian Stocker: Verantwortung für Österreich zu übernehmen, ist eine Verantwortung, der man sich nicht entziehen kann und der ich mich auch nicht entziehen möchte. Ich gehe mit großem Respekt an diese Aufgabe heran. Dass ich am Donnerstag 65 werde und weiterarbeite, zeigt, dass ich mich an das Regierungsprogramm halte. Da steht Arbeiten im Alter drinnen.
Kommen Sie dann auch in den Genuss der 25-Prozent-Flattax?
Das ist jedenfalls nicht meine Motivation. Es geht darum, für dieses Land Verantwortung zu tragen in einer Konstellation, die für alle neu ist. Zu dritt.
Was ist Ihr persönliches Ziel in dieser Koalition?
Zu zeigen, dass es fünf gute Jahre für Österreich ohne Herbert Kickl geben kann. Die Lage ist geopolitisch, europäisch und wirtschaftlich schwierig – aber ich werde mich dieser Herausforderung stellen.
Haben Sie sich schon an das neue öffentliche Leben samt permanenter Cobra-Bewachung gewöhnt?
Es ist natürlich eine massive Umstellung, aber ich gewöhne mich langsam daran.
Die Regierung legt morgen ihre erste Arbeitsklausur ein. Was soll beschlossen werden?
Der Schwerpunkt liegt auf wirtschaftlichen Themen. Österreich ist aufgrund der globalen Situation mit den wirtschaftlichen Unwägbarkeiten und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine in einer sehr schwierigen Situation – da gibt es nichts zu beschönigen. Wir wollen die Fachmeinung von Wirtschaftsforschern einholen, um uns bestmöglich aufstellen zu können und eine Grundlage für die Budgetverhandlungen zu haben. Man muss den Menschen auch die Wahrheit sagen: Wir werden budgetär in den nächsten Jahren weniger Spielraum haben, als wir das gerne hätten.
„Es geht darum, prophylaktisch Schritte zu setzen, damit die Familiennachzugs-Zahlen nie wieder so hoch werden können.“Christian StockerBundeskanzler (ÖVP)
Haben Sie noch Maßnahmen in petto, sollte sich herausstellen, dass das 6,4-Milliarden-Paket nicht ausreicht?
Ich sage ganz offen: Ich kann nicht ausschließen, dass sich die Situation schlechter entwickelt, als wir es angenommen haben. Bis jetzt liegen aber noch keine konkreten Zahlen am Tisch – es ist etwa fraglich, wie sich die Verteidigungskosten entwickeln. Wenn die Einsparungen, die wir vorgesehen haben, nicht ausreichen, werden wir über weitere Maßnahmen nachdenken müssen.
Eine der ersten Aktionen der Regierung war der Stopp des Familiennachzugs. Aber ist das in Wahrheit kein Schmähpaket? In den letzten Jahren sind knapp 20.000 ins Land gekommen, zuletzt allerdings nur noch 60 Personen.
Dafür ist das Thema viel zu ernst. Es ist richtig, dass die Zahlen zuletzt gesunken sind. Es geht aber darum, nicht immer hinterherzulaufen, sondern prophylaktisch Schritte zu setzen, damit die Zahlen nie wieder so hoch werden können. Das ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, wie viele Anträge theoretisch möglich sind.
Wie viele sind das?
Mir wurde gesagt: Noch einmal 20.000 mehr. Wenn wir darauf nicht jetzt reagieren, schützen wir unser System nicht vor Überlastung, sondern nehmen sie mutwillig in Kauf. Und das tue ich sicher nicht.
Aber glauben Sie ernsthaft, Herbert Kickls Höhenflug mit diesem Paket stoppen zu können?
Es geht nicht um Herbert Kickl oder die FPÖ, sondern darum Themen zu lösen, die am Tisch liegen.
„Lesen, Schreiben und Rechnen sollen wieder als Grundkompetenz vorausgesetzt werden können.“
Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung erwartet sich Abschiebungen im großen Stil, etwa nach Syrien und Afghanistan.
Auch hier zeigt sich die Handschrift der Volkspartei – auf europäischer Ebene. Kommissar Magnus Brunner zeichnet für das Thema verantwortlich und hat bereits eine Rückführungsverordnung angekündigt. Damit soll es leichter werden, in jene Länder abzuschieben, in die das bisher nicht möglich war. Entsprechende Impulse gehen also von Österreich aus und das freut mich sehr.
Wenn Sie lesen, was Eltern und Lehrer über die Zustände in Schulen berichten – dass dort kaum noch unterrichtet werden kann, weil sich das Dauerthema Migration in den Klassenzimmern entlädt – verstehen Sie dann den Frust vieler Menschen?
Ja. Deshalb haben wir im Regierungsprogramm unser Augenmerk darauf gelegt, das Schulsystem wieder dorthin zu bekommen, dass Lesen, Schreiben und Rechnen bei einer Mittleren Reife wieder als Grundkompetenz vorausgesetzt werden können.
Wie wollen Sie bei Zuwanderern ansetzen, die die Sprache nicht erlernen und sich eigentlich gar nicht integrieren wollen?
Wir fordern im Verhältnis Eltern-Schüler-Schulsystem künftig eine Mitwirkungspflicht der Eltern ein. Wird diese nicht erfüllt, ist das künftig mit Sanktionen verbunden. Unser Zusammenleben kann nur gelingen, wenn die Kinder in der Schule mit den Kompetenzen ausgestattet werden, die sie für das Leben in Österreich und unseren Arbeitsmarkt benötigen. Die Republik stellt das zur Verfügung, es muss allerdings auch in Anspruch genommen werden.
Von welchen Sanktionen sprechen wir?
Das können Verwaltungsstrafen sein.
Soll das Kreuz im Klassenzimmer hängen bleiben?
Ja.
Sind Sie eigentlich ein gläubiger Mensch mit regelmäßigen Messbesuchen?
Ja.
„Nur mit Vollzeitarbeit können wir unser Sozialsystem aufrechterhalten.“
In einer aktuellen "Heute"-Umfrage fordern 51 Prozent der Befragten Einschnitte beim geringfügigen Zuverdienst zum AMS-Geld. Kommen diese?
Es gibt Überlegungen, den geringfügigen Zuverdienst zu reformieren. Man muss aufpassen, damit nicht jene zu treffen, bei denen es eine existenzsichernde Maßnahme darstellt – etwa Alleinerzieherinnen. Grundsätzlich ist es aber unser Ziel, möglichst viele Menschen in reguläre Arbeitsverhältnisse zu bekommen. Denn nur mit Vollzeitarbeit können wir unser Sozialsystem aufrechterhalten. Ich sage aber dazu: Hat jemand Betreuungspflichten, wird er selbstverständlich weiter Teilzeitmodelle in Anspruch nehmen können.
Die Volkspartei betont immer den Wert von Leistung. Welche Maßnahmen setzt diese Regierung für die Fleißigen?
Es kommt die Möglichkeit einer steuerlich begünstigten Mitarbeiterprämie. Auch die Überstunden-Begünstigung ist etwas, wo Leistung belohnt wird, die über die Normalarbeitszeit hinaus erbracht wird. Das Arbeiten über den Pensionsantritt hinaus wird künftig mit 25 Prozent endbesteuert – inklusive Sozialversicherungsbeiträgen. Viele Maßnahmen im Regierungsprogramm sind abhängig vom budgetären Spielraum. Es gilt hier wie in der gesamten Gesellschaft: Von nichts kommt nichts. Eine Wahrheit, die sich nicht wegdiskutieren lässt.
Aus für den Klimabonus, Aus für die Strompreisbremse, Aus für die Bildungskarenz – ist es so, dass für Entlastungsmaßnahmen für die breite Masse das Geld fehlt?
Es wäre einfach nicht redlich, würden wir den Eindruck erzeugen, wir hätten Geld in Hülle und Fülle. Im Moment müssen wir das Budget konsolidieren. In der Vergangenheit haben wir aufgrund der Krisen, die uns getroffen haben, vieles an staatlicher Leistung zur Verfügung gestellt – weil es notwendig war. Wir werden das in dieser Form aber nicht fortführen können.
Wurde zu viel Helikoptergeld über dem Land ausgeschüttet?
Dass die Bildungskarenz nicht zu den effizientesten Maßnahmen gehört, kann man im Rechnungshofbericht nachlesen. Der Klimabonus wurde oft als Gießkannenförderung kritisiert – er war vielleicht zu gut gemeint. Die Förderung von Klimaschutzmaßnahmen wird aber nicht auf null gestellt, sondern auf ein Niveau aus der Vergangenheit zurückgefahren.
„Die 100 Prozent von Karl Nehammer beim letzten Parteitag kann ich jedenfalls schwer übertreffen.“
Und die Energiepreisbremse? Die hohen Kosten beschweren die Menschen massiv ...
Die Energiekosten sind nicht nur ein Inflations-, sondern auch ein Standortthema. Wir werden uns dem Thema Energiemarkt und -kosten – insbesondere von Strom – intensiv widmen. Unser Ziel ist jetzt, Strompreise grundsätzlich zu senken und nicht – wie in der Vergangenheit – Anbietern die Differenz staatlich zu fördern. Lösungen wird es nicht von heute auf morgen geben. Der Energiemarkt ist ein sehr komplexer.
Herr Bundeskanzler, geben Sie uns abschließend vielleicht die Gelegenheit, Sie privat etwas besser kennenzulernen. Auf Ihrem Schreibtisch steht das Lego-Modell einer Vespa. Welche fahren Sie privat?
Eine Vespa 125-GTS.
Haben Sie noch Zeit, diesem Vergnügen nachzugehen?
Derzeit bereitet das meinem Personenschutz mehr Sorgen als mir. Die Zeit war in der Vergangenheit aber schon begrenzt. Beim letzten Jahrescheck meinte der Mechaniker: 20 Kilometer im Jahr sind zu wenig.
Wann haben Sie zuletzt Saxofon gespielt?
Zu Weihnachten. Saxofon spielen, Vespa fahren und Fliegenfischen sind in der letzten Zeit leider etwas zu kurz gekommen.
Wie oft haben Sie nach einem Gespräch mit Andreas Babler schon eine Zigarre zur Entspannung rauchen müssen?
Das hat sich zeitlich noch nicht ergeben. Ich kann Sie aber beruhigen: Die Gespräche zu dritt mit Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger waren bisher alle sehr angenehm.
Holen Sie sich eigentlich politische Ratschläge von Ihrer Ehefrau oder Ihrem Sohn, der in der Kommunalpolitik tätig ist?
Politik war in unserem Haushalt immer Thema, wir bewerten das aber nicht über. Gott sei Dank haben wir genügend andere Themen, über die wir uns austauschen können.
Sollte die Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben: Werden Sie fünf Jahre lang Bundeskanzler bleiben?
Wir werden sehen, was die Zeit bringt. Mein Motto lautet: "Fange nie an, aufzuhören und höre nie auf, anzufangen." Dieser Satz hat mein Leben geprägt und es sieht so aus, als würde das auch in Zukunft so sein.
Vorerst müssen Sie sich am 29. März der Wahl zum ÖVP-Obmann stellen. Ihr Vorgänger Karl Nehammer erreichte 100 Prozent Zustimmung. Mit welchem Ergebnis wären Sie zufrieden?
Das Ergebnis von Karl Nehammer kann ich jedenfalls schwer übertreffen …
Herr Bundeskanzler, wir danken für das Gespräch.