"Heute"-Kommentar
Gesetze egal, Verfassung egal: Alleingang und Chaos!
Leonore Gewesslers Vorgehen erinnert an die Klimakleber. "Heute"-Herausgeberin Eva Dichand wünscht sich weniger Polemik in der Politik.
Beobachtet man die österreichische Innenpolitik, kann man sich langsam wirklich nur mehr an den Kopf greifen und verzweifeln. Tausende Dinge – wie die katastrophalen Zustände in der Pflege, ein zusammenbrechendes, überlastetes Schulsystem und unendliche große Herausforderungen in der Integration neu zugewanderter Menschen – wären zu erledigen.
Ein Aufreger jagt den nächsten
Doch statt geeint diese Herausforderungen in Angriff zu nehmen, jagt ein Pseudo-Aufreger den nächsten. Zuerst der vom "Standard" inszenierte Lena-Schilling-Skandal – die angeblich meistgelesene Story, die der mit rund 10,2 Millionen Euro an öffentlichen Geldern (Inserate und Förderungen) unterstützte "Standard" (Druckauflage: gerade einmal 54.000 Zeitungen) je publiziert hat. Dann die FPÖ als stimmenstärkste Partei bei der EU-Wahl und nun Leonore Gewessler, die einfach im Alleingang in der EU für das Renaturierungsgesetz gestimmt hat.
Gesetze egal, Koalitionsvereinbarung egal, Verfassung egal. Gewesslers Vorgehen erinnert an die Klimakleber, die es als durchaus legitim ansehen, dass Tausende Menschen wegen ihnen stundenlang im Stau stehen. Man steht über dem Gesetz. Das ist natürlich nur solange ok, solange es die vermeintlich Richtigen trifft.
Aber stellen Sie sich einmal vor, so eine Vorgehensweise macht Schule. Was würde dann ein Minister der FPÖ auf einmal alles machen können? Oder vielleicht findet als nächstes dann die Polizei, dass man Gesetze nicht so genau befolgen muss.
Auch in der Medienbranche kommt es zu fragwürdigen Entwicklungen. Der Chefredakteur der Qualitätszeitung "Standard" kritisiert öffentlich ein Urteil des Obersten Gerichtshofs als "erbärmlich" und "falsch". Fast FPÖ-Style.
Immer öfter wird in diversen als seriös bezeichneten Medien objektiver Journalismus durch ideologisch gefärbte Berichterstattung ersetzt. Die sogenannte Qualität wandert immer öfter dorthin, wo es hohe Klickraten gibt.
Mehr Wissen, weniger Polemik
Keiner hinterfragt mehr, ob ein EU-weites Renaturierungsgesetz überhaupt Sinn macht und ob das nicht mit nationalen oder vielleicht sogar regionalen Gesetzen besser regelbar wäre. 90 Prozent Rückführung zur Natur – hört sich gut an – aber macht das beispielsweise beim Hochwasserschutz (hier hat die Stadt Wien zu Recht und sehr erfolgreich in die Natur eingegriffen) Sinn? Oder ist es dann auch egal, wenn Wien oder andere Städte in Zukunft wieder überschwemmt werden?
Wie gesagt, wir brauchen mehr Wissen und intelligente Entscheidungen und weniger Polemik und Populismus. Sonst werden wir alle gemeinsam talwärts fahren.