Kanzler-Mahnung zum Abschied

"Ein dermaßen großer Irrglaube, dass es schon wehtut"

Bundeskanzler Alexander Schallenberg warnt vor Abschottungs-Ideen der FPÖ. Zum Abschied sagt er "Heute": "Ich bleibe nur einen Anruf entfernt..."
Clemens Oistric
01.03.2025, 18:00

Wenn am 3. März die erste Dreier-Koalition Österreichs angelobt wird, war Alexander Schallenberg (55, ÖVP) exakt 110 Tage seines Lebens auch Bundeskanzler der Republik. Einmal, nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz, ist er am Höhepunkt der Corona-Pandemie 2021 eingesprungen. Nun, nach dem Abgang Karl Nehammers als Kanzler im Jänner, führte er die aus dem Amt gehende türkis-grüne Regierung an. "Das ist mein Verständnis von Dienst an der Republik", nahm er den neuerlichen Anruf des Bundespräsidenten sportlich.

Vom Pressesprecher in höchste Ämter

Geprägt hat der Spitzen-Diplomat das Land in den letzten Jahren jedoch durch seine Tätigkeit als Außenminister – trittsicher sowohl vor der UNO in New York als auch bei unseren Nachbarn am Balkan. Er, der ehemalige Pressesprecher von Ursula Plassnik und spätere Leiter der Europa-Sektion unter Außenminister Sebastian Kurz, galt im Haus am Minoritenplatz als ausgewiesener Fachexperte. Amtskollegen im Ausland schätzten ihn vor allem auch für seinen trockenen Humor. Das "Heute"-Abschiedsinterview über Putin, die FPÖ und seine persönliche Zukunft:

"Heute": Herr Bundeskanzler, Sie scheiden nach sechs Jahren am Montag aus der Regierung aus. Gehen Sie mit einem lachenden oder weinenden Auge?

Alexander Schallenberg: Es ist ein Wechselbad der Gefühle. Natürlich ist es jetzt eine Zäsur, ich habe ganz besonders den Job als Außenminister unfassbar gerne gemacht. Die Zeit war anspruchsvoll, mein Team wirklich toll. Jetzt ist es an der Zeit, einen Tapetenwechsel vorzunehmen und zu neuen Ufern aufzubrechen.

Was werden Sie in Zukunft tun?

Ich habe noch keinen neuen Job. Ich werde viele Gespräche führen und habe von einem lieben Freund einen guten Rat bekommen: "Nimm' nicht gleich das erste Angebot an."

Worauf freuen Sie sich Montagabend, wenn ein neuer Kanzler und eine neue Außenministerin im Amt sind, am meisten?

Der Montag wird sicherlich ein sehr emotionaler Tag. Ich werde alles tun, um einen kollegialen, professionellen und guten Übergang zu Beate Meinl-Reisinger sicherzustellen. Wir haben schon einige Gespräche geführt, genauso wie unsere Teams. Sie wird von mir jede Form der Unterstützung erfahren, wenn sie sie will. Ich bin überzeugt davon, dass wir in Zeiten wie diesen ein starkes Außenministerium brauchen.

Trauen Sie Beate Meinl-Reisinger den Job zu?

Ja. Und sie wird ein hochprofessionelles Team im Außenministerium um sich haben, das sie mit offenen Armen empfängt.

In welcher Funktion haben Sie der Republik eigentlich am liebsten gedient?

Schwer zu sagen. Der Job als Außenminister war natürlich das Highlight. Aber ich habe auch meine Tätigkeit als Pressesprecher immer als unglaublich bereichernd empfunden. Den Diskurs mit Journalisten habe ich immer sehr geschätzt. Sogar als Minister (lacht). Und ja, ich freue mich darauf, dass ich mich mit Journalisten künftig gemütlich in einem Kaffeehaus treffen und den Diskurs weiter fortführen kann.

„Verantwortung für die Republik zu übernehmen, hat mir große Ehrfurcht eingeflößt.“
Alexander SchallenbergBundeskanzler & Außenminister (ÖVP)
Alexander Schallenberg im "Heute"-Abschiedsinterview mit Clemens Oistric
Helmut Graf

War das Amt des Bundeskanzlers Ihr Karrierehighlight?

Das Amt des Bundeskanzlers ist mit unglaublich viel Kommunikation verbunden. Für jede Entscheidung musst du andere gewinnen. An vorderster Front Verantwortung für die Republik zu übernehmen, hat mir große Ehrfurcht eingeflößt. Ich war sicher nicht fehlerlos, aber ich habe immer versucht, unserem Land bestmöglich zu dienen.

Sie haben in Ihrer Abschiedserklärung gemeint, der Republik zu dienen, war die größte Ehre Ihres Lebens. War das nur eine Floskel oder empfinden Sie das wirklich so?

Nein, das war es.

Menschen, die Sie besser kennen, gestehen Ihnen große Kompetenz als Außenminister zu. Ihren liebsten Job hätten Sie allerdings nur für einige Monate in der Übergangsregierung gemacht – und es war nicht Kanzler. Stimmt das?

Ja, 2019. Ich durfte unter Brigitte Bierlein Kulturminister sein. Ich habe unfassbar viele Freunde in diesem Bereich, Kunst und Kultur sind Teil meines Lebens. Wenn es mir schlecht geht, gehe ich ein Museum oder lese ein Buch. Andere machen Sport – ist auch okay. Für mich ist das mein Hirnsport. Ich werde dem Bereich auch in Zukunft sehr eng verbunden bleiben. Es war eine ehrliche Zuneigung.

„Wir sind der Kontinent der Untergangs-Propheten, der Schwarzmaler. Und in der Disziplin wird Österreich immer einen Stockerlplatz haben.“

Können unsere Museen international mithalten?

Absolut. Das Kunsthistorische Museum ist unser Flugzeugträger – auf einer Ebene mit Prado, Met, dem British Museum oder Louvre. Wenn man sich den Einfluss österreichischer Architekten auf die Architektur des 20. Jahrhunderts ansieht, würde sich auch noch ein Architektur-Bundesmuseum ausgehen. Kultur ist unsere Soft Power. Im Ausland verbindet man Österreich zuallerst mit Mozart.

Ukraine, Migration, sinkender Wohlstand. Wenn wir nun zurück zur Außenpolitik kommen – glauben Sie, dass es auf der Welt jemals wieder ruhiger wird?

Außenpolitik ruht nie. Irgendwo ist immer 12 Uhr. Ich blicke mit Sorge auf Europa. Wir sind in einer sehr herausfordernden Situation. Eines, wogegen ich die letzten Jahre immer versucht habe, anzukämpfen, war die intellektuelle Selbstaufgabe des Westens. Sei es bei den Themen Migration, Klima oder auch Russland – die erste Reaktion hier ist immer: Das schaffen wir nie. Und so laufen wir Gefahr, dass es eine selbsterfüllende Prophezeiung wird. Wir sind der Kontinent der Untergangs-Propheten, der Schwarzmaler. Und in der Disziplin wird Österreich immer einen Stockerlplatz haben.

Das heißt, Sie erachten Europa nicht als schwach, so, wie die USA das jetzt etwa suggerieren wollen?

Wir sind sicher besser, stärker und resilienter, als wir es selbst wahrnehmen – auf Augenhöhe mit den USA oder China. Der einzige Kontinent, der absolut nicht dieser Meinung ist, ist Europa selbst. Das ist ein gravierendes Problem der Selbstwahrnehmung.

Warum glauben Sie, ist das so?

Weil uns intellektuell nicht gefällt, was gerade geschieht. Wir waren ein Kontinent der Seligen und haben gedacht, das bleibt immer so und unsere größten Probleme sind Dekarbonisierung und Mülltrennung. Jetzt ist der Krieg zurück in Europa.

„Putin will die Sowjetunion wieder herstellen. Das ist nicht in unserem Interesse.“

Wird es in der Ukraine noch heuer Frieden geben?

Ich könnte mir für heuer zumindest einen Waffenstillstand oder eine Waffenruhe vorstellen. Aber für eine Friedenslösung müssen viele Prämissen erfüllt sein. Über die Köpfe der Ukrainer hinweg wird es keine Lösung geben. Aber ich warne vor kurzfristigen Zielen zulasten der langfristigen Stabilität.

Das Treffen von Ukraines Präsident Selenski und Donald Trump im Oval Office ist vor der Weltöffentlichkeit eskaliert. Teilen Sie die Einschätzung des US-Präsidenten, dass die Ukraine undankbar ist?

Es geht hier um das Schicksal der Ukraine und letztlich um die Sicherheit Europas. In diesem Streit gäbe es nur einen Sieger und der sitzt in Moskau. Es darf keine Täter-Opfer-Umkehr geben. Zelenskyj fordert zu Recht Sicherheitsgarantien für sein Land und für die Menschen in der Ukraine. Wir Europäer müssen unsere Hausaufgaben machen und weiter intensiv an einem starken und strategisch autonomen Europa arbeiten.

Wenn es zu einer Lösung kommt: Gibt es für Putin die Möglichkeit, dass der Westen im Umgang mit ihm zu einem Status quo ante zurückkehrt?

Nein, mit diesem Präsidenten, mit diesem Regime sehe ich das auf keinen Fall. Georgien, Krim, Ukraine – alle Nachbarn fragen sich: Wer ist der Nächste? Wladimir Putin will die Sowjetunion wiederherstellen. Das ist nicht in unserem Interesse.

Apropos Europa: In den Koalitionsverhandlungen hat die FPÖ offenbar gefordert, die EU-Flagge von öffentlichen Gebäuden abzunehmen und aus internationalen Partnerschaften auszutreten. Was denken Sie angesichts solcher Forderungen über die Freiheitlichen?

In einer globalen Welt zu glauben, dass es Wohlstand und Sicherheit schafft, wenn man die Fenster schließt, die Türe vernagelt und sich hinter dem Herd versteckt – das ist ein dermaßen großer Irrglaube, dass es schon weh tut. Ich halte es für unverantwortlich und verantwortungslos, den Menschen genau das einzureden und ihnen Sand in die Augen zu streuen. Für das Wertefundament der ÖVP war das auch ein großes Problem.

Das heißt, einer "Österreich zuerst"-Mentalität und einer "Festung Österreich" können Sie nichts abzugewinnen?

Für unseren Wohlstand brauchen wir Export. Für Export brauchen wir Handelsverträge und Handelspartner. Für unsere Sicherheit brauchen wir Partner und das Völkerrecht, mit dem Regeln einhergehen. Sich aus dem Ganzen zurückzuziehen, würde zu einer Selbstverarmung und Selbstverzweiflung führen.

„Ich traue der ÖVP in der kommenden Regierung viel zu. Ich denke, dass da Menschen an Bord sind, die das Richtige für Österreich tun.“

Mit Herbert Kickl schließen Sie folglich also die Möglichkeit einer Zusammenarbeit weiter aus?

Ich persönlich habe das für mich immer ausgeschlossen, wiewohl ich jedem Menschen zugestehe, dass er dazulernt und sich ändert.

Abschließend: Was trauen Sie dieser Regierung, was trauen Sie Ihrem Nachfolger Christian Stocker zu?

Ich traue der ÖVP in der kommenden Regierung viel zu. Und ich muss ehrlich sagen: Ich hatte die Freude und Ehre, Christian Stocker in den letzten Wochen näher kennenlernen zu dürfen. Ich bin zutiefst beeindruckt von diesem Mann, seiner Geradlinigkeit und seiner Konsequenz. Bei den Herausforderungen der letzten zwei Monate hätten viele andere schon die Flinte ins Korn geworfen. Ich wünsche meinen Kollegen in der Bundesregierung jedenfalls viel Glück und Erfolg. Wir brauchen ihn genau jetzt als Bundeskanzler. Es ist Crunchtime.

Crunchtime wofür?

Für unsere Wirtschaft. Für unseren Industriestandort. Für unsere Gesellschaft. Für unsere Freiheiten. Ich denke, dass da Menschen an Bord sind, die das Richtige für Österreich tun.

„Ich gehe vom Spielfeld. Das rot-weiß-rote Trikot ziehe ich jedoch nicht aus.“

Und Sie?

Ich werde jetzt Bücher lesen. Also Bücher vom Anfang bis zum Ende lesen. Museen besuchen, Zeit mit meiner Familie verbringen und Freunde treffen. Ich hoffe, sie haben mich nicht alle vergessen und meine Handynummer gelöscht.

Sollten wir demnächst wieder einmal einen Übergangs-Kanzler brauchen, stehen Sie zur Verfügung?

Ich habe eines gelernt in den letzten Jahren: Lebensplanung ist etwas für Anfänger. Ich gehe jetzt vom Spielfeld. Das rot-weiß-rote Trikot ziehe ich jedoch nicht aus. Ich werde keine Kommentierungen von der Seitenlinie vornehmen – aber für alle, die einen Rat brauchen: Ich bleibe nur einen Anruf entfernt…

Herr Bundeskanzler, Herr Außenminister, ich danke Ihnen für das Gespräch.

{title && {title} } coi, {title && {title} } Akt. 02.03.2025, 09:37, 01.03.2025, 18:00
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