Sommer im April nicht normal

Anja Windl im ORF: "Es tut mir in der Seele weh"

Die Klimaaktivistin teilte in einer TV-Diskussion kräftig aus. Rückendeckung gab es von BOKU-Professor Steurer: "Es kommt dicker als befürchtet."

Roman Palman
Anja Windl im ORF: "Es tut mir in der Seele weh"
Anja Windl, Klima-Aktivistin der Letzten Generation, in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Screenshot ORF

Schon 2023 war in seiner Gesamtheit das wärmste Jahr der Messgeschichte. Jetzt legte der Frühling auch für 2024 noch einmal kräftig vor.

Mehr als 30 Grad im Schatten, der früheste jemals gemessene Hitzetag in Österreich am 7. April. Bis zum markanten Wettersturz genau zur Monatsmitte war der April im bundesweiten Flächenmittel unglaubliche 7,3 Grad wärmer als das Klimamittel von 1961 bis 1990.

"Sommer im April: Ist das normal?" Dieser Frage widmete sich am vergangenen Freitag (12. April) auch das ORF-Diskussionsformat "Zur Sache". Die geladenen Gäste – Anja Windl (Klimaaktivistin), Reinhard Steurer (Professor für Klimapolitik, BOKU Wien), Alexander Orlik (Klimatologe GeoSphere Austria) – spannten den gesamten Bogen von alarmiertem Klimaaktivismus bis nüchterner Wissenschaft.

Konterkariert wurden sie von Rosemarie Schwaiger (Kolumnistin "Die Presse") und Günther Kerle (Sprecher der Autoimporteure).

"Sehr besorgniserregend"

Gleich zu Beginn stellte GSA-Experte Alexander Orlik klar, dass an der aktuellen Wetterlage gar nichts normal ist: Solche Temperaturen kämen normalerweise erst Mitte Mai, Anfang Juni vor.

"Man muss schon sagen, es war ein außergewöhnlicher Start in den April. Es war aber nicht nur der April, sondern auch der März als Vorläufer. Und der Februar hat sowieso alles gesprengt."

Klimatologe Alexander Orlik von der GeoSphere Austria in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Klimatologe Alexander Orlik von der GeoSphere Austria in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Screenshot ORF

Dass so früh im Jahr schon 30 Grad und mehr erreicht wurden, bezeichnete der Klimatologe als "sehr besorgniserregend". Er erklärt: "Das gab es natürlich früher auch schon, aber früher ist es halt einmal in zwei, drei, vier Jahrzehnten vorgekommen. Jetzt kommt das schon viel öfter vor." An der Zunahme solcher extremen Wetterlagen erkenne man, dass der Klimawandel "jetzt voll durchschlägt".

Genau dieses Faktum hatte etwa Stratosphären-Springer Felix Baumgartner beim Verfassen seines Wut-Postings gegen Marcus Wadsak wenige Tage vorher ganz offensichtlich nicht verstanden:

Die Folgen für das heimische Ökosystem sind ebenfalls für alle sichtbar. Die Vegetation ist extrem früh aus der Winterruhe aufgewacht, die Obstbäume haben teils Wochen früher geblüht. Das macht den Anbau auch für die Landwirte zur Zitterpartie, denn die gefürchteten Spätfröste, die die Ernte bedrohen, werden dadurch immer wahrscheinlicher.

Eine Gewissensfrage?

Rosemarie Schwaiger hält dagegen die aktuellen Klimaziele schon für zu ambitioniert. Im Studio beklagte sie, dass Aktivisten, Wissenschaftler und Politiker wollten, "dass sich möglichst alle immer möglichst schlecht fühlen".

"Presse"-Kolumnistin Rosemarie Schwaiger in "Zur Sache" am 12. April 2024.
"Presse"-Kolumnistin Rosemarie Schwaiger in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Screenshot ORF

Aus ihrer Sicht solle den Leuten kein schlechtes Gewissen gemacht werden: "Keiner von uns kann in Eigenregie den Klimawandel stoppen. Indem wir uns jetzt einreden, dass wir alle böse und alle schuld sind, ist nix erreicht", betont sie.

Die "Presse"-Kolumnistin möchte lieber schönreden: Die 30 Grad seien für sie ein "sehr angenehmer Frühlingsstart" gewesen.

"Gefahren, die wir nicht kennenlernen wollen"

Hartes Gegenfeuer gab es darauf von Reinhard Steurer: "Wenn man in einer Pippi-Langstrumpf-Welt lebt, wo man sich die Welt macht, wie sie einem gefällt, dann würde ich auch sagen, die Ziele sind zu ambitioniert, weil sie überfordern uns offensichtlich als Gesellschaft, als Politik und so weiter..." Er stellt klar, dass die Ziele aus purer Notwendigkeit und auf Basis wissenschaftlicher Forschung gesetzt wurden.

Reinhard Steurer, BOKU-Professor für Klimapolitik, in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Reinhard Steurer, BOKU-Professor für Klimapolitik, in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Screenshot ORF

"In der Klimakrise ist es so: Man kann sich die Dinge eine Zeit lang zurechtbiegen, weil sie sehr langsam, sehr schleichend ist. Aber auf Dauer wird es nicht gutgehen."

"Früher hat es geheißen, das 2-Grad-Limit ist absolut gefährlich. Wenn man da drüber geht, drohen Gefahren, die wir nicht kennenlernen wollen. Dann hat man gesehen, es geht alles viel schneller, es kommt früher und dicker als befürchtet; 1,5 Grad wär eigentlich ideal. Und daher leiten sich die Ziele ab", erklärt der Boku-Professor.

"Werden keine Insel der Seligen sein"

Doch das 1,5-Grad-Ziel sei auch mit einer Klimaneutralität 2040 nicht mehr zu erreichen, "vielleicht" noch das 2-Grad-Ziel. Der aktuelle Kurs zeigt eher in Richtung 3 Grad: "Es geht einfach darum, ob unsere Zivilisation noch über das Jahrhundert hinaus Bestand hat, oder nicht."

Man könne die Klimaziele verfehlen – "jetzt fühlt es sich auch tatsächlich angenehm an" –, doch es komme bald die Zeit "wo es richtig ernst" werde.

"Ab 2030 ist prognostiziert, dass dann große Ernteausfälle drohen, Hungersnöte und und und... Speziell in anderen Ländern natürlich zuerst, aber wir werden da keine Insel der Seligen sein." Genau das gelte es zu verhindern.

Verkehr ein Haupttreiber der Emissionen

Robuster gegenüber emotionalen Appellen zeigte sich Günther Kerle angesichts der Zukunftsprognosen. "Mir geht es deshalb nicht schlecht. Das muss ich ganz offen sagen", sagt der Sprecher der Automobilimporteure. Er sei sich bewusst, dass der Verkehr einen großen Anteil an den Treibhausgas-Emissionen habe.

Günther Kerle, Vorsitzender und Sprecher der Autoimporteure, in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Günther Kerle, Vorsitzender und Sprecher der Autoimporteure, in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Screenshot ORF

Das Problem sei, dass der CO₂-Ausstoß seit 1990 nicht gesunken sei. Die durch Effizienzsteigerung bei den Motoren gewonnenen Einsparpotenziale wurden durch einen Zuwachs des Verkehrs und dem Trend zu fetteren Vehikeln ausgeglichen. "Das ist nicht ideal."

"Kein schlechtes Gewissen, wenn ich mit Auto fahre"

Der Verkehr erlebe jetzt eine "noch nie dagewesene Umstrukturierung" auf Elektromobilität. Diese sei aber "auch nicht der Stein der Weisen", solange der dafür nötige Strom noch nicht zu hundert Prozent aus Erneuerbaren gewonnen werden kann.

"Die Automobilindustrie hat den ersten Schritt gemacht, viele Milliardeninvestitionen, um den CO₂-Ausstoß im Verkehr zu senken." Er sei überzeugt, dass "Innovation die Triebfeder ist und nicht nur der Verzicht".

"Ich wehre mich dagegen, zu sagen, wir dürfen nicht mehr Autofahren, wir dürfen das nicht machen, wir haben ein schlechtes Gewissen", konstatierte Kerle. "Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich mit meinem Auto fahre."

Regierung "scheißt auf Recht zu überleben"

"Da haben wir jemanden in der Runde, der das garantiert anders sieht", witzelte Moderator Reiner Reitsamer und übergab das Wort an Klimaaktivistin Anja Windl. Diese sei ja sowas wie der "Endgegner" für Günther Kerle. Die Vertreterin der Letzten Generation konterte, dass man schon jetzt durchaus neue Protestwege gehe: "Dass es nicht nur rein dieses auf die Straße kleben bringen wird, dessen sind wir uns bewusst."

Anja Windl, Klima-Aktivistin der Letzten Generation, in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Anja Windl, Klima-Aktivistin der Letzten Generation, in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Screenshot ORF

Dann teilte sie aus. Scharfe Kritik äußerte sie an der österreichischen Regierung, die sich mit einer freiwilligen Stellungnahme in die Schweizer Klimaklage vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof "eingemischt" habe:

"Was man da herauslesen kann: He, wir scheißen auf euer Recht zu überleben, auf eine gute Zukunft."

Windl sieht dabei eine fatale Ignoranz gegenüber den "Schwächsten der Gesellschaft" –  Säuglinge, Kleinkinder, Alte, chronisch Kranke –, die die Auswirkungen des Klimawandels auch in Österreich am härtesten treffen würden. "Da sagt der österreichische Staat gerade: Ihr seid uns komplett egal. Es ist uns wurscht, was mit euch passiert."

"Es tut mir in der Seele weh"

Diese Protestmethode des Straßenklebens habe jedenfalls ihren Zweck erfüllt. Trotz kurzfristigen Gegenwindes habe man es so im Krisenjahr 2023 geschafft, das Problem Klimawandel im öffentlichen Diskurs sichtbar zu halten.

Eine aktuell in "Nature" erschienene Studie habe diesen Erfolg belegt. "Da ging es auch darum, dass diese disruptive Protestform dazu beiträgt, dass die Besorgnis in der Bevölkerung bezüglich der Klimakatastrophe hochgeht." Das beeinflusse schlussendlich auch das Wahlverhalten und das, was die Menschen bereit seien, auch umzusetzen.

Anja Windl und Moderator Reiner Reitsamer in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Anja Windl und Moderator Reiner Reitsamer in "Zur Sache" am 12. April 2024.
Screenshot ORF

Dass sie damit bei eingefleischten Autofans wie Günther Kerle keinen Blumentopf gewinnen, sei ihnen klar. "Es geht ja um diejenigen, die tatsächlich das Ausmaß noch nicht begriffen haben", erläuterte Windl. Die Studienlage sei da eindeutig:

"Es gibt 39 Prozent in der österreichischen Bevölkerung, die tatsächlich der Ansicht sind, sie könnten in der drei Grad heißeren Welt noch ein gutes, schönes Leben führen. Und leider Gottes – es tut mir in der Seele weh –, nein, das wird nicht so sein."

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    ANTHONY ANEX / Keystone / picturedesk.com

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