Gesundheit

Was Tic-Störungen auslöst – Forscher finden die Ursache

Ein Nervennetzwerk, das mehrere Hirnareale umfasst, konnte bei der Behandlung mit einem Hirnschrittmacher identifiziert werden. 

Sabine Primes
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Tics sind auf Fehlfunktionen in einem Netzwerk verschiedener Areale im Gehirn zurückzuführen.
Tics sind auf Fehlfunktionen in einem Netzwerk verschiedener Areale im Gehirn zurückzuführen.
Getty Images/iStockphoto

Ein Forscherteam an der Berliner Universitätsklinik Charité hat eine Nervenstruktur im Gehirn identifiziert, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Tic-Störungen zu spielen scheint. Wie die Charité mitteilt, stießen die Experten bei der Analyse von Patienten, bei denen die Störung durch Verletzungen ausgelöst worden war, auf ein hirnumspannendes Nervennetzwerk.

"In den vergangenen Jahren hat die neurologische Forschung verschiedene Bereiche des Gehirns identifiziert, die für Tics eine Rolle spielen", sagt der Letztautor der Studie Dr. Andreas Horn. Er erklärt: "Unklar blieb jedoch: Welche dieser Hirnareale lösen die Tics aus? Welche sind stattdessen aktiv, um fehlerhafte Prozesse zu kompensieren? Wir konnten jetzt zeigen, dass es nicht eine einzelne Hirnregion ist, die die Verhaltensstörungen verursacht. Tics sind stattdessen auf Fehlfunktionen in einem Netzwerk verschiedener Areale im Gehirn zurückzuführen."

Als Tics werden im medizinischen Sinn plötzlich einschießende, von den Betroffenen nicht (oder nur schwer) steuerbare Bewegungen (zB. Augenzwinkern, Grimassen ziehen, etc.) und/oder Lautäußerungen (Räuspern, Husten, einfache laute oder ganze Worte oder Sätze) verstanden, die sich unregelmäßig wiederholen. Nur in seltenen Fällen kommt es zu den "bekannten" Schimpfworten.
Die Tics beginnen meist im Grundschulalter, können jedoch auch wesentlich früher oder später auftreten. In vielen Fällen geht die Erkrankung mit weiteren Verhaltensauffälligkeiten wie Ängsten und Zwängen, ADHS oder einer Depression einher, die soziale Ausgrenzung der Betroffenen ist eine häufige Folge. Eine der wohl bekanntesten Tic-Störungen ist das Tourette-Syndrom, bei dem verschiedene vokale und motorische Tics gemeinsam auftreten.
Wenn die Tic-Störung sehr ausgeprägt ist, können Medikamente eingesetzt werden. Sonst stehen Therapieformen wie Psychoedukation, Entspannungsübungen und verhaltenstherapeutische Unterstützung im Vordergrund.

Tiefe Hirnstimulation

Bei der folgenden Untersuchung anderer Patienten, die wegen einer Tic-Störung bereits mit einem Hirnschrittmacher behandelt werden, ergab sich demnach ebenfalls eine Verbindung zu diesem neuronalen Netzwerk. Je genauer die Elektroden an dem Netzwerk platziert waren, desto stärker reduzierte die elektrische Stimulation durch die Schrittmacher die Symptome. Die im Fachmagazin Brain veröffentlichten Erkenntnisse könnten die Basis für eine bessere Therapie von schweren Tic-Störungen legen.

"Menschen mit schweren Tic-Störungen profitieren also offenbar am meisten, wenn die tiefe Hirnstimulation auf das Tic-Netzwerk abzielt", sagt Privatdozent Dr. Christos Ganos, Erstautor der Studie und oberärztlicher Leiter der Ambulanz für Tic-Störungen an der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie. "Diese neue Erkenntnis werden wir in Zukunft in die Behandlung unserer Patientinnen und Patienten mit einfließen lassen, indem wir bei der Implantation des Hirnschrittmachers das Tic-Netzwerk berücksichtigen. Wir hoffen, dass wir so den wirklich hohen Leidensdruck für die Betroffenen noch besser abmildern können, um ihnen ein weitestgehend selbstbestimmtes und sozial erfülltes Leben zu ermöglichen."

Fallgeschichten wiesen den Weg

Auf die Spur dieser Struktur kamen die Forscher durch die genaue Analyse bereits veröffentlichter Fallgeschichten von 22 Betroffenen, bei denen Tic-Störungen durch eine Schädigung von Hirnsubstanz etwa durch Unfälle oder Schlaganfälle ausgelöst worden waren. Dies ist eine eher seltene Ursache. Dabei stellten sie fest, dass die verletzten Bereiche nahezu immer zu einem bestimmten Nervengeflecht im Gehirn gehörten.