Politik
Erlaubt, verboten, geduldet: Wiens Demo-Farce
Zwei Stunden vor Beginn stoppte Wiens Polizei am Mittwoch die Palästina-Mahnwache, die sie davor erlaubt hatte. Und die trotzdem stattfand. Warum?
Gedenken, Bedenken Mittwochabend, Wiener Innenstadt, "Stand With Israel": Am Ballhausplatz gedenken 2.000 Menschen und die Polit-Spitze des Landes der Opfer des Terrorangriffs der islamistischen Hamas. Betroffenheit, Entschlossenheit, Solidarität in den Reden. Dann ein Lichtermeer aus Handy-Flashlights.
Einen Kilometer entfernt Die Gruppe "Palästina Solidarität Österreich" will am Stephansplatz eine "Mahnwache" abhalten. Beginn 19 Uhr. Für die Polizei ein sensibler Einsatz, aber beide Veranstaltungen sind genehmigt*. Bis 17 Uhr. Dann ändert sich alles und doch nichts.
Verbote häufen sich In Berlin wollten gestern 250 Menschen "Für ein Freies Palästina" durch die Stadt ziehen. Verboten! Frankfurt prüft ein Verbot einer Demo für Samstag. Paris, Lyon, Straßburg, in Frankreich untersagten mehrere Städte zuletzt Palästinenser-Demos (mit durchwachsenem Erfolg). In Frankreich leben sowohl die größte jüdische als auch die größte muslimische Community in Europa.
Die "Mahnwache für Palästina" in Wien wurde von der Polizei zunächst zugelassen, die Begründung dafür verteidigt. Noch um 14 Uhr berief man sich auf das Versammlungsrecht. Die Demo werde aber "unter Beziehung arabischsprechender Beamt*innen überwacht, um so auf strafrechtliche Vorfälle adäquat" reagieren zu können, twitterte die Polizei. Das Vorliegen einer "Warnung" für die Veranstaltung wurde bestritten.
Um 17 Uhr dann die Kehrtwende Man habe die Veranstaltung einer "Neubewertung" unterzogen, es seien "neue Erkenntnisse" erlangt worden. Also Absage nach dem Versammlungsgesetz. Die Zusammenkunft ziele darauf ab, "ein Klima der Gewalt zu schaffen, um den laufenden Konflikt auf die Straßen Wiens zu tragen". Plötzlich doch? Es seien "gewalttätige Auseinandersetzungen zu erwarten", schrieb die Polizei nun. Sie berief sich auf entdeckte Hamas-Hassbotschaften gegen Israel auf den Einladungen und neue Infos des Verfassungsschutzes.
Das Nichtstattfindende findet doch statt. Die Palästina-Demo beginnt vor 19 Uhr als wäre nichts gewesen. Am Ende wächst sich die Menge auf 500 aus, doppelt so viel wie ursprünglich genehmigt. Und: Es ist keine Mahnwache, sondern lautstarkes Gebrüll, viele Fahnen sind zu sehen, Sprechchöre zu hören, "Allahu akbar". Einige Demonstranten haben sich auf den Boden gesetzt, die Polizei lässt sie gewähren. Zwei Stunden lang geht das so.
Polizei-Versagen? Untertags hat die Polizei viel falsch gemacht, die Demo erst naiv genehmigt, sie dann viel zu spät verboten. Jetzt macht sie alles richtig. Sie eskaliert nicht, hält den Block im Auge, beginnt dann ab 21 Uhr mit der Auflösung, nichts Gröberes passiert. Ein wildes Eingreifen hätte in einer Straßenschlacht enden können, die Demonstranten wären versprengt worden, auch in Richtung Ballhausplatz, so blieb alles unter Kontrolle.
Gefährliche Gruppe Die Hamas steht auf der "EU-Terrorliste". In Österreich ist die Verwendung von Symbolen der Gruppierung nach dem Symbole-Gesetz verboten. Westliche Staaten werden, das weiß der Verfassungsschutz, die "Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN)", von der Hamas als Rückzugsraum betrachtet, die Organisation konzentriert sich auf die Sammlung von Spendengeldern, rekrutiert Anhänger, verbreitet Propaganda. Einzelne Vereine und Personen stehen unter Überwachung des Verfassungsschutzes, sagt das Innenministerium, wer ist geheim.
Doch erstaunlich Wer öffentlich "Tod allen Juden" skandiere, begeht Verhetzung. Strafrahmen: bis zu drei Jahre. Sich auf Österreichs Straßen öffentlich über die Ereignisse im Nahen Osten zu freuen, sei dagegen nicht strafbar, sagt der Salzburger Strafrechtsprofessor Hubert Hinterhofer in der "Presse". Seit Mittwoch kursiert ein Video aus Deutschland in den sozialen Medien, eine Passantin wird zum Terrorangriff befragt. Sie habe ihn daheim gefeiert, sagt sie. Und lacht.
* Präzisierung: Demos müssen in Österreich nicht "genehmigt" werden. Sie sollen im Vorfeld angezeigt werden, die Polizei kann sie gegebenenfalls untersagen (Danke für den Hinweis Georg Bürstmayr).
Was heute sonst noch am Menüplan steht
Vorspeise Ich schreibe ab jetzt hier bei jeder sich bietenden Gelegenheit ein paar Gedanken zum Tag auf. Unter-der Woche-Kopfnüsse ohne Kopfnüsse quasi. Wäre schön, wenn sich bei der Leserschaft diesbezüglicher Appetit regt. Serviervorschlag: Mir die Meinung dazu schreiben!
Nebelsuppe Das Bundesheer startete am Mittwoch die Heimholung von Österreichern aus Israel. Eine Herkules C-130 als Luftbrücke zwischen dem Raum Tel Aviv und Zypern, bis zu 80 Personen Platz pro Flug, 300 wollten mit – Bruchlandung statt PR-Coup. Die greise Maschine konnte nicht abheben, eine ungarische Billig-Airline musste einspringen. Viel Spott und Hohn in der Luft. Zurecht, aber so ist das halt wenn man einem Heer statt Flugzeugen eine Ladung Schrott in den Hangar stellt. Serviervorschlag: Den Koch schimpfen, nicht den Kellner.
Hauptgang Kanzler Karl Nehammer hätte am Donnerstag ab 16 Uhr beim Heurigen NGOs und Publikum seine Burger-Empfehlungen präzisieren sollen – verschoben auf morgen, Termingründe. Neuer Heuriger, statt Neustift nun Rudolfsheim-Fünfhaus, Veggie-Burger statt Gebackene Hendlhax'n. Serviervorschlag: Mäc it easy!
Leckerbissen Die NZZ hat den Wandel der politischen Landkarten von Israel und Palästina über die Jahrhunderte nachgezeichnet. Beeindruckend. Serviervorschlag: Kein Fast Food!
Eher wurscht Die US-Amerikaner gehen immer früher abendessen. Die Reservierung in Lokalen um 17 Uhr sind seit 2019 um 15 Prozent gestiegen. Grund: Neue Stoffwechsel-Studien. Besser drei bis vier Stunden vorm Schlafengehen das letzte Mal was essen. Serviervorschlag: Leerer Teller!