Gesundheit
Vermeintlich ausgerottetes Virus schreckt New York auf
Erstmals seit 9 Jahren ist in den USA ein Fall von Kinderlähmung aufgetaucht. Das Virus hat sich bereits in den benachbarten Landkreis ausgebreitet.
Erstmals seit neun Jahren wurde in den USA im Juli wieder ein Fall von Kinderlähmung nachgewiesen. Kinderlähmung oder Polio – abgekürzt für Poliomyelitis – war einst auf der ganzen Welt verbreitet und gefürchtet. Polio ist eine ansteckende Infektionskrankheit, die Lähmungen auslösen und zum Tod führen kann. Tausende Kinder starben bei Infektionswellen oder trugen dauerhafte Lähmungen davon, bis in den 1950er-Jahren ein Impfstoff gefunden wurde. Inzwischen gilt die Infektionskrankheit in den meisten Weltregionen als ausgerottet. Nur in Ländern wie Afghanistan oder Pakistan tritt Polio immer noch auf. Verbreitet wird das hoch ansteckende Virus oft über verunreinigtes Wasser. Eine vollständige Heilung gibt es bisher nicht.
Auch der Virologe John Dennehy von der City University in New York ging bis zuletzt davon aus, dass Polio "ein Virus auf dem Weg der Ausrottung" sei. Doch dann wurde im Juli der Fall in Pomona (im Landkreis Rockland, knapp 50 Kilometer nördlich von Manhattan im Bundesstaat New York) gemeldet. Seitdem wurde das Virus in Rockland und einem benachbarten Landkreis sowie in der Metropole New York auch in Abwasserproben gefunden – es scheint sich also auszubreiten.
Ungeimpfter junger Mann
Probleme macht in New York vermutlich aber nicht der Wildtyp des Virus. Die in den USA bis zum Jahr 2000 genutzte Schluckimpfung gegen Polio schützt Geimpfte zwar gut vor einer Infektion, kann über mit Impfviren kontaminierte Fäkalien im Abwasser aber zu Ansteckungen bei anderen Menschen führen. Die dabei auftretende Virus-Variante ist zwar schwächer als das Polio-Wildvirus, kann bei Ungeimpften aber immer noch schwere Krankheiten und Lähmungen verursachen. Bei dem Infizierten in Pomona handelte es sich um einen jungen Mann, der nicht gegen Polio geimpft war.
Impfskepsis unter orthodoxen Juden
Örtliche Medien berichteten, dass der Infizierte, ein Mann in den Zwanzigern, einer jüdisch-orthodoxen Gemeinde in Rockland angehört. Orthodoxe Juden stehen Impfungen besonders skeptisch gegenüber und sind im Landkreis Rockland stark vertreten. Mehr als ein Dutzend Rabbiner forderten ihre Gemeindemitglieder kürzlich in einem offenen Brief auf, sich gegen Polio impfen zu lassen.
Polio-Impfauffrischung auch als Erwachsener
Die Polio-Impfung ist der einzig wirksame Schutz vor der Kinderlähmung. In Österreich empfiehlt das Nationale Impfgremium, die Polio-Impfung im 7. bis 9. Lebensjahr einmal auffrischen zu lassen. Danach sollte die Auffrischimpfung im Erwachsenenalter zweimal im Abstand von zehn Jahren erfolgen. Danach ist eine routinemäßige Polio-Impfung-Auffrischung nicht mehr vorgesehen. Gleichzeitig werden dabei meist auch die Impfungen gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten aufgefrischt.
Eine weitere Impfdosis wird nur Erwachsenen empfohlen, deren letzte Auffrischimpfung länger als zehn Jahre zurückliegt und die in Länder mit erhöhtem Infektionsrisiko reisen (Afrika, Asien).
Nur Spitze des Eisbergs?
Ob der Fall in Pomona Teil eines größeren Ausbruchs ist, ist noch unklar. Virologe Dennehy befürchtet, dass es sich nur um die "Spitze des Eisbergs" handelt. Nur ein Teil der Infizierten werde Symptome zeigen und nur ein Bruchteil werde an Paralytischer Poliomyelitis mit den typischen Lähmungen erkranken. Sollte sich die Krankheit ausbreiten, würden aber auch vermehrt schwere Fälle auftreten.
Es handle sich um einen "beunruhigenden, aber nicht überraschenden" Fall, erklärte die New Yorker Gesundheitsbehörde. Sie rief alle Menschen, die noch nicht geimpft sind, auf, sich schnell impfen zu lassen. In Rockland sind die Impfungen sogar kostenfrei. Während die Impfquote bei zweijährigen Kindern nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC landesweit bei 92 Prozent liegt, sind im Bundesstaat New York nur 79 Prozent geimpft. In Rockland hat mit 60 Prozent sogar nur etwas mehr als jedes zweite Kleinkind eine Polio-Impfung erhalten.