Markus Reisner schockt

"Dann bricht das Land einfach zusammen"

Oberst Markus Reisner lässt mit einer düsteren Prognose aufhorchen: Wenn es Kiew nicht gelingt, diese Entwicklung zu stoppen, wird Putin siegen.

Roman Palman
"Dann bricht das Land einfach zusammen"
Oberst Markus Reisner während einer Lage-Analyse des Ukraine-Kriegs im ZDF am 23. Jänner 2025
Screenshot ZDF

Vor bald drei Jahren hat Wladimir Putin den Angriffsbefehl geben und die Ukraine mit Tod und Terror überzogen. Trotz herkulischer Gegenwehr sieht es für die Verteidiger immer düsterer aus. "Die Zeit spielt für Russland und der Ukraine läuft die Zeit davon. Die Ukraine ist gerade dabei, diesen Krieg zu verlieren. Das muss uns bewusst sein", konstatiert Oberst Markus Reisner am 23. Jänner 2025 in Interviews mit dem ZDF und ntv.

Die Lage an der Front, auf operativer Ebene, ist prekär. Die Stadt Pokrowsk, etwa 50 Kilometer nordwestlich der Separatistenhochburg Donezk, läuft gerade in Gefahr, von der russischen Armee von Süden her umschlossen zu werden.

Sie ist ein wichtiger Logistikknoten für die Ukrainer, den auch die Russen "möglichst unzerstört" erobern und danach als "Sprungbrett weiter Richtung Westen" nutzen wollen, sagt der Bundesheer-Offizier. Das, weil die bereits eroberten Städte und Ortschaften weiter östlich größtenteils "dem Erdboden gleichgemacht" worden und daher als Versorgungsstützpunkte wenig brauchbar seien.

<strong>Schlacht um Pokrowsk</strong>, 23. Jänner 2025: in Rot die bereits russisch besetzten Gebiete, in Orange mutmaßliche russische Vorstöße. Grün-schwarze Kreise markieren Orte heftiger Kampfhandlungen.
Schlacht um Pokrowsk, 23. Jänner 2025: in Rot die bereits russisch besetzten Gebiete, in Orange mutmaßliche russische Vorstöße. Grün-schwarze Kreise markieren Orte heftiger Kampfhandlungen.
ISW

Gleichzeitig haben sich die Kreml-Kämpfer hier schon bis auf wenige Kilometer an die Grenze zum nächsten Oblast Dnipropetrowsk vorgearbeitet. Diese zu erreichen, wäre ein "wichtiger Sieg" für die Kriegspropaganda des Kremls – auch wenn die Provinzhauptstadt Dnipro noch lange nicht in Reichweite ist.

Kommt es zu Dammbruch?

Die große Befürchtung: Fällt Pokrowsk, könne es zu einem massiven Durchbruch der Russen kommen. Die Stadt ist Teil der dritten Verteidigungslinie von 2014, dahinter befinde sich laut Reisner nur offenes Land und eine lose Ansammlung an Stellungen: "Russland könnte hier relativ rasch vormarschieren und es kann natürlich sein, dass es hier zu einer Art Dammbruch kommt. Zu einer Panik – so wie es auch die Russen damals in Charkiw erlebt haben – die dazu führen kann, dass sich die ganze Dynamik zum Negativen für die Ukraine auswirkt."

Dass die Russen weiter Meter machen können, liegt auch an den schweren Verlusten, die die Ukraine erlitten hat und bislang nicht ausgleichen konnte. "Die Verbände sind ausgedünnt, haben oft nur Stärken von 40, 50 Prozent an der Front", sagt Reisner. Er betont zudem, dass in Mitteleuropa viele keine Vorstellung von der Ausdehnung des Kampfgebietes hätten – die Frontlinie sei so lange wie die Strecke von Berlin nach Norditalien. "Wir haben den Eindruck 'im Osten nichts Neues', aber tatsächlich ist es so, dass hier Tag für Tag der Kampf vorangeht".

Gräber russischer Soldaten in der Wolgograd-Region, aufgenommen im März 2024.
Gräber russischer Soldaten in der Wolgograd-Region, aufgenommen im März 2024.
AP / picturedesk.com

Eine Million Tote und Verwundete

Genaue Zahlen der Opfer beider Seiten sind weder aus Kiew noch aus Moskau zu bekommen. Zum Ende der Biden-Administration seien US-Militärs von 100.000 bis 140.000 Toten und rund 400.000 Verwundeten alleine in der russischen Armee ausgegangen. Diese Angaben hätten laut Reisner "wohl im Kern ihre Richtigkeit", unabhängige Recherchen unabhängiger russischer Medien untermauern sie. 88.726 russische Gefallene sind ihnen namentlich bekannt.

Auf ukrainischer Seite soll es laut den amerikanischen Angaben ähnlich schlimm aussehen. Im Pentagon gehe man von 80.000 bis 100.000 Gefallenen und ebenfalls rund 400.000 Verwundeten aus. Insgesamt wurden also schon rund eine Million Menschen auf den Schlachtfeldern der Ukraine getötet oder verletzt – die zehntausenden zivilen Opfer sind da noch gar nicht inkludiert.

Der Bundesheer-Oberst zieht im deutschen TV einen erschütternden Vergleich: "Wenn Sie nur den unteren Wert der Gefallenen addieren, heißt das, dass umgerechnet die komplette deutsche Bundeswehr ausgeschaltet worden wäre."

"Da darf man nicht naiv sein"

Russland habe hier trotz des bereits jetzt hohen Blutzolls aufgrund seiner deutlich größeren Bevölkerung den längeren Atem. Eine Revolution aus der Mitte der Gesellschaft heraus zeichne sich bisher nicht ab und immer noch würden sich genug Freiwillige für den Kriegsdienst melden – die russische Armee lockt mit hohen Geldsummen. Reisner: "Bitte vergessen Sie nicht, vielen jungen Soldaten ist oft gar nicht bewusst, was sie an der Front erwartet. Wenn sie dann im Schützengraben stehen, ist es meistens zu spät, umzukehren."

Dazu krache die Wirtschaft zwar bereits sichtlich, doch auch das wären die Russen offenbar noch bereit zu ertragen. Auch puncto der westlichen Sanktionen habe sich Russland als "harter Gegner" erwiesen: "Natürlich schaden die Sanktionen Russland schon heute erheblich. Aber in einem Land, das sich so systematisch vorbereitet und zudem potente Unterstützer [China, Indien, etc.] hat, greifen sie halt nur sehr langsam", stellt der Analyst klar: "Im 21. Jahrhundert gibt es immer wieder Mittel und Möglichkeiten, am Markt das zu bekommen, was man braucht. Da darf man nicht naiv sein." So habe sich auch der Iran trotz schärfster Sanktionen zur Drohnen-Macht aufschwingen können.

Markus Reisner ist seit 1. März 2024 Leiters des Institutes für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt.
Markus Reisner ist seit 1. März 2024 Leiters des Institutes für Offiziersausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt.
Bundesheer/Kristian Bissuti

Auch dank dieser Unterstützer dürfte Putins Armee wohl kaum die Waffen ausgehen: "Es wäre aus meiner Sicht ein Denkfehler zu glauben: Irgendwann haben die Russen kein Gerät mehr, und dann ist der Krieg halt vorbei. Was viele nicht verstehen ist, dass dieser Krieg nicht durch Russland allein geführt wird und ihn Putin allein auch nicht gewinnen kann."

Reisner warnt vor einem zu eingeschränkten Blick auf diesen Krieg: "Wir schauen immer sehr stark auf das operative Gefechtsfeld [Stichwort Pokrowsk, Anm.], weil das die Bilder sind, die uns jeden Tag erreichen. Ich denke aber, dass dieser Krieg eher auf der strategischen Ebene entschieden wird."

"Dann bricht das Land einfach zusammen"

Raketen und Drohnenangriffe auf ukrainisches Hinterland seien hier das größte Problem: "Das ist viel verheerender als alles, was an der Front im Donbass geschieht. Denn wenn die kritische Infrastruktur zerstört ist, kann weder die Industrie Nachschub produzieren, noch die Bevölkerung überleben." Das reiche, um die Ukraine auf Dauer zu zermürben und sei der Grund, warum Wolodimir Selenski seit Langem vehement um mehr Flugabwehr bitten würde.

Der Österreicher sieht bei einer Fortsetzung dieses Bombardements schwarz für die Zukunft des Landes: "Auf der operativen Ebene kann es Kiew durchaus gelingen, den Konflikt einzufrieren. Aber wenn er auf strategischer Ebene weitergeht, bricht das Land einfach zusammen. Dann ist es völlig egal, ob auf russischer Seite ein neuer T-90 oder nur noch ein alter T-34 aus dem Zweiten Weltkrieg herumfährt. Wenn ihm nichts mehr gegenübersteht, marschiert er in Kiew ein."

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    Getty Images/iStockphoto

    Auf den Punkt gebracht

    • Oberst Markus Reisner warnt in einem Interview davor, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland zu verlieren droht, wenn Kiew die aktuelle Entwicklung nicht stoppt.
    • Er betont, dass die Zeit für Russland spielt und die Ukraine aufgrund schwerer Verluste und einer prekären Lage an der Front zunehmend in Bedrängnis gerät, was zu einem möglichen Durchbruch der russischen Armee führen könnte.

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