Inflation galoppiert davon

"Butter und Kanonen" – Russische Wirtschaft entgleist

Die russische Wirtschaft wirkt auf den ersten Blick unerschütterlich, doch im Inneren bröckelt die schöne Fassade, die Risse werden immer größer.

Newsdesk Heute
"Butter und Kanonen" – Russische Wirtschaft entgleist
Die hohe Inflation verteuert den Einkauf in russischen Supermärkten massiv. Butter erreichte zuletzt ein Preisniveau wie in Westeuropa.
REUTERS

Die Inflation in Russland entgleitet Putins Zentralbank zunehmend. Vom angestrebten Ziel war man jetzt im Oktober noch weit entfernt. Mit 8,5 Prozent war die Teuerung im vergangenen Monat doppelt so hoch, wie erhofft – und noch dazu höher als von den Regierungsexperten erwartet worden war.

Der Ökonom und Professor an der Russische Plechanow-Wirtschaftsuniversität Juri Lyandau äußert im Medium "e1.ru" starke Zweifel daran, dass die Inflation eingedämmt werden kann: "Die Zentralbank will bis Ende 2025 eine Inflationsrate von rund 4 Prozent erreichen. Es scheint mir, dass das Fantasie-Prognosen sind". Er selbst könne keine seriöse Vorhersage abgeben: "Das würde sich im Bereich der Wahrsagerei bewegen."

"Keine Anzeichen für schnellen Rückgang der Inflation"

Offensichtlich sei aber, dass der weitere Inflationsverlauf innerhalb Russlands in erster Linie von externen Faktoren und der geopolitischen Lage in der Welt abhängen werde. Dazu komme noch die Gier der russischen Konzerne, die dort, wo Konsumenten kein alternatives Warenangebot hätten, die Preise künstlich in die Höhe treiben.

Die Inflation im Oktober 2024 betrug in Moskau 8,65 Prozent, dem Zentralen Bundesdistrikt 19,12 Prozent und über ganz Russland gemittelt 8,54 Prozent.
Die Inflation im Oktober 2024 betrug in Moskau 8,65 Prozent, dem Zentralen Bundesdistrikt 19,12 Prozent und über ganz Russland gemittelt 8,54 Prozent.
Russische Zentralbank, Daten von Rosstat

"Die Regulierungsbehörde sieht keine Anzeichen für einen schnellen Rückgang der Inflation", so auch Kirill Kulakov von der Nationalen Forschungsuniversität MGSU. Zu Beginn des Herbstes sei die Zahl der an Bürger vergebenen Kredite um 11 Prozent zurückgegangen.

Er rechnet mit einer Beschleunigung dieses Trend durch weitere Erhöhungen des Leitzinses. In Reaktion auf den unkontrolliert rollenden Rubel hatten die Währungshüter der Zentralbank diesen zuletzt Ende Oktober auf 21 Prozent angehoben.

Pleitewelle droht

Die gestiegenen Kreditkosten könnten schon 2025 mehr als 200 Einkaufszentren in ganz Russland in den Ruin getrieben haben, berichtete "Kommersant" Anfang November. Die Union der Shopping-Zentren STV habe beim Wirtschaftsministerium Alarm geschlagen und um eine staatliche Subventionierung ihrer Kreditzinsen gebeten.

Noch halte der Wettbewerb auf dem russischen Markt die Inflation irgendwie in Schach, heißt es bei "e1.ru", Experten würden aber eine Monopolbildung befürchten. Kleinere Unternehmen würden durch wachsende Kosten – Gehälter, Kredite – leiden, denn die Umsätze seien nicht im selben Maße gestiegen. Dadurch komme es zwangsläufig zu einer Konsolidierung, die überlebenden Großkonzerne könnten daraufhin einen höheren Preis diktieren. Das würde die Inflationsspirale noch weiter drehen.

Geldregen für Bürger

Obwohl Unternehmen nun im ganzen Land Investitionspläne auf Eis legen, geben die russischen Bürger dennoch weiter genügend Geld im Bereich der Non-Food-Produkte aus. Das können sie, weil sie durch Putins Kriegswirtschaft aktuell einen Geldregen genießen. Auf lange Sicht gesehen, ist dieser aber schädlich für das Land.

Es besteht nach wie vor ein erheblicher Arbeitskräftemangel. Das Lohnwachstum ist nach wie vor hoch und übersteigt das Wachstum der Arbeitsproduktivität.
Zentralbank der Russischen Föderation
13. September 2024

Hintergrund ist die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt, die die Inflation noch zusätzlich befeuert. Aufgrund des herrschenden Mangels an Arbeitskräften – die Armee lockt mit gut dotierten Boni an die Front, ebenso die Rüstungsindustrie, die unter massivem Produktionsdruck steht – sind auch zivile Unternehmen gezwungen, höhere Gehälter zu bieten. Quer durch alle Branchen sind die Löhne um rund 22 Prozent gestiegen.

"Butter und Kanonen"

"Die Inflation wird nicht durch die normale Marktdynamik angetrieben, sondern durch unerbittliche Kriegsausgaben, die die Wirtschaft an den Rand des Abgrunds treiben", schreibt der Journalist Jason Corcoran in der englischsprachigen "Moscow Times".

Gerade die jüngste Preisexplosion bei Butter, die bizarre Supermarkt-Diebstähle zur Folge hatte, sei symptomatisch für die Schieflage im Land – Russland importiert nun sogar schon Butter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Türkei, nachdem die Einfuhrmengen aus Lateinamerika zuletzt drastisch zurückgegangen war.

Putin habe in der Vergangenheit immer mit der Resilienz der russischen Wirtschaft geprahlt, behauptet, er könne "Butter UND Kanonen" haben. Gemeint war damit, dass der Staat riesige Mengen in die Waffenproduktion buttern könne, ohne Abstriche bei Waren, Preisen und Dienstleistungen des täglichen Lebens machen zu müssen.

Massive Militärausgaben

In der Realität bedeutet eine Verschiebung der Ausgaben auf eine Seite Einschnitte auf der anderen – Butter ODER Kanonen eben. Der Kreml hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend für Letzteres entschieden. 2025 sollen gar 40 Prozent des Staatsbudgets in den Bereich Verteidigung und interne Sicherheit gesteckt werden.

Ein Waffenstillstand oder gar ein Ende des Kriegs rückt deshalb auch immer mehr ins Interesse des Kremls. Dadurch könnten Finanzmittel, die derzeit in der Ukraine verschossen werden, zur Stabilisierung der eigenen Wirtschaft einsetzen.

Auf den Punkt gebracht

  • Die Inflation in Russland entgleitet zunehmend der Kontrolle der Zentralbank, mit einer Rate von 8,5 Prozent im vergangenen Monat, die in Moskau sogar fast 10 Prozent erreichte.
  • Experten wie Juri Lyandau und Kirill Kulakov äußern starke Zweifel an der Eindämmung der Inflation, die durch externe Faktoren, geopolitische Lage und die Gier der Konzerne weiter angeheizt wird, während steigende Löhne und Kreditzinsen die wirtschaftliche Lage zusätzlich belasten.

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