"Fasten nach letztem Match"
Thiems neues Leben! "Er hat seine Seele verloren"
Dominic Thiem war der drittbeste Tennisspieler der Welt. Er hört auf – und beginnt ein neues Leben. Enge Wegbegleiter bedauern das, er selbst nicht.
"In meiner Karriere ging es viel ums Nehmen, jetzt will ich geben", sagt Dominic Thiem im Luxushotel Park Hyatt nur ein paar Aufschläge vom Stephansdom in Wien entfernt.
Jungunternehmer und solche, die es einmal werden wollen, hängen in den prunkvollen Gemäuern an den Lippen des Tennis-Stars. Im Ex-Hotel von René Benko ist Thiem beim "Forbes Money Summit" der letzte Redner, er spricht als Athlet und Investor über "die Karriere nach der Karriere".
"An eine Weltreise oder ein Sabbatical denke ich nicht", erzählt Thiem. "Ich bin derzeit voller Energie und werde keine Pause nach dem letzten Aufschlag einlegen. Was ich mir aber vorstellen kann, ist, eine Woche zu fasten. Das Thema interessiert mich schon länger. Als Sportler ist das aber schwierig, weil du jeden Tag körperlich voll im Training bist."
Ein Sieg 2024
Noch ist Thiem Tennisprofi. Die Tage sind gezählt: In drei Monaten beendet er in der Wiener Stadthalle seine große Karriere. "Ich bin nüchtern und nicht ein Typ, der in Tränen ausbricht", glaubt er. Nur ein Hauptrundenspiel hat die ehemalige Nummer drei der Welt heuer auf ATP-Level gewonnen. Anfang der Woche verlor er in Gstaad. "Ich will es genießen", sagte er vor dem Erstrunden-Aus. Am Platz war dann wenig Genuss im Spiel.
Nächste Woche schlägt Thiem in Kitzbühel auf. "Ich kenne ihn, seit er vier Jahre alt ist. Es wird emotional", ist Turnierboss Alexander Antonitsch überzeugt.
Dominic Thiem präsentiert seine Brillen-Kollektion
„Ich habe das später zu bereuen begonnen“
"Der Mensch Dominic lässt sich trennen vom Tennisspieler", sagt Thiem im Hyatt vor 200 Gästen und dem "Heute"-Reporter. "Irgendwann ist das Sportlerleben ja aus. Dann geht ein längerer Teil des Lebens los. Versaut man sich vorher die Werte, kriegt man Schwierigkeiten", sagt er.
Tennis spielt er, seit er denken kann. Zunächst gegen die Terrassentür daheim, bereits mit zehn Jahren "ging es Richtung Profi". Mit 15 Jahren gibt er die Schule auf. Die Fernschule hat sich auch bald erledigt.
"Ich war im Tennis-Tunnel, links und rechts davon gab es nicht viel. Das war gar nicht so schlau", sagt Thiem rückblickend. "Zum Glück ging es aber auf." Dann kommt ein wichtiger Zusatz des 30-Jährigen: "Ich habe das später zu bereuen begonnen. Da realisierte ich, dass es mehr gibt."
Zuerst Liebe, dann Ratlosigkeit
Thiems Karriere besteht aus zwei Epochen: die vor und die nach dem Triumph bei den US Open 2020. In der ersten Phase drischt und spielt er sich mit mitreißendem Offensiv-Tennis in die Herzen der Tennis-Fans. Im zweiten Abschnitt lässt er nach einer Handgelenksverletzung viele Anhänger ratlos zurück.
Von den Motivationsproblemen erfahren seine Fans erst später. Immer wieder heißt es, dass er so hart arbeitet wie nie. Seine Auftritte am Platz nähren aber Zweifel.
Konflikt in der Tenniskantine Oberpullendorf
Ex-Betreuer Sepp Resnik, der Thiem am Weg in die Weltspitze mitschliff, bricht im Jänner 2023 mit einem Tabu. "Wie oft habe ich gehört, dass er so viel trainiert wie noch nie. Ich weiß aus seinem engsten Umfeld: Es stimmte nicht", sagte der Extremsport-Pionier in "Heute".
"Schluss mit dem Selbstbetrug", fordert Resnik – und spricht Klartext. "Dominic war zufrieden – der falsche Zugang." "Sein Umfeld ist weit von Weltklasse entfernt." Bis heute lasen mehr als 700.000 Menschen die "Heute"-Story. Resnik stieß mit seinen Worten in ein Info-Vakuum.
Am Tag darauf stellte ihn Trainervater Wolfgang Thiem in der Kantine der Tennishalle in Oberpullendorf zur Rede. Resnik war als Betreuer eines Nachwuchsspielers im Burgenland, Thiem Senior leitet dort die Akademie. Der Konflikt schlägt Wellen in der Tennis-Szene, nur wenige Minuten später hat Thiem-Mentor Günter Bresnik – der zeitgleich in der Südstadt trainiert – mehrere Nachrichten zum Kantinenkonflikt am Handy.
Dominic Thiem mit Freundin Lili beim Fußball
„Dominic hat die Liebe zum Tennis verloren. Sportlich ist es eine Selbstdemontage“
Resnik steht auch heute zu seinen Worten. "Ich wollte Dominic wachrütteln, weil ich ihn als Mensch mag. Als Sportler hat er aber am Weg seine Seele verloren", sagt der Fitness-Guru zu "Heute". "Er hat die Liebe zum Tennis verloren. Die war mit dem Grand-Slam-Sieg in New York weg. Alles, was nach den US Open kam, war zu wenig."
Resnik glaubt zu wissen, warum es zum Knick in der Karriere kam: "Für mich ist es das Gras-ist-grüner-Syndrom. Dominic hatte von allem alles – und dazu Mega-Potenzial. Aber das Gras drüben beim Nachbarn kam ihm grüner vor. Er holte sich den nächsten Super-Trainer, jagte allem möglichen hinterher. Er als Sportler blieb auf der Strecke."
Thiem-Spiele schaut Resnik heute nicht mehr im Fernsehen. "Sportlich ist es eine Selbstdemontage. Mir tut das zu weh."
Stilles Wasser, Breitling-Broschüren
Im ersten Stock im Hyatt werden in den Pausen zwischen den 19 Speakern Kontakte geknüpft. Getrunken wird stilles Wasser, das gibt es neben den Breitling-Broschüren gratis.
Thiem kam mit seinem jüngeren Bruder Moritz zur Veranstaltung. Beide tragen T-Shirts, die Gäste in den vorderen Reihen zum Teil auch Dreiteiler. Moritz ist seit Anfang 2023 Dominics Manager. Zuletzt trainierte Thiem auch wieder mit seinem Vater Wolfgang. Der Erfolg kam nicht zurück. Die Kritik von außen, er hätte es sich zu sehr in seinem familiären Umfeld eingerichtet, schmettert Dominic ab. "Der fehlende Erfolg liegt nur an mir und nicht an meinem Umfeld."
Scheitern hätte er als Sportler gelernt. Seine Motivationsprobleme nennt er rückblickend "lehrreich": "Weil ich da aus dem Tunnel zu schauen begann."
Thiem gibt im Hyatt Erfolgstipps, die wenig mit seiner Sportkarriere zu tun haben.
Ex-Trainer Günter Bresnik sagt zu "Heute": "Dominic ist so gut geworden, weil er mehr als andere in jedem Training investiert hat." Thiem sagte über die Zeit bei Bresnik in seinem "Mehrleben Vlog": "Das Training war jeden Tag bis an die Grenzen und auch darüber hinaus. Es führte dazu, wie mächtig mein Spiel geworden ist. Ich ging die Intensität so lange, wie es gegangen ist. Das hat viele Prozente von der Batterie runtergenommen."
„Energie aufsparen, wenn der große Traum in die Hose geht“
Jetzt rät Thiem Menschen, die Erfolg haben wollen: "Mein Tipp ist, man sollte sich ein paar Prozent Energie aufsparen, wenn der große Traum in die Hose geht. Wichtig ist, dass noch Kraft für Plan B da ist."
Fans und Wegbegleiter spüren schon länger, dass Plan B und C bei Thiem das Feuer für Plan A, den Tennissport, verdrängt hat. Für viele Beobachter ist seine Karriere eine unvollendete. Weil Thiem bei seinem zweiten Anlauf nicht alles versuchte, um wieder der Beste zu werden. Bresnik sagte dazu: "Da ist ein Grand-Slam-Champion, der seit Jahren so gut wie nichts aus seinen Möglichkeiten macht."
Thiem selbst scheint das aber weniger zu stören als seine engen Wegbegleiter.
Lili Paul-Roncalli als Testimonial für Lascana
Das neue Leben
Im nächsten Kapitel seiner Karriere ist Thiem Investor und Unternehmer. Wenn man im Hyatt zuhört, spricht einiges dafür, dass Thiem auch als Geschäftsmann Erfolge feiert.
Er hat langfristige Partner: Adidas seit 2011, Babolat seit 2015, Rolex seit 2016, Bank Austria seit 2017, Red Bull seit 2018. Beim Wiener Riegel-Hersteller Neoh stieg Thiem noch in der Manager-Ära Straka im Frühjahr 2021 ein.
Als Investor sei ihm "Qualität wichtig". Seit der Ankündigung seines Rücktritts im Mai ist er "vermehrt in die Geschäfte eingebunden". "Ich will mich da reinarbeiten – mit kleinen Schritten."
Das grüne Werbegesicht
Das Geld, das Thiem investiert, ist sein eigenes. Mehr als 30 Millionen US-Dollar hat der Gewinner von 17 ATP-Titel an Preisgeld verdient. Dazu kommen Startgelder bei Turnieren und Sponsorengelder, die zuletzt wegen ausbleibender Erfolge teilweise gekürzt wurden.
2023 startete Thiem das erste eigene Unternehmen: die Sonnenbrillen-Kollektion Thiem View. Das Werbegesicht ist seine Freundin Lili Paul-Roncalli.
„Er ist jetzt mehr grüner Politiker als Tennisspieler“
Er selbst wird immer mehr zum Werbegesicht der grünen Wende. Umweltschutz ist schon lange sein Herzensthema. Das Thema Nachhaltigkeit lässt aber auch die Kassa klingeln: Für den Öl- und Chemiekonzern OMV ist Thiem Botschafter eines nachhaltigeren Fliegens. Ganz neu ist sein Stromtarif Thiem Energy. In Kooperation mit dem burgenländischen Start-up Solah will er die Energiewende vorantreiben.
"Er ist jetzt mehr grüner Politiker als Tennisspieler", sagt Sepp Resnik – und blickt von seinem Garten auf die Lobau.