Massenrückkehr nicht absehbar

Noch jubeln alle, aber Syrern droht schwierige Zukunft

Zehntausende feierten in Wien ausgelassen das Ende des Assad-Regimes in Syrien. Herbert Kickl will alle Syrer heimschicken, doch ist es dort sicher?

Newsdesk Heute
Noch jubeln alle, aber Syrern droht schwierige Zukunft
Mehrere Tausend Syrer feierten den Sturz des Assad-Regimes vor dem Parlament in Wien.
Helmut Graf

Der zweite Adventsonntag wurde Syrer auf aller Welt zum Freudentag. In der Nacht hatten Rebellen die Hauptstadt Damaskus eingenommen und Diktator Baschar al-Assad gestürzt. Nach 14 Jahren Bürgerkrieg ist sein brutales Regime Geschichte. Der Tyrann floh mitsamt seiner Familie nach Moskau, wo ihm Wladimir Putin aus "humanitären Gründen" Asyl gewährt hat.

Auch in Wien jubelten Zehntausende bei einer behördlich angezeigten und genehmigten Kundgebung auf der Wiener Ringstraße. Nahezu alle der Demonstranten in Wien, mit denen "Heute" sprechen konnte – oft schon seit vielen Jahren im Land – wollen nun so schnell wie möglich in ihre Heimat zurück.

"Gute Heimreise!"

Das fordert auch die FPÖ: "Mit dem Sturz ist der Asylgrund für diese Personen weggefallen. Eure Heimat braucht Euch jetzt – die Jubler können jetzt wieder in ihre Heimat zurückkehren. Gute Heimreise!", schoss Herbert Kickl auf Facebook. Auch der blauer Wien-Chef Dominik Nepp erklärte: "Geflüchtete können nach Hause gehen."

Ähnlich tönte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). Er wolle helfen, syrische Flüchtlinge zurückzubringen: "Wir werden alle Syrerinnen und Syrer, die in Österreich Zuflucht gefunden haben und zurück in ihre Heimat wollen, dabei unterstützen." Die Sicherheitslage im Land solle zudem neu bewertet werden, um Abschiebungen wieder zu ermöglichen, so der Regierungschef Sonntagabend auf X.

Syrien-Flüchtlinge in Österreich

Mit Jahresbeginn 2024 waren laut Innenministerium 95.004 Syrer in Österreich aufhältig. Sie stellen damit die achtgrößte Gruppe an in Österreich lebenden Ausländern. Sehr viele von ihnen zog es nach Wien.

"Neue Ära"

Doch ist Syrien nach dem Ende der Assad-Schreckensherrschaft tatsächlich sicher? "Dieser Sieg, meine Brüder, ist eine neue Geschichte für die gesamte islamische Nation. Dieser Sieg, meine Brüder, ist eine neue Geschichte für die Region", verkündete der Anführer der tonangebenden HTS-Miliz, Mohammed al-Dscholani in der berühmten Umayyaden-Moschee in Damaskus. Der international gesuchte Islamist mit 10-Millionen-Dollar-Kopfgeld behauptete, wolle einen friedlichen Übergang in eine "neue Ära" ermöglichen.

Doch das Land ist weiter tief gespalten, steht vor einer unsicheren Zukunft. Die HTS, die derzeit gemäßigt auftritt, wird international weiter als Terror-Gruppe angesehen. Die Politologin und Nahost-Expertin Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin gab sich Sonntagnacht in der ZIB2 aber positiv, dass es die Miliz mit ihren Bemühungen ernst meine – auch wenn sie ganz klar keine demokratische Kraft sei.

Nahost-Expertin Bente Scheller in der ZIB2 am 8. Dezember 2024.
Nahost-Expertin Bente Scheller in der ZIB2 am 8. Dezember 2024.
Screenshot ORF

Ihre Regierung in der Provinz Idlib habe aber gezeigt, dass die HTS auch administrative und pragmatische Interessen verfolge. Die Wirtschaft in der Region sei zuletzt deutlich besser dagestanden als in den Assad-kontrollierten Gebieten. Nach der Eroberung von Aleppo hätten sie Brot für die hungernden Bürger mitgebracht und auch mit der Verbesserung der Stromversorgung punkten können, so die Expertin in ihrer TV-Schaltung.

"Das Regime wusste, was kommt"

Diktator Assad habe den Sturz seiner Regierung wohl auch schon länger kommen sehen. Die Zeichen seien alle da gewesen: Die HTS hatte im Akkord Kämpfer ausgebildet, ebenso ihre Verbündeten. "Diese Trainings haben wir die ganze Zeit auch sehen können", sagte Bente Scheller.

Auch sei in den Gebieten der HTS klar gewesen, dass hier aktuell doppelt so viele Menschen wie eigentlich normal leben. Die Situation mit den vielen Binnenflüchtlingen hätten den Druck auf Miliz-Anführer Mohammed al-Dscholani noch verstärkt. So sei er immer wieder gefragt worden, wofür so viele Menschen an Waffen ausgebildet würden, wenn nicht, damit die Geflüchteten irgendwann wieder in ihre Häuser zurückkehren können?

"Vorbereitet war es. Das Regime wusste auch, was kommt", sagte Bente Scheller. Der Tyrann habe erst letzte Woche Moskau besucht und dann eine Urlaubssperre für seine Armee angeordnet. Das sei "keine gute Kombination" gewesen. Damit habe er die Moral und Vertrauen seiner Truppe massiv untergraben. Deswegen sei Aleppo wohl auch gleich zu Beginn der Offensive fast kampflos übergeben worden.

Nach 13 Jahren! HTS-Rebellen stürzen Assad in Syrien

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    Nach dem Sturz der Regierung von Machthaber Assad besetzen die Menschen einen Panzer im Zentrum der Hauptstadt Damaskus.
    Nach dem Sturz der Regierung von Machthaber Assad besetzen die Menschen einen Panzer im Zentrum der Hauptstadt Damaskus.
    - / AFP / picturedesk.com

    "Nicht nur Islamisten zum Sieg beigetragen"

    Die ausgelassene Jubelstimmung auf unseren Straßen spiegle auch die Erleichterung der Bevölkerung in Syrien selbst wider. Es gibt eine Art Aufbruchsstimmung: "Das Schlimmste ist überstanden, aber das Schwierige liegt noch vor uns", sei immer wieder zu hören.

    Die Zukunft Syriens steht aber noch in den Sternen. Nun muss die macht aufgeteilt werden und die Rechte der Menschen gesichert werden. "Das wird ein wichtiger Schritt werden." Es sehe aber gut aus, dass die HTS ihre Versprechen, auch Minderheiten mindestens zu tolerieren und sogar mit ihnen zusammenzuarbeiten, wahr machen könne. Die Nahostexpertin hält die Zusicherungen für glaubwürdig, nachdem bereits vor der Offensive mit Kurden und Ismailis verhandelt worden werde. Es sei allen klar: "Es sind nicht nur Islamisten, die zum Sieg beigetragen haben". Im Osten wären die Kurden ausschlaggebend gewesen, im Süden überwiegend die Drusen. "Somit sind zwei wichtige Minderheiten an der Offensive gegen Assad beteiligt gewesen".

    Bilder: Syrer plündern Assads Präsidentenpalast

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      Nach dem Sturz von Assad plündern die Syrer Assads Präsidentenpalast.
      Nach dem Sturz von Assad plündern die Syrer Assads Präsidentenpalast.
      Hussein Malla / AP / picturedesk.com

      Mauer der Angst

      Dass sich al-Dscholani ein neuer Assad werden könnte, damit rechnet sie nicht. "Das Regime hatte zuletzt in seiner Brutalität und Grausamkeit sogar den Islamischen Staat übertroffen". Die Bevölkerung trage den Umsturz weitgehend mit, und das sei auch extrem wichtig: "Die Syrer mit denen wir sprechen, sagen: 'Wir haben nicht alles gegen Assad riskiert, um danach wieder autoritär regiert zu werden.' "Die Mauer der Angst, die viele verspürt haben, ist gefallen."

      Assad hatte zuletzt auch die militärische Unterstützung seiner langjährigen Unterstützer Russland und Iran verloren. Putin hatte seine Flotte aus dem syrischen Stützpunkt bereits in den letzten Tagen auslaufen lassen. Selbst die Mullahs hatten dem syrischen Diktator die kalte Schulter gezeigt. Und das, obwohl beide nun an Einfluss in der Region verlieren. Für den Iran ist nun auch die Landbrücke in den Libanon weggebrochen, was die Versorgung der Hisbollah erschwere.

      Massenrückkehr "nicht absehbar"

      Für Scheller ist aber fix, dass die Spirale der Vertreibung in Syrien noch eine "Geschichte, in der sich noch viele Dramen abspielen werden" ist. Nach Jahren Zurückkehrende würden ihrerseits wieder Menschen, die sich inzwischen in ihrer alten Heimat angesiedelt haben, vertreiben. Das Ende von Assads Schreckensherrschaft ebene zwar den Weg, doch es sei "nicht absehbar", wann in Syrien genügend Stabilität für massenhafte Heimkehr Geflüchteter herrschen werde.

      Auf den Punkt gebracht

      • Zehntausende feierten in Wien das Ende des Assad-Regimes in Syrien, doch die Zukunft des Landes bleibt unsicher.
      • Trotz des Sturzes von Diktator Assad und der Hoffnung auf eine neue Ära, bleibt Syrien tief gespalten und die Sicherheitslage fragil, was eine massenhafte Rückkehr der Geflüchteten erschwert.

      Die Bilder des Tages

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