Es geschieht unauffälliger als bei Covid-19, aber auch Geschlechtskrankheitensind in Österreich sowie Europa stark auf dem Vormarsch, berichten Wiener Mediziner. Die Tripper- und Syphilis-Fälle wurden in den vergangenen Jahren drastisch mehr, und HIV ist immer noch nicht heilbar. Sie plädieren für eine konsequentere Verwendung von Kondomenund hoffen, dass - wie beim Coronavirus- auch gegen Geschlechtskrankheiten öfter geimpft werden kann.
"In Europa werden jährlich mehr als 500.000 sexuell übertragbare Infektionen verzeichnet, die Tendenz ist stark steigend", sagt Georg Stingl, emeritierter Vorstand der Klinik für Dermatologie der MedUni Wien: "Von 2012 bis 2018 nahmen die Fälle von Tripper um dramatische 93 Prozent zu und jene von Syphilis um 58 Prozent". Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bezeichnet den Anstieg der Geschlechtskrankheiten als "stille Epidemie". In Österreich wurden 2019 1.600 Tripper, und 580 Syphilis-Erkrankungen gemeldet. Zusätzlich sei wohl die Dunkelziffer sehr hoch, denn einerseits genieren sich die Patienten oft dafür, andererseits bemerken sie teils zunächst nichts davon. Außerdem infiziert sich hierzulande pro Jahr jeder zehnte Jugendliche beim Geschlechtsverkehrmit Chlamydien und ein bis zwei Menschen pro Tag mit HIV, berichtet er.
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"Viele Erreger erzeugen in der akuten Phase keine Symptome, deshalb gehen die Betroffenen nicht zum Arzt und bekommen keine Therapie", sagt Georg Stary von der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien. Sie verursachen aber sehr wohl Probleme etwa durch chronische Entzündungen. Spätfolgen von nicht behandelten Geschlechtskrankheiten sind etwa Unfruchtbarkeitsowie bei Humane Papillomaviren (HPV) sogar Krebs. Egal um welche Geschlechtskrankheit es sich handelt, wäre eine frühe Diagnose wichtig. Bei bakteriellen Infektionen würden dann meist Antibiotika gut wirken, obwohl etwa bei den Bakterien, die Tripper verursachen (Gonokokken), immer mehr Antibiotika-Resistenzen auftreten. Auch bei einer HIV-Infektion verhindert die Kombinationstherapie mit mehreren Medikamenten nur dann einen Ausbruch von AIDS, wenn sie in einem frühen Stadium begonnen wird.
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"In Österreich leben aktuell zwischen 8.000 und 9.000 Menschen mit einer HIV-Infektion", berichtete Erwin Tschachler, der ebenfalls an der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien arbeitete. "Im Gegensatz zu SARS-CoV-2, wo innerhalb eines Jahres ein Impfstoff marktreif war, gibt es trotz intensiver Forschung 28 Jahre nach der Entdeckung des Humane Immundefizienz-Virus noch keinen Impfstoff, der die Menschen davor schützt", so der Mediziner. Möglicherweise könnte die mRNA-Impfstoff-Technologie, die sich gegen das Coronavirus bewährte, endlich einen schützenden HIV-Impfstoff bringen, meint er. Klinische Studien dazu hätten jedenfalls schon im August begonnen. "Es ist zu hoffen, dass die neue Klasse von mRNA-Impfstoffen auch das Potenzial hat, gegen HIV ein Game Changer zu sein", erklärt er.
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Eine andere, neue Strategie entwickelte Georg Stary mit einem Forscherteam der Harvard-Universität (USA) gegen Chlamydien: Die Forscher töteten die Bakterien mit UV-Licht und hefteten sie mit Nanopartikeln an einen Hilfsstoff, der die Wirkung verstärkt. Diese Mischung wird auf einer Schleimhautoberfläche verabreicht, weil die Bakterien dort normalerweise einen Menschen infizieren. Das Immunsystembildet daraufhin Abwehr- und Gedächtniszellen gegen die Erreger, die direkt in der Schleimhaut auf die Erreger warten.
Auch gegen Tripper wirkt nun wohl ein Impfstoff, und zwar zufällig. Er ist nämlich gegen Hirnhaut-Entzündung auslösende "Meningokokken"-Bakterien entwickelt worden. Bei australischen Patienten entdeckten Mediziner, dass er auch vor Tripper-Bakterien schützt. Der Grund könnte die sehr hohe Ähnlichkeit der beiden auslösenden Bakterien (Meningokokken und Gonokokken) sein, erklärte Stary.
Als "großen Meilenstein" bezeichnete Stingl die HPV-Impfung. "Sie reduziert das Risiko für Genitalwarzen und Gebärmutterhalskrebs um bis zu 90 Prozent", sagt er: "Auch das Risiko für Krebs an Rachen, Kehlkopf, Scheide, Anus und Penis wird gesenkt".