Politik
Chats und Vorwürfe gegen Kurz – das geheime Protokoll
Geld für Verleger Fellner, eine Gehaltserhöhung für die Kanzler-Freundin: Thomas Schmid belastet Sebastian Kurz schwer. Wie es zu seinen Aussagen kam.
Das Ibiza-Video löste 2019 einen Tsunami aus, am Dienstag schlugen die bisher größten Wellen an. Zuerst verkündete die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA), dass Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, zentrale Figur der Ermittlungen, Kronzeuge werden will und "reumütig geständig" ist. Darauf folgte eine Razzia bei Milliardär René Benko. Am Abend wurden erste Details zu den Einvernahmen von Thomas Schmid bekannt – "Heute" wühlte sich durch den 454-seitigen Akt.
Worum es geht
Die WKStA ermittelt seit Bekanntwerden des Ibiza-Videos gegen 45 Beschuldigte wegen Untreue, Amtsmissbrauchs, Bestechlichkeit und Bestechung. Begonnen hat alles mit den Casinos Austria, die Politiker gekauft haben sollen. Zahlreiche entscheidende Puzzlestücke könnte nun "Chat-Mastermind" Thomas Schmid den Fahndern geliefert haben. Doch wie kam es beim bisher schweigsamen Tiroler zum Sinneswandel? "Heute" hat das Protokoll:
Das Geständnis
➤ Am 3.4.2022 bittet Thomas Schmid zwei Oberstaatsanwälte per E-Mail "höflich" um einen Termin.
➤ Dieser findet am 8.4.2022 tatsächlich statt – in den Räumlichkeiten der WKSta. Schmid kommt überraschend alleine – ohne Verteidiger Kralik, ohne Vertrauensmann. Er teilt mit, dass er mit den Behörden kooperieren und Kronzeugenstatus erlangen möchte. Die beiden Oberstaatsanwälte machen keine Zusagen. Schmid hakt bezüglich der Protokollierung seiner Aussagen nach; fürchtet "eine mediale Kampagne". Die Ermittler bieten ihm Termine in der Außenstelle in Graz an. Schmid möchte darüber nachdenken.
➤ Am 8.6.2022 kommt es in der steirischen Hauptstadt zu einem dreistündiges Vorgespräch. Schmid bringt seinen neuen Anwalt Roland Kier mit. Man legt einen Fahrplan für die Einvernahmen fest, die geblockt in Graz über die Bühne gehen sollen.
➤ Schmid beginnt seine tagelange Lebensbeichte vor der WKStA am 21.6.2022 um 8.30 Uhr in Graz. Sein Motiv: "Meine Mutter hat zu mir gesagt, wir haben dich so nicht erzogen. Wenn du etwas falsch gemacht hast, dann steh dazu mit allen Konsequenzen." Insgesamt 15 Mal wurde Schmid von der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) ganztägig befragt.
Schmid im März 2022 geheim in Wien - die Fotos seiner Einvernahme:
➤ Ab 15.7.2022 wird es ruppig: Da Schmid zwar bei der WKSta, jedoch nicht vor dem parlamentarischen U-Ausschuss erscheint, wollen ihn die Abgeordneten unter Androhung von 6.000 Euro Strafe behördlich vorführen lassen. Die WKSta bittet ihn, Kontakt aufzunehmen, was Schmid nicht tut.
➤ Er legt am 2.8.2022 dafür bei der Staatsanwaltschaft nach; übermittelt eine "schriftliche Offenbarung über neue Tatsachen". Darin packt er über ein Job-Angebot als Generalbevollmächtigter bei René Benkos Signa, dessen Steuer- und Immobilienthematiken sowie das Faktum Helmuth Fellner/ÖBAG aus. Ins Auge sticht: Siebeneinhalb Seiten sind im Akt bis heute geschwärzt – die Korruptionsjäger wollen offenbar die Ermittlungen nicht gefährden, indem sie Verdächtige "vorwarnen".
➤ 20 Tage später folgt eine Ergänzung von Schmid. Er gesteht neue Details zu seiner Arbeit im Finanzministerium und dem "Faktum Kirche". Schmid sollte sich im im Auftrag von Sebastian Kurz hohe Würdenträger vorknöpfen, da diese Kurz' Haltung in der Flüchtlingsfrage kritisierten ("bitte Vollgas geben"). Druckmittel: steuerliche Privilegien.
➤ Die bisher letzte Einvernahme wurde am 15.9.2022 um 17 Uhr unterbrochen, die Fortsetzungstermine am 20. und 21.9. abgesagt. Grund: Schmid klärte nicht – wie mehrfach gefordert – seine Situation mit dem parlamentarischen U-Ausschuss. Da die Polizei ihn nun anhalte solle, sobald er in Österreich landet, kann die WKSta das Versteckspiel nicht mehr weiterführen, zumal am Vernehmungsort in Graz ein Wachzimmer stationiert ist.
➤ Am 18.10. schafft die Ermittlungsbehörde mit einer Aussendung über 15 Schmid-Einvernahmen und seinem Wunsch nach Kronzeugen-Stauts Fakten. Wenige Stunden später erhalten alle Verteidiger den entsprechenden Akt – und er findet den Weg an die Öffentlichkeit.
Was gibt Schmid zu?
Doch was hat der ehemalige Kurz-Vertraute im Finanzministerium bisher ausgeplaudert? Auszüge: "Ich habe die ÖVP und Kurz aus dem Finanzministerium heraus gefördert, die Ressourcen des Ministeriums genutzt, um das Fortkommen der ÖVP unter Kurz zu unterstützen."
Der Fellner-Schwindel
Dem Dreiecksgeschäft um frisierte Umfrage widmet sich die WKStA intensiv, Schmid gibt fast alles zu. Im Mittelpunkt: das sogenannte "Beinschab/Österreich-Tool". Die Fellner-Gruppe zahlt Meinungsforscherin Beinschab die (manipulierten) Sonntagsumfragen und Zusatzfragen.
"Klar war aber, dass dafür vom BMF Inserate geschaltet werden. Den Fellners ging es darum, dass sie aufgrund dieser Kooperation Zugang zum Finanzministerium hatten und das Finanzministerium Sonderbeilagen und Inserate in Auftrag gab."
"Auftrag von Kurz"
Dem Ex-Kanzler war klar, dass er Steuergeld für sich ausgibt. "Ja, das war ihm klar. Mir ist ganz wichtig zu betonen, dass ich dieses (Beinschab-)Tool nur deswegen umgesetzt habe, weil ich von Kurz den Auftrag bekommen habe."
Schmid sollte Schuldigen spielen
Neben seiner Mama dürfte auch eine tiefe Kränkung Schmid motiviert haben, jetzt reinen Tisch zu machen. Er sagt: "Es gab Schlüsselsätze, nach denen ich mir gedacht habe: Der spinnt. Kurz hat mich nach den Hausdurchsuchungen im Oktober 2021 angerufen und mir gesagt, ich müsse jetzt eine schriftliche Stellungnahme abgeben, wonach er nichts von all diesen verfahrensgegenständlichen Vorwürfen wisse und ich die ganze Schuld auf mich nehmen solle."
Kurz wollte Gehaltserhöhung für Freundin
Und das, nachdem sich Schmid sogar einst für einen besseren Verdienst der Kanzler-Partnerin eingesetzt habe. Er erinnert sich: "Kurz hat sich mir gegenüber in einem Gespräch einmal dafür verwendet, dass es eine Gehaltserhöhung für Frau Thier gibt und dieses Arbeitsvolumen dabei Berücksichtigung finden solle." Später folgte "die Vollzugsmeldung".
"Super Typ" – neue Chats
Er erinnert sich auch daran, wie er Personalentscheidungen im Sinne für Sebastian Kurz umgesetzt haben will – etwa für Kurz-Vertraute aus der JVP. Im April 2017 äußerte der damalige Außenminister Kurz etwa den Wunsch, den heutigen Digitalisierungs-Staatssekretär Florian Tursky im Finanzministerium unterzubringen. Kurz tippte in sein iPhone: "Ist ein guter Freund von mir und super Typ" – zur Besetzung kam es letztlich nicht, da Tursky "eine aus seiner Sicht bessere Position" als Sprecher des Tiroler Landeshauptmannes Günther Platter gefunden habe. Nicht die einzige neue Chatnachricht. Kurz und Schmid koordinierten vertrauliche Treffen: "Wo können wir denn unbeobachtet hingehen?" Schmid scherzte: "Zum Spindi nachhause" (er meinte den damaligen Vizekanzler Michael Spindelegger). Kurz' Antwort: "Wer sagt ihm das?"
Nationalratspräsident Sobotka intervenierte
Durch seine Aussagen geraten nun auch ÖVP-Klubchef August Wöginger, Immo-Tycoon René Benko, Unternehmer Sigi Wolf und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ins Visier. Schmid enthüllte etwa: "Sobotka teilte mit, dass es betreffend das Alois-Mock-lnstitut sowie die Erwin-Pröll-Stiftung Steuerprüfungen gäbe und dass das nicht sein könne. Es wurde in Sobotkas Sinn erledigt."
Razzia beim Immo-Spekulanten
Das Geständnis von Schmid führte am Dienstag zu Razzien bei Immo-Tycoon René Benko in Innsbruck und der türkisen Wiener Netzwerkerin Gabriela Spiegelfeld. Verdacht: Bestechung, Bestechlichkeit und Missbrauch der Amtsgewalt. Benko habe laut WKStA Schmid einen Job mit 300.000 Euro Gehalt und 300.000 Euro Bonus (plus Dienstwagen) angeboten, dafür "parteiische Unterstützung im Steuerprüfungsverfahren seines Konzerns" gefordert. Für alle Verdächtigen und Genannten gilt die Unschuldsvermutung.