Im Kinderzimmer radikalisiert
München-Schütze (18) übte Hinrichtung in Online-Spiel
Beim getöteten Attentäter von München deuteten schon 2023 Hinweise eine radikale Gesinnung an. Der Schüler spielte "Roblox" mit einem IS-Avatar.
Der gescheiterte Anschlag von München am Donnerstag fand ausgerechnet am 52. Jahrestag des Olympia-Attentats aus dem Jahr 1972 statt. Der 18-jährige Österreicher Emrah I. hatte sich am Vortag eine Repetierwaffe mit Bajonett um 400 Euro und 50 Stück Munition bei einer Privatperson gekauft und war am Donnerstagmorgen statt zur Arbeit mit dem Auto der Mutter nach München gefahren.
Polizisten stoppen Schützen
Dort eröffnete der Lehrling eines Maschinenbau-Betriebs um kurz nach 9 Uhr vor dem Münchner NS-Dokumentationszentrum das Feuer mit der 100 Jahre alten Waffe aus dem Ersten Weltkrieg – das israelische Konsulat befindet sich nur wenige Meter entfernt und soll das mutmaßliche Ziel gewesen sein. Polizisten konnten den Angreifer nach wenigen Minuten ausschalten – um 10.30 Uhr erlag der 18-Jährige vor Ort seinen schweren Verletzungen.
Wie anschließend bekannt wurde, war Emrah I. bei den heimischen Behörden bekannt. Nachdem er im Februar 2023 in seiner Salzburger Schule auf einen Mitschüler losgegangen war, kam es zu Ermittlungen. Dabei wurde auch sein Leben von Beamten des Landesamts für Verfassungsschutz durchleuchtet. Denn Eltern und Freund hatten bei der Polizei Hinweise auf eine mögliche Radikalisierung gegeben.
Bilder: Austro-IS-Fanatiker schießt in München auf Polizei
Ermittler des Verfassungsschutzes sichertem beim Schüler einen Stand-PC, auf dem das Onlinespiel "Roblox" installiert war. Der bärtige Avatar des Schülers trug einen Umhang mit Symbolen der syrischen Terrororganisation Al-Nusrah-Front. "Auf dem Computer befanden sich drei Videos, die der damals 14-jährige Beschuldigte im Jahr 2021 selbst aufgenommen hatte", heißt es von der Staatsanwaltschaft Salzburg. Darauf sei eine Hinrichtungsszene zu sehen gewesen und der Schriftzug "It's Jihad time" eingeblendet worden.
Da außer den Videos keine weiteren Hinweise auf ein Gefahrenpotenzial des Burschen hingedeutet hatten, erfolgte keine Einstufung als Hochrisiko-Gefährder. "Allein durch das Spielen eines Computerspiels bzw. das Nachstellen von islamistischen Gewaltszenen war im konkret vorliegenden Fall kein Tatvorsatz nachweisbar und deshalb der Tatbestand der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nicht erfüllt", so die Staatsanwaltschaft Salzburg weiter.
Nur ein Waffenverbot war gegen damaligen Schüler ausgesprochen worden. Und das, obwohl es dem technisch versierten Schüler sicherlich nicht schwergefallen wäre, etwaige Spuren im Netz oberflächlich zu verwischen. Trotzdem wurde im besagten Fall nicht weiter geforscht und mit April 2023 alle Ermittlungen eingestellt – wir berichteten. Offenbar ein großes Versäumnis. Denn laut Ermittlern gilt ein Islamismus inzwischen als wahrscheinlichstes Motiv für den gescheiterten Anschlag vom vergangenen Donnerstag.
Vermutlich hatte sich der junge Mann vom Verfassungsschutz völlig unbeobachtet weiter übers Netz in seinem Kinderzimmer radikalisiert. Seit Beginn des vergangenen Jahres soll er laut "Heute"-Informationen kaum noch mit Freunden geredet und sich immer mehr in seine eigene Welt zurückzogen haben. Der Einstieg in den Islamismus wurde möglicherweise durch das besagte Online-Game begünstigt.
"Heute" macht den Selbstversuch
Experten kritisieren das beliebte Open-World-Spiel bereits seit längerem: Denn User können dort eigene Spielstätten erschaffen. Der im Spiel integrierte Chat diene Radikalen als Rekrutierungsplattform, heißt es.
Terror-Outfit, Gottesschwert, Islam-Flagge
Und tatsächlich decken"Heute"-Recherchen auf: Binnen Minuten nach der Anmeldung könnte man den Avatar im Shop gegen Entgelt als Terrorist verkleiden lassen. Neben Turban, schwarzem Mantel und einem "Schwert Gottes" stehen auch islamistische Flaggen zum Verkauf. Es würde sicherlich nicht lange dauern, bis ein möglicher radikalisierter Mitspieler auf das "Outfit" aufmerksam werden würde.
Die Ermittlungen gegen den getöteten Verdächtigen laufen indes weiter. Emrahs Handy soll in München allerdings schwer beschädigt worden sein. Weitere Datenträger, die bei einer erneuten Razzia am Donnerstag aus dem Haus der Eltern gesichert wurden, werden derzeit untersucht.
Auf den Punkt gebracht
- Der 18-jährige Emrah I., der am Jahrestag des Olympia-Attentats in München einen Anschlag verübte, hatte sich offenbar in seinem Kinderzimmer durch das Online-Spiel "Roblox" radikalisiert, in dem er einen IS-Avatar nutzte
- Trotz früherer Hinweise auf seine radikale Gesinnung und einem Waffenverbot wurde er nicht als Hochrisiko-Gefährder eingestuft, was nun als großes Versäumnis der Behörden gilt