Politik

Minister flüchtet aus Sitzung – das geheime Protokoll

Mit dem Quarantäne-Aus wollte die Regierung den Image-Turnaround schaffen – und ging baden. Der Backstage-Report von Heute.at-CR Clemens Oistric.

Clemens Oistric
Teilen
Rauch und Nehammer legten in den letzten Tagen einen politischen Frontal-Buserer hin. Im Kreis: Heute.at-Chefredakteur Clemens Oistric.
Rauch und Nehammer legten in den letzten Tagen einen politischen Frontal-Buserer hin. Im Kreis: Heute.at-Chefredakteur Clemens Oistric.
picturedesk.com; HEUTE

Rekord-Teuerung, Energiekrise, halb leere Gasspeicher. Dazu desaströse "Beliebtheits"-Werte für die Regierung und ein Kanzler ("Alkohol oder Psychopharmaka"), der kaum ein Fettnäpfchen, aber die Salzburger Festspiele auslässt (eine ÖVP-Party geht sich aber aus).

Eine brisante Gemengelage, noch dazu, wenn mehrere Bundesländer im Vorwahlkampf stecken. Was also tun? Ein Sommer-Kassenschlager sollte her. Konkret: Das Aus der Corona-Maßnahmen. Mit "Pandemie vorbei" hat man schlechte Erfahrungen gemacht, also erfand man "Verkehrsbeschränkungen", die jedoch niemand kontrollieren wird. Verkehrsbeschränkungen ohne Verkehrspolizei quasi.

Das Protokoll des Quarantäne-Crashs

Sie sollten sich in den letzten Tagen zum politischen Frontal-Buserer entwickeln. "Heute" hat das Protokoll:

➤ Seit Mai forderten ÖVP-Kernländer (allen voran die Herren Stelzer, Platter und Wallner) ein Aus der Quarantäne. Teile der Wirtschaft stimmten ein.

➤ Penibel wurde eine entsprechende Verordnung vorbereitet. Vergangenen Montag war sie fertig und wurde den sechs ÖVP-Bundesländern und Wirtschaftsvertretern zum Abnicken übermittelt.

➤ Donnerstagvormittag erfuhr "Heute" vom Wunsch-Drehbuch der Regierungsstrategen. Grob skizziert: Geheimhaltung bis zuletzt, Leak in einem reichweitenstarken, gefälligen Sonntagsblatt, Montag Pseudo-Gipfel mit den Länderchefs (sechs wusste man ohnedies fix in der Tasche), mittwochs dann Präsentation beim Sommerministerrat in Mauerbach. Endlich nette Bilder und glückliche, von den Corona-Regeln erlöste Menschen – so der Plan.

Geheime Verordnung sorgt für Ärger

➤ Doch nicht alle eingeweihten Länder waren glücklich über den "All in"-Befreiungsschlag, der in Wien ersonnen wurde. Und so erfuhr "Heute" vom Quarantäne-Vorhaben.

➤ Der Re-Check sorgte zunächst für Ernüchterung. Recherchen in den drei rot-regierten Ländern ergaben: "Wir haben keine Verordnung erhalten. Wir gehen daher davon aus, dass die Pläne, die Quarantäne zu streichen ad acta gelegt wurden."

➤ Wenig später bekam "Heute" den geheimen Verordnungsentwurf, der den politischen Plan glasklar belegt, zugespielt.

➤ Donnerstag, um 12.01 Uhr, meldete "Heute": "Regierung plant geheime neue Corona-Regeln."

➤ Gesundheitsminister Johannes Rauch ist außer sich. Auf Twitter wird er hochemotional, spricht von einer "Krux an vorab 'Enthülltem'" und beschwor: "Noch ist nix fix."

➤ Wien, Kärnten und das Burgenland zeigen sich empört.

➤ Für die Sonntagskrone blieb immerhin noch, einen "Beschwichtigungsgipfel" mit ihnen anzukündigen. Eigentlich hatten die Länder ja einen Teuerungsgipfel gefordert, den man so geschickt umgehen konnte.

Regierung prescht vor

➤ Montagnachmittag war es so weit. Die Länder tauschten sich mit der Regierung aus – Michael Ludwig (Wien, SPÖ) und Vorarlbergs Statthalterin Barbara Schöbi-Fink (ÖVP) erschienen persönlich im Kanzleramt, der Rest ließ sich zuschalten. Sie wurden wieder am Schmäh gehalten. Die Verordnung war angeblich nicht fertig. Stattdessen legte man den Landeskaisern einen 64-seitigen "Variantenmanagementplan" vor. Schönheitsfehler eins: Er stammt vom Mai. Am 6.5. hat Minister Rauch Journalisten in einem Hintergrundgespräch über die 4 Szenarien für den Herbst unterrichtet. Schönheitsfehler zwei: Ein Punkt sieht wieder Lockdown vor – präsentiert zeitgleich mit dem Einstellen der Maßnahmen. Gesprochen wurde auch über ein Corona-Register – derzeit melden sieben von neun Ländern nicht oder nicht vollständig ein. Der Rest der Daten habe laut Insidern Mängel. Dritter Punkt: Die beiden Covid-Medikamente sollen breitflächiger eingesetzt werden.

Das Deckblatt des Variantenmanagementplans der Bundesregierung.
Das Deckblatt des Variantenmanagementplans der Bundesregierung.
HEUTE

Eklat bei wichtiger Sitzung

➤ Am Dienstag erging dann die fünfseitige Verordnung an die Länder. Die Krux für Rauch: Seit der Vorwoche hat sich kaum etwas geändert. Das Quarantäne-Aus ist beschlossene Sache, eine Videokonferenz mit den Gesundheitslandesräten wird zur Farce.

➤ Sie startete um 14.30 Uhr. Minister Rauch stellte klar, dass er die Verordnung bereits unterschrieben habe – obwohl die Begutachtungsfrist für die Länder bis 18.00 Uhr anberaumt war. Wien ist außer sich, nimmt entsetzt zur Kenntnis, dass man an der Stellungnahme aus der Hauptstadt nicht interessiert sei.

➤ Um 16.00 Uhr dann der Eklat: Obwohl viele Fragen offen sind, stehen Minister Rauch und sein Kabinett nach 90 Minuten einfach auf und flüchten aus der Diskussion. Minister Rauch müsse zur Pressekonferenz, wird den Gesundheitslandesräten lapidar beschieden.

Mit Arbeitsminister Martin Kocher stellte Rauch die neuen Corona-Regeln dann offiziell vor. Fakt ist: Wer infiziert ist, darf künftig mit Auflagen hinaus. Corona-Infizierte können ab 1. August also ins Wirtshaus gehen und dort maskiert anderen beim Schnitzelessen zuschauen. Einzig die Einnahme von "Alkohol oder Psychopharmaka" wird durch die FFP2-Maske schwierig. Wer sie absetzt: Auch kein Problem, kontrolliert wird nicht. Was für ein Sommer-Dramolett, bestimmt tauglich für die Goldene Himbeere …

1/11
Gehe zur Galerie
    v.l.n.r.: Chief Medical Officer <strong>Katharina Reich</strong>, Gesundheitsminister <strong>Johannes Rauch</strong> (Grüne) und Arbeitsminister <strong>Martin Kocher</strong> (ÖVP) am 26. Juli 2022.
    v.l.n.r.: Chief Medical Officer Katharina Reich, Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) am 26. Juli 2022.
    GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
    1/50
    Gehe zur Galerie
      <strong>21.11.2024: Für 4,90 Euro völlig ungenießbares Schulessen serviert</strong>. Die Debatte um Mittagessen und Jause in heimischen Schulen und Kindergärten kocht hoch. <a data-li-document-ref="120073491" href="https://www.heute.at/s/fuer-490-euro-voellig-ungeniessbares-schulessen-serviert-120073491">"Es schmeckt nicht", ärgert sich nicht nur Wienerin Daniela D.</a>
      21.11.2024: Für 4,90 Euro völlig ungenießbares Schulessen serviert. Die Debatte um Mittagessen und Jause in heimischen Schulen und Kindergärten kocht hoch. "Es schmeckt nicht", ärgert sich nicht nur Wienerin Daniela D.
      privat, iStock