Drama um Engpass
Medikament vergriffen, Mama musste in Notaufnahme
Eine Wienerin musste mit Schwindelattacken ins Spital. Zuvor war ihr das Medikament Ozempic ausgegangen. Keine Apotheke und kein Arzt konnten helfen.
Während die Reichen und Schönen ein Diabetes-Medikament als Diätmittel missbrauchen, leiden Zuckerkranke unter einem extremen Versorgungsengpass. Was klingt wie eine Dystopie, ist – nicht nur in Österreich – seit Monaten Realität. Das musste eine schwerkranke Wienerin, die gut auf das Medikament eingestellt war, am eigenen Leib erfahren. "Apotheken führen lange Wartelisten und empfehlen Patienten, selbst nach dem Medikament zu suchen, man sagte mir ,Rufen Sie doch einfach selbst alle Filialen durch, viel Erfolg!'", berichtet ihr besorgter Sohn.
Im ganzen Land sucht man die wertvollen Spritzen vergeblich. Das höchst wirksame Medikament Ozempic ist weltweit Mangelware, auch weil das Mittel auf Social Media als Diät-Wundermittel angepriesen wird.
Seine 84-jährige Mutter musste das Medikament infolge absetzen – es war nirgends aufzutreiben. Daraufhin bekam die sonst aktive und "gschaftige" Diabetikerin schwere Schwindelanfälle, bei denen ihr schwarz vor Augen wurde. Sie lag fast nur noch im Bett. Vor Kurzem musste sie mit Blaulicht in die Notaufnahme gebracht werden – ihr Zuckerwert war auf fast 300 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) geschnellt!
„Das möchte man nicht erleben“
"Das möchte man nicht erleben, wenn seine eigene Mutter freiwillig für ein Krankenhaus packt, weil es nicht mehr anders geht", wandte sich der Wiener verzweifelt an "Heute". Denn: Sowohl Ärzte- und Apothekerkammer als auch Gesundheitsminister und Wiener Gesundheitsstadtrat wurden angeschrieben, gaben aber keine Antwort.
Es kann jeden treffen
"Als Angehöriger meiner Mutter werde ich ihrem Leidensweg nicht tatenlos zusehen", legte ihr Sohn sich fest. "Mir ist klar, dass ihr Alter kritisch ist. Aber sie hat ebenso ein würdevolles Leben verdient. Aber es kann ja jeden treffen. Warum sind die Verantwortlichen in Bund und Wien nicht imstande, ihre Medikamente bereitzustellen", ärgert er sich.
"Heute" ging der Sache nach: Der Grund für den Engpass ist nicht bei der Stadtpolitik oder beim Bund zu suchen, wie Sprecher der MA15 und des Gesundheits- und Sozialministeriums auf Anfragen unisono aufklärten – die Beschaffung werde über den Pharma-Großhandel abgewickelt und dieser bestellt ohnehin schon, was er kann.
Off-Label-Gebrauch nicht empfohlen
Doch durch sogenannten Off-Label-Use des Medikaments als Diätmittel sei es zur erhöhten Nachfrage gekommen, die nun nicht mehr kompensiert werden kann. Ein Drama – auf das das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) bereits reagierte: Seit November 2022 besteht eine Vertriebseinschränkung, und das Präparat wurde auf die Exportverbotsliste gesetzt.
Trotzdem musste die Österreichische Diabetes Gesellschaft (ÖDG) im Sommer vor Engpässen bei der Medikamentengruppe der GLP-1-Rezeptoragonisten rund um Ozempic warnen. "Momentan befürchten wir, dass erst im zweiten Halbjahr 2024 wieder mit einer flächendeckenden Versorgung gerechnet werden kann", erklärte der Präsident der ÖDG, Peter Fasching.
"Heute"-Berichterstattung über Ozempic
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Bei Nichteinnahme droht Gefahr
Der Diabetes-Spezialist empfiehlt Betroffenen, in Absprache mit den behandelnden Ärzten, auf verfügbare Alternativen auszuweichen, anstatt die Behandlung abzubrechen. Sonst schnellen die Zuckerwerte hinauf, was lebensgefährlich sein kann. "Da viele Alternativ-Medikamente jedoch ebenfalls von der Verknappung betroffen sind, ist die Lage ernst und wird für Patienten, wie für jene 84-Jährige, zum echten Problem", meinte der Mediziner mitfühlend.
Hersteller baut Kapazitäten aus
"Die unerwartet hohe weltweite Nachfrage überschreitet unsere derzeitigen Produktionskapazitäten", so der Hersteller Novo Nordisk in einer ausführlichen Stellungnahme gegenüber "Heute". Man arbeite rund um die Uhr in den Fabriken und investiere "in großem Umfang in den weiteren Ausbau der Produktionskapazitäten", hieß es vom dänischen Konzern. Trotzdem sei ein Ende des Engpasses vorerst nicht abzusehen.
Dass das Medikament je nach der Höhe der Vergütung der jeweiligen Krankenkasse an Länder verteilt wird – um so den Profit zu maximieren – dementiert das Unternehmen vehement. "Prinzipiell erhalten Länder ihre Medikamente entsprechend einer prognostizierten Nachfrage." Wie viel das genau ist? Keine Antwort.
Offenbar zu wenig, denn die Betroffene ist nicht der erste Fall: Auch in Niederösterreich verzweifelte ein 66-Jähriger vor wenigen Wochen fast: "Zum wiederholten Mal, nämlich dem fünften Mal, ist das Medikament Ozempic 0,5 nicht erhältlich. In allen drei Mistelbacher Apotheken und auch nicht im gesamten Weinviertel", berichtete Otto V. (66). "Ich finde diese Situation unhaltbar", polterte er – mehr dazu hier.