Politik

Kurz-Vertrauter verrät jetzt seine letzten Geheimnisse

Gerald Fleischmann im "Heute"-Interview: Der Mastermind hinter Sebastian Kurz enthüllt, warum er dem Ex-Kanzler mitunter auch zu Bullshit geraten hat.

Clemens Oistric
Gerald Fleischmann verfasste ein Buch über "Message Control".
Gerald Fleischmann verfasste ein Buch über "Message Control".
Helmut Graf

Er war jahrelang der engste Vertraute von Sebastian Kurz, begleitete ihn als Staatssekretär, Außenminister und Kanzler – Gerald Fleischmann. In der Chat-Affäre führt ihn die Justiz als Beschuldigten, in der Medienbranche war er als "Mr. Message Control" mit robustem Durchsetzungsvermögen bei türkisen Anliegen berüchtigt. Nun schrieb Fleischmann ein Buch. Wenig überraschender Titel: "Message Control".

Selber Verlag wie Kurz

Der 304-seitige Wälzer (26 Euro) erschien im Wiener Verlag edition-a, in dem auch Sebastian Kurz kürzlich ein gemeinsames Werk mit der Journalistin Conny Bischofberger ("Reden wir über Politik") publiziert hat. Mit "Heute" sprach Fleischmann über seine Beweggründe und gibt Einblicke in seine Arbeit.

Das Video-Interview mit Gerald Fleischmann

"Polit-mediales System alternativlos"

Sein Werk sei nicht als Therapie-, vielmehr "als Hintergrund-Buch" zu sehen und solle einer breiten Zielgruppe "einen Blick hinter die Kulissen" ermöglichen. "Ein Versuch, Transparenz in das polit-mediale System zu bringen", so Fleischmann, der davon überzeugt ist, dass dieses "alternativlos in einer Demokratie" ist.

Fleischmann (49) im <em>"Heute"</em>-Interview. Er war einst selbst Journalist.
Fleischmann (49) im "Heute"-Interview. Er war einst selbst Journalist.
Helmut Graf

"Nirvana-Taktik" und "notwendiger Unsinn"

Einen kleinen Seitenhieb kann sich der 49-Jährige, der seine Laufbahn als Journalist begonnen und 2007 erstmals in der Kommunikationsabteilung der ÖVP angeheuert hat, nicht verkneifen: "Beim Vertrauensindex steht die Politik an letzter Stelle, die Medien jedoch an vorletzter."

Wie auch immer: Fleischmann, ab 2011 engster Vertrauter von Sebastian Kurz, verrät nun seine letzten Geheimnisse – etwa, dass man unter Sebastian Kurz mit "Nirvana Taktik" und "strategisch notwendigem Unsinn" medial operiert habe. Kurz als Kurt Cobain der Politik? Der frühere Musiker Fleischmann will mit von Bruno Kreisky geprägten Methoden der SPÖ türkise Inhalte vermittelt haben – "so wie einst die Band Nirvana mit Heavy-Metal- Instrumenten Underground-Melodien spielte und sowohl Popper als auch Rocker für sich gewann".

"Bullshit gestreut"

Auch für Aufreger-Themen in den sozialen Netzwerken ("alle fünf Tage wurde dort 'eine neue Sau durchs Dorf' getrieben") habe das Team um Sebastian Kurz eine eigene Strategie entwickelt – nämlich die "SNU-Taktik", also das Streuen von "strategisch notwendigem Unsinn", wie Fleischmann enthüllt. "Nach einer gewissen Zeit begannen die Strategen der Regierung von sich aus bewusst Themen zu setzen, die in den sozialen Medien zur Empörung führten. Allerdings solche Themen, die der Regierung kaum schadeten und der Mehrheit der Bevölkerung egal waren."

Dazu gehörten, so Fleischmann, "vor allem Themen im Bereich Klima- und Umweltpolitik, wie etwa ein Streit zwischen den Regierungsparteien darüber, ob der Klimaschutz eher durch Fortschritt oder durch Verzicht umgesetzt werden würde. Oder ein Streit über Bau- und Verkehrsprojekte. Oder über den Umgang mit Problemwölfen". Lange Zeit auch ein dankbares Thema: wer die Ankündigung von Corona-Lockerungen gegenüber der Bevölkerung machen dürfe.

Sebastian Kurz "nicht sehr sklavisch" 

Gegenüber "Heute" spricht der Kommunikator auch über vorgegebene Textbausteine: Jeder Politiker würde von seinen Medienbetreuern ein mit Referenten und Experten erarbeitetes Wording erhalten: "Es ist von Politiker zu Politiker unterschiedlich, wie sklavisch sie sich daran halten. Sebastian Kurz tat dies nur rudimentär. Auch Karl Nehammer ist sehr spontan und argumentiert stark intuitiv und aus der Emotion heraus", so der Familienvater, der in "Message Control" ein Manuskript für Sebastian Kurz aus der Terrornacht (2. November 2021) öffentlich macht:

Fleischmanns Wording in der Terrornacht

»Sg Damen und Herren. liebe Österreicherinnen und Österreicher. Schwere Stunden für Republik Österreich und Bundeshauptstadt Wien. Wir sind Opfer eines widerwärtigen Terror-Akts. Anschlag nach wie vor im Gang (!). Danke an Einsatzkräfte. Riskieren ihr Leben für unsere Sicherheit. Polizei gelungen Täter auszuschalten., aber (!) mehrere Täter noch auf der Flucht. Danke an Rettungskräfte. Schwierige Stunden. Dienst an Menschen. An die Angehörigen der Opfer: die Gedanken von uns allen sind bei Ihnen. Danke an internationalen Partnern für Mithilfe. Für Solidarität und Unterstützung. Einsatz Bundesheer angeordnet, für Objektschutz in Bundeshauptstadt. Damit Polizei alle Kräfte frei, um Täter zu fahnden. Bitte an Bevölkerung: Zu Hause bleiben. Wenn Anderer Ort - dort bleiben. Nachrichten verfolgen. Ob morgen früh öffentliches Leben möglich hängt von heutiger Nacht ab - ob alle Täter ausgeschaltet. Polizei tut alles.«

Eine einzige Pressemitteilung aufbewahrt

Leser seines Buches erfahren zudem, dass Fleischmann Kurz das Wording für das Brexit-Votum "leave" nicht übermittelt hatte und nur eine einzige Presseaussendung ("eine der schönsten, die ich je verfasst hatte") am PC aufbewahrt hat – aus der Zeit, in der Sebastian Kurz Außenminister war. Da glaubte das Außenamt irrtümlich, IS-Geisel Dalibor S. lebend zurück nach Österreich holen zu können. Fleischmann hätte sie unglaublich gerne versandt. Die Episode sei für ihn ein Beispiel dafür, "dass Journalisten immer wieder in die Situation kommen, etwas berichten zu wollen, was nicht ganz stimmt, wenn sie ein Märchen wahr werden lassen könnten".

Wo die Message Control versagte

Ob seine Message Control mitunter auch Schwächen hatte, will "Heute" wissen. Fleischmann: "So oft, dass ich mir gar nicht aussuchen könnte, welches Beispiel ich jetzt erwähne". Im Buch tut er es dennoch, beschreibt etwa, dass er in Kiew auf einen Übersetzer vergessen hatte, im Weißen Haus bei einer Reise zu Donald Trump zu wenig österreichische Regierungsmitglieder dabei hatte (und folglich mit einem US-Minister smalltalken musste) oder wie er in Bagdad (unfreiwillig) zum Leibwächter einer Journalisten-Delegation wurde.

Lobeshymne auf neuen Chef

Im "Heute"-Talk wird auch offenkundig, wohin Fleischmanns mediale Erzählung in den nächsten Monaten gehen könnte: Karl Nehammer sei – "wenn man sich die Vertreter der anderen Parlamentsparteien" ansehe – "das kompletteste Paket als Politiker", meint Fleischmann. FPÖ, ÖVP und SPÖ sieht er "in einem Korridor zwischen 23 und 26 Prozent". Nachsatz: "Wenn zum Schluss alle zu sprinten beginnen, ist alles möglich. Karl Nehammer hat alle Chancen nächstes Jahr als erster durchs Ziel zu gehen". 

1/8
Gehe zur Galerie
    Altkanzler Sebastian Kurz (36) hat nun mit Conny Bischofberger ein Buch geschrieben.
    Altkanzler Sebastian Kurz (36) hat nun mit Conny Bischofberger ein Buch geschrieben.
    Sabine Hertel
    Mehr zum Thema