Politik
Migration, Geld: Eine wie Meinl-Reisinger bräuchten wir
Moderner als die Schnitzel-ÖVP, Absage an die Träumerein der Babler-SPÖ. Beate Meinl-Reisinger rückte bei den Sommergesprächen deutlich in die Mitte.
Düsteres Ambiente, dafür viele lichte Momente: Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger lieferte eine beachtenswerte Premiere bei den diesjährigen Sommergesprächen im ORF ab. Wirken Interviews im öffentlich-rechtlichen Sender sonst mitunter wie Verhöre, war dies Montagabend nur durch die dustere Anmutung eines schlecht beleuchteten Mini-Kabäuchschen im Parlament der Fall. Abgesehen von einigen theatralischen "Geh bitte" Richtung Interviewerin Schnabl entzog sich Beate Meinl-Reisinger billigem Populismus und Phrasendrescherei beinahe vollumfänglich und sprach viele unangenehme Wahrheiten an.
BMR ist die Mitte, die wir suchen
Was augenscheinlich war: Trotz zahlreicher Neos-Wahlschlappen auf Länderebene in diesem Jahr (ein Thema, das im ORF-Talk leider nur kurz gestreift wurde), strotzt BMR vor Esprit. Sie hat ihr Auftreten merklich adaptiert und verkörpert jetzt die Mitte, die wir in Zeiten der Zuspitzung an den rechten und linken Rändern so verzweifelt suchen. Nicht einmal Herbert Kickl wird sich an ihr abarbeiten können, immerhin entschuldigte sich die "Pink Lady" am Beginn der Sendung für einen "falsch verwendeten" Vorwurf – "Volksverräter" hatte sie die FPÖ im Vorjahr noch gegeißelt.
Schlanker Staat, üppigere Gehälter
Meinl-Reisinger servierte danach eine interessante Melange aus (wirtschafts-)liberalen Positionen und sozialem Ausgleich. So trat sie – erwartungsgemäß – für einen schlankeren Staat ein, sprach sich gegen Anreize bei Teilzeitarbeit aus; ärgerte sich im Umkehrschluss aber, dass die Politik säumig sei, flächendeckende Kinderbetreuung umzusetzen. "Wer Vollzeit arbeitet, sollte belohnt werden", so ihr Credo.
Tipps für die Gewerkschaft
Die Neos-Chefin will die Lohnnebenkosten senken, damit Arbeitnehmer 5 Prozent mehr netto vom brutto erhalten. Bemerkenswert dabei ihr Respekt vor den Sozialpartnern. "Das wäre eine starke Position", empfahl sie der Gewerkschaft ihr Modell. Diese solle "dem Finanzminister ordentlich auf die Zehen steigen". Dessen Einnahmen würden "sprudeln", er sei "der größte Krisenprofiteur", schlug sie beinahe schon klassenkämpferische Töne an.
Die sich mit einem überdeutlichen "Njet" bei neuen Steuern dann aber wieder erschöpft hatten. "Unerträglich" findet sie den Ruf von Neo-SPÖ-Chef Andreas Babler nach einer Vermögenssteuer. Diese fange bei den Millionären an, "am Schluss landet man bei den Häuslbauern und der Mitte der Gesellschaft", positionierte sie sich dann mit Hausverstand und Klarheit ebendort.
Nachsehen: Das 1. ORF-Sommergespräch
Neos nun die bessere ÖVP?
Den neuen, kantigeren Kurs unterstrich sie beim Thema Migration. "Zu viel irreguläre Zuwanderung", benannte sie Integrationsprobleme offensiv und sprach damit wohl vielen Österreichern aus der Seele. Dass sie auf der anderen Seite bunte Farbe nicht nur im Parteilogo verwendet, sondern auch ganz offen für ein moderneres Gesellschaftsbild als die ÖVP eintritt, muss einem Respekt abringen. So nannte Meinl-Reisinger ihren homosexuellen Abgeordneten Yannick Shetty "mutig und toll"; sie zeigte sich zerknirscht darüber, "dass sich ein schwules Pärchen mittlerweile wieder überlegt, sich Händchenhaltend zu zeigen". In diesem Zusammenhang kritisierte sie ohne Umschweife die "fundamentalistische Einstellung, beispielsweise bei Muslimen".
Alles rosarot bei den Pinken? Mitnichten. Durch die eingangs zitierten jüngsten Wahlschlappen hat das Sieger-Image gehörig Schrammen abbekommen. Elf Jahre nach der Gründung ist man beinahe schon Establishment und vermag das auch nicht zu verhehlen. Aber: Meinl-Reisinger zeigt jetzt klare Kante. Angesichts der Performance der Grünen, die seit Jahren im Sitzen umfallen, muss man sagen:
So eine bräuchten wir in der Regierung!