"Ich kann nur 20 Meter gehen, dann muss ich Pause machen. Oft spinnt der Blutdruck", erzählt der ehemalige Frisör Alexis C. (59). In Wien, wo er geboren und aufgewachsen ist, hat er auch die Lehre gemacht. Zuletzt betrieb er einen Friseursalon mit seiner damaligen Frau in Stockerau (Bezirk Korneuburg).
Heute ist das alles nicht mehr möglich, er lebt im Raum St. Pölten, ist schwer krank und enttäuscht. Zwei Jahre und eine Gerichtsklage hat es gebraucht, damit C. eine Invaliditätspension von der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) zuerkannt wurde.
"So etwas wird einmal prinzipiell abgelehnt", ist sich C. sicher. Denn ein derartiger Instanzenweg wie seiner sei besonders anstrengend. Gerade wenn man körperlich eingeschränkt ist und viele Termine zu bewältigen sind, darunter "Sachverständige, juristische Beratungs- und Vertretungstermine an der Arbeiterkammer und schließlich Gerichtstermine."
Mittlerweile brächte sein Herz nur noch 36 Prozent der Leistung, sagt er. Mit der Lungenkrankheit COPD in Stufe 3 wäre er bald davor, dauerhaft Sauerstoff zu brauchen. "Die wollen mich abwiegeln, so fühlt es sich an", sagt Alexis C.
C. denkt, dass die PVA auf Zeit spiele. Sein Fall zeige aber, dass es sich auszahle, zu klagen, wenn man denn könne und dass "hier irre Summen an Steuergeld verbrannt werden."
Bei 51.454 Anträgen im Jahr 2019 kam es zu 15.502 Zuerkennungen, während es vier Jahre später bei 48.703 Anträgen nur noch 10.761 Zuerkennungen gab, schreibt die PVA in ihrem Jahresbericht 2023.
Bei den Weitergewährungsanträgen, das heißt Anträgen, bei denen nach einer Befristung eine dauerhafte Invalidität zuerkannt wurde, schreibt die PVA an "Heute", sei zu beachten, dass auch die Zahl der Anträge stark zurückgegangen ist: "2019 gab es 5.130 Weitergewährungsanträge, davon 4.604 Zuerkennungen; 2023 gab es 878 Weitergewährungsanträge, davon 752 Zuerkennungen."
Die PVA führt es auf Reha- und Vorsorgemaßnahmen zurück, dass die Zahl der Anträge zurückgegangen ist. Grundsätzlich wäre aber jeder Fall einzeln zu betrachten. Allgemeine Aussagen zu treffen, sei unmöglich.
Das Klima werde für Betroffene immer schärfer, sagt ein Sprecher der Arbeiterkammer Niederösterreich (AK NÖ). Der Fall von Herrn C. sei da leider keine Ausnahme: "Das ist kein Einzelfall. Uns fällt auf, dass es immer öfter vorkommt." Dabei schaffe es die AK NÖ, in 50 Prozent der Fälle ihre Klagen gegen die PVA durchzubringen.
In Niederösterreich, wo Herr C. am Arbeits- und Sozialgericht geklagt hat, konnte die Arbeiterkammer 74 von 147 Fällen gewinnen. "Das ist gerade für den Bereich Sozialrecht eine sehr gute Quote", sagt derselbe Sprecher und fügt noch an: "Nicht alle, die abgelehnt werden, kommen zu uns. Dabei vertreten wir unsere Mitglieder völlig kostenlos."
Kosten würden dabei hauptsächlich für den Staat entstehen, sagt Alexis C. und ist darüber enttäuscht. Alleine eines seiner Lungengutachten habe über 6.000 Euro gekostet. Man müsse sich fragen, warum die PVA in Niederösterreich die Hälfte der Fälle verliert. Es habe fast zwei Jahre gedauert, sagt C., bis er seine Ansprüche vor Gericht durchsetzen konnte.
"Heute" hat mit einer Vollmachtserklärung des Betroffenen bei der PVA nachgefragt, die erklärt:
"Herr C. hat im Jänner 2022 einen Antrag auf eine Berufsunfähigkeits-/Invaliditätspension (BU/IV-Pension) bei der Pensionsversicherung (PV) gestellt. Dieser Antrag wurde Anfang Mai 2022 abgelehnt. Am 23.05.2022 hat Herr C. gegen den Bescheid eine Klage bei Gericht eingebracht."
Und weiter: "Die PV hat sich mit Herrn C. auf einen Vergleich geeinigt, im Zuge dessen Herr C. an Rehabilitationsmaßnahmen teilnimmt und er für diesen Zeitraum Rehabilitationsgeld erhält." Das entspreche einer vorübergehenden Invalidität.
Nach der Reha im Oktober 2022 habe Herr C. im Juli 2023 eine Nachuntersuchung bei der PV gehabt, bei der festgestellt wurde, dass sich sein Gesundheitszustand, trotz der Rehabilitationsmaßnahmen, verschlechtert habe. So wurde, schreibt die PVA, Alexis C. "im August 2023 eine dauerhafte Invaliditätspension zugesprochen."
C. ist irritiert. In einem Schreiben der PVA wird C. darüber informiert, dass er im August 2025 zu einer ärztlichen Nachuntersuchung geladen ist, deren Ausgang über den Fortbestand seines Anspruchs entscheiden wird.
"Dauerhaft" sei hier irreführend, wenn sein Anspruch doch zeitlich begrenzt sei und im Sommer wieder überprüft wird. "Dauerhaft sind, aus medizinischer Sicht, definitiv meine chronischen Mehrfacherkrankungen."
Die PVA erklärt das Prozedere: "Die gesetzlichen Bestimmungen sehen vor, dass eine befristete Invaliditätspension für maximal 2 Jahre gewährt wird, danach muss ein neuer Antrag gestellt werden. Bei einer dauerhaften Invaliditätspension wird diese so lange gewährt, als eine Invalidität vorliegt. Der Gesetzgeber schreibt allerdings auch bei der Gewährung einer dauerhaften Invaliditätspension Nachuntersuchungen vor."
Allgemein heißt es zudem seitens der PVA: "Damit die Menschen möglichst lange gesund bleiben, wurden in den letzten Jahren die Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge sowie der Rehabilitation stetig ausgebaut, um den Menschen ein autonomes und selbstständiges Leben zu ermöglichen. Es ist daher erfreulich, dass die Zahl der Anträge auf eine BU/IV-Pension rückläufig sind. In Relation dazu ist daher auch die Zahl der Zuerkennungen zu sehen. Grundsätzlich gilt, dass der Fall jeder*jedes Versicherten individuell geprüft wird, es ist daher nicht möglich, diesbezüglich eine allgemeine Aussage zu treffen, ohne Einsicht in die betreffenden Fälle zu nehmen."
C. sieht aber noch ein anderes Verfahren auf sich zukommen, dieses Mal im Kampf um die Anerkennung einer höheren Pflegestufe: "Es bahnt sich für mich wieder ein langer, sehr mühsamer Weg, über das Gericht St. Pölten an."
Trotz der mittlerweile "ca. 170 Seiten Befunde" aus verschiedenen medizinischen Fachabteilungen, die "eindeutige chronische Diagnosen" beinhalten, würde die PVA immer neue Gutachten in Auftrag geben, um Zeit zu gewinnen, ist sich C. sicher: "Die PVA ändert ihre Meinung in vielen Fällen oft erst vor Gericht."
Klar sei ihm auch, sagt C., dass hier die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung bestünde, um Missbrauch zu verhindern. Alexis C. wirkt gut gelaunt, als er "Heute" von seiner schweren Krankheit erzählt. Nach jahrelangem Stehen im Frisörberuf wirkt es so, als sei er das Warten gewohnt, wenn er sagt: "Wut bringt hier nichts. Die frisst einen am Ende nur selbst auf." Über 13 unterschiedliche Medikamente müsse er jeden Tag nehmen. Ohne seinen Gehstock kann er sich nicht mehr fortbewegen.
Dann zitiert C. plötzlich den berühmten Schauspieler Charlie Chaplin: "Wir denken zu viel und fühlen zu wenig." Auch in diesem Prozess werde am Ende ein positives Urteil für ihn gesprochen werden, sagt C. voll Zuversicht. Sein Klagebegehren hat er Ende Jänner am Arbeits- und Sozialgericht St. Pölten eingebracht.