"Wie ein Arzt ohne Studium"
Jeder 5. Lehrer in Wien unterrichtet ohne Abschluss
Lehrermangel: In Wiener Schulen unterrichten immer mehr Lehrer ohne abgeschlossene Ausbildung – ein Drittel davon quittiert schnell den Job.
An Wiens Pflichtschulen herrscht Alarmstufe Rot: Über 20 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer unterrichten ohne abgeschlossene Ausbildung. Vor drei Jahren betraf das nur jede zehnte Lehrkraft, jetzt ist die Zahl auf mehr als 3.200 gestiegen, so der "ORF". Besonders betroffen sind Studierende, die noch mitten in der Ausbildung stehen, aber immer früher im Klassenzimmer eingesetzt werden.
Bildungsexperte: "Wie ein Arzt ohne Studium"
Diese "Notlösung" wurde ursprünglich eingeführt, um den akuten Lehrermangel abzufedern. Doch sie hat sich längst zu einem Dauerzustand entwickelt. "80 Prozent meiner Studierenden stehen bereits vor der Klasse", erklärt Bildungswissenschaftler Marko Lüftenegger gegenüber dem "ORF". "Eigentlich sollte das die Ausnahme sein."
Lüftenegger warnt vor den Folgen: "Niemand von uns würde sich von einem Arzt operieren lassen, der noch mitten im Studium steckt. Doch bei Lehrern nehmen wir das in Kauf. Dabei fehlt ihnen oft das Know-how, wie man Inhalte effektiv vermittelt."
Die Doppelbelastung aus Studium und Unterricht führt laut Lüftenegger zu massiven Problemen: "Wenn Studierende zu früh Vollzeit arbeiten, bleibt keine Zeit für ein fundiertes Studium. Das Ergebnis sind Lehrkräfte, die weder genügend Erfahrung noch eine abgeschlossene Ausbildung haben."
Stadtrat verteidigt den Mittelweg
Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (NEOS) hält dagegen: "Der frühzeitige Einsatz in Schulen bringt wichtige Praxiserfahrungen. Wir sagen den Studierenden aber klar, dass sie nicht zu früh Vollzeit arbeiten sollen." Man setze auf einen Mittelweg, doch der Druck bleibt hoch.
Kündigungswelle schockiert
Die ÖVP sieht die aktuelle Entwicklung besonders kritisch. Bildungssprecher Harald Zierfuß macht deutlich: "Die jungen Lehrer sind schnell ausgebrannt. Nach wenigen Jahren kündigen viele wieder. "Laut aktuellen Zahlen gab es im Jahr 2020 noch rund 350 Kündigungen und Dienstauflösungen. Jetzt sind es fast 1.000 pro Jahr – fast eine Verdreifachung. Zierfuß schlägt Alarm: "Das zeigt, dass das System in seiner aktuellen Form nicht funktioniert. Die Situation für Lehrer ist untragbar."
Bildungsexperte Lüftenegger befürchtet, dass diese Entwicklung langfristige Folgen hat: "Wenn die Studierenden irgendwann ihr Studium abschließen, sind sie keine echte Entlastung mehr. Sie sind längst im System integriert. Der Lehrermangel bleibt."
Schüler und Eltern die Leidtragenden
Für Schüler bedeutet das oft unzureichenden Unterricht. Eltern beklagen immer häufiger, dass sich die Unterrichtsqualität verschlechtert. "Meine Tochter hatte letztes Jahr vier verschiedene Lehrer in Mathematik", erzählt eine Mutter. "Wie soll sie da den Stoff verstehen?"
Doch nicht nur die Schüler leiden: Auch die verbliebenen qualifizierten Lehrer sind überlastet. "Es bleibt oft keine Zeit für Vorbereitung oder individuelle Förderung der Kinder", berichtet eine Volksschullehrerin anonym. "Wir arbeiten am Limit."
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- In Wiener Schulen unterrichten über 20 Prozent der Lehrer ohne abgeschlossene Ausbildung, was zu massiven Problemen führt
- Die Doppelbelastung aus Studium und Unterricht überfordert viele junge Lehrer, was zu einer hohen Kündigungsrate und einer Verschlechterung der Unterrichtsqualität führt