Der Schock sitzt auch Tage nach dem Villach-Anschlag in ganz Österreich tief. Eine Frage, die viele quält: Wäre der IS-Terror durch den 23-jährigen Syrer Ahmad G. zu verhindern gewesen? Er hatte sich nach Angaben der Ermittler innerhalb kürzester Zeit selbst über Plattformen wie TikTok radikalisiert. Seine Vermieter ahnten nichts: "Er war a liaba Bua."
Der Beginn der Reise vom Normalbürger zum IS-Terroristen sei meist recht unscheinbar. Besonders empfänglich dafür sind aber junge Männer, die auf Sinnsuche sind und im Netz nach Antworten suchen, sagen mehrere Extremismus-Experten übereinstimmend. In den Sozialen Medien geraten sie dann an Hassprediger, die wie Influencer auftreten. "Viele von ihnen haben Pop-Star-Status erlangt. Sie sehen aus wie coole Jungs von nebenan, in Wahrheit verbreiten sie 'eine ultrakonservative Auslegung des Islam'", weiß die Dokumentationsstelle Politischer Islam.
Diese islamistischen Influencer "stellen eine niederschwellige Einstiegsdroge in die Radikalisierung dar", sagt Nicolas Stockhammer von der Donau-Uni Krems. "Zunächst geben sie sehr lebensnahe Empfehlungen ab", etwa wie man ein frommes Leben aus Sicht des Salafismus leben kann. Über diese Prediger kommen die Opfer dann in geschlossene Telegramgruppen, wo Inhalte geteilt werden, die als jihadistisch gelten. Stockhammer: "Die Intention ist ganz klar: Menschen zu Terror anzustiften!"
"Diese Schlüsselpersonen müssen aus dem Verkehr gezogen werden", konstatierte dazu Terrorismus-Forscherin Daniela Pisoiu am Montag im "Ö1 Morgenjournal". Der Staatsschutz müsse nun genau diese Hassprediger beobachten und die Politik zu einer "Entscheidung kommen, etwas zu tun". Sie warnte aber davor, nun ganze Ethnien oder eine Religion unter Generalverdacht zu stellen. Den von Innenminister Gerhard Karner (VP) geäußerten Plan zu "anlasslosen Massenüberprüfungen" von Syrern und Afghanen in Asylunterkünften, bezeichnete sie als "kontraproduktiv": "Teil der extremistischen Propaganda ist es, zu behaupten, dass westliche Gesellschaften Muslime hassen und man sich dagegen wehren sollte. So eine Maßnahme wird die Propaganda sogar noch bestätigen."
Das weiß auch Moussa Al-Hassan Diaw, der Gründer und Obmann der Deradikalisierungsstelle (Derad). Die Hassprediger würden Sinnsuchenden einfache Lösungen versprechen, "Immer mit der Botschaft, dass das System und die Gesellschaft, in der sie leben, schlecht und verkommen sind." Unter den Betroffenen seien, auch dank des Internets, "nicht wenige autochthone Österreicher".
Die teils ehrenamtlichen Mitglieder von Derad, die an vorderster Front radikalisierende Jugendliche durch Aufklärung von Gewalt abhalten, würden bei ihrer Arbeit in den Schulen einen Anstieg der extremistischer Weltbilder feststellen. "Ganz normale Jugendliche haben an diese Ideologie angedockt, sich damit auseinander gesetzt und glauben, es ist richtig, was diese Leute da verbreiten. Das macht uns große Sorgen", schildert Diaw. Bedrückender Nachsatz: "Es bleibt aber teilweise bei den politischen Entscheidern und den Beamten absolut ungehört."
So hätten seine Beobachter bereits 2024 eine große Telegram-Gruppe mit rund 14.000 Mitgliedern entdeckt, die radikale Inhalte verbreitet wurden. Behördenseitig habe es nicht wirklich Maßnahmen geben, um das zu stoppen. Bitter: Denn nicht nur war auch der verhinderte Taylor-Swift-Attentäter Teil dieser Gruppe, sondern auch ein weiterer Mann, der dann extra nach Saudi-Arabien reiste, um dort einen Anschlag zu verüben – "weil er der Meinung war, dass Muslime, die nicht so denken wie er, keine Muslime sind und es verdienen, umgebracht zu werden. Das ist auch ein Kern dieser Ideologie".
Damit hätten auch größeren Moscheen in Österreich zu kämpfen. Diaw würde sich wünschen, dass auch diese alte Feindbilder intensiver aufarbeiten würden, denn "antisemitische Einstellungen werden inzwischen als normal betrachtet. Es gibt eine Dehumanisierung." Auch bei den muslimischen Communitys gebe es daher "in allen Bereichen" etwas zu tun. "Und man muss auch endlich verstehen, dass die extremistische Ideologie das Problem ist".
Von seiner Seite aus das Wichtigste wäre, die Kommunikation und Unterstützung von Personen, die mit diesen Personenkreisen arbeiten, zu verbessern. Dazu müsse frühzeitig auf Veränderungen bei Jugendlichen geachtet und reagiert werden. Direkt auf sich radikalisierende Betroffene zuzugehen und sie mit ihren Ansichten zu konfrontieren, wirke. Aber: "Da fehlen seit Jahren die Ressourcen und die Bereitschaft zur Unterstützung. Deswegen haben wir leider feststellen müssen; es wird nicht weniger, sondern es wird mehr."