1.000 Tage Ukraine-Krieg
"Gewinnt Putin, kommt Finsternis nach Österreich"
Fällt die Ukraine, droht Europa das Chaos, warnt der ukrainische Botschafter in Österreich. Er will die russische Bevölkerung den Krieg spüren lassen.
Vor 1.000 Tagen marschierten russische Truppen in der Ukraine ein. Ein trauriges Jubiläum, doch 1.000 Tage Krieg bedeuten auch 1.000 Tage unglaublicher Standhaftigkeit, wie der ukrainische Botschafter in Österreich, Vasyl Khymynets, im großen "Heute"-Interview betont.
BILDERSTRECKE: "Gewinnt Putin, kommt Finsternis nach Österreich"
In den 1.000 Tagen hat sich der Krieg immer weiter zu einem globalen Konflikt entwickelt. Wie kann die Ukraine bestehen? Und was erwartet man in Kiew von Ländern wie Österreich, das zwischen Neutralität und moralischer Verantwortung steht? Die wichtigsten Passagen zusammengefasst – das Interview in Wortlaut befindet sich weiter unten.
Vasyl Khymynets über...
die Weltkriegs-Stimmung: "Die Ukraine verteidigt sich jetzt gegen drei Länder: Russland, unsere Menschen sterben von iranischen Drohnen, nordkoreanischen Raketen und jetzt die Soldaten. Es gibt viele Despoten auf dieser Welt, die genau beobachten, wie Russland das Völkerrecht aushöhlt. In den nächsten Wochen wird entschieden, welche internationale Ordnung wird in Zukunft haben werden. In der Ukraine wird die Sicherheitsarchitektur für die Zukunft entschieden."
„Alle, die aus der Entfernung über den Krieg jubeln, müssen diesen auch zu spüren bekommen.“
den Krieg nach Russland zu tragen: "Die russische Bevölkerung ist glücklich, dass die Menschen in der Ukraine durch russische Truppen getötet werden. Alle, die aus der Entfernung über den Krieg jubeln, müssen diesen auch zu spüren bekommen. Ich möchte klar betonen, dass es uns darum geht, militärische Ziele in Russland anzugreifen. Wir sind strikt dagegen, dass zivile Objekte und zivile Gebäude unter Beschuss kommen.
VIDEO: "Die russische Bevölkerung müssen den Krieg zu spüren bekommen"
Gespräche mit Russland: "Wir müssen mit unseren Partnern Russland als Aggressor zu Verhandlungen über die Wiederherstellung des Völkerrechts zwingen. Dafür braucht es drei Mittel: militärische, wirtschaftliche und diplomatische Mittel. Nur mit diesen drei Instrumenten können wir eine Situation erzwingen, wo Russland zu Gesprächen einlenken wird und die Ukraine aus einer starken Position an Verhandlungen teilnehmen wird."
VIDEO: Kann Trump Frieden bringen? Wann wäre die Ukraine zu Verhandlungen bereit?
die Position der FPÖ und die Rolle Österreichs: "Präsident Selenskyy als Kriegstreiber zu bezeichnen ist unmoralische Manipulation, eine Täter-Opfer-Umkehr, um die russische Aggression zu legitimieren. Das verstehen die meisten in Österreich. Wir haben eine gute Kooperation mit Österreich. Mehr als 100.000 Ukrainer haben hier Schutz gefunden. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und Kommunalebene funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut. Alle in der Ukraine sind dankbar, dass Österreich weiterhin hilft."
„Präsident Selenskyy als Kriegstreiber zu bezeichnen ist unmoralische Manipulation, eine Täter-Opfer-Umkehr.“
Österreichs Neutralität: "Wie kann Österreich neutral stehen, wenn unschuldige Menschen getötet werden? Die Menschen in Österreich zeigen mit ihrer Hilfe großes Herz. Stellt man die Hilfe ein, wird nur der Aggressor gestärkt. Wir respektieren die österreichische Neutralität und niemand erwartet, dass Österreich Hilfe gewährleistet, die gegen die Neutralität verstößt. Österreich ist militärisch neutral, aber politisch auf der Seite der Ukraine und ich erwarte, dass die Position weiterhin so bleibt."
„Österreich ist militärisch neutral, aber politisch auf der Seite der Ukraine. Ich erwarte, dass die Position weiterhin so bleibt.“
die Zukunft: "Wir in der Ukraine wünschen uns Frieden wie kein anderer. Wir müssen mit unseren Partnern, die in einem freien Europa leben wollen, weiter zusammenstehen. Sollte sich Russland durchsetzen, wird die Finsternis auch nach Europa kommen. Auch nach Österreich. Das Völkerrecht wird nicht mehr existieren. Mit internationalen Konflikten werden wir vor neuen Herausforderungen stehen."
VIDEO: "Gewinnt Putin, kommt die Finsternis"
Das Interview mit Vasyl Khymynets in voller Länge:
"Heute": Wir haben zuletzt im Februar miteinander gesprochen. Was hat sich seither verändert?
Vasyl Khymynets, Botschafter der Ukraine in Österreich: Damals waren es zwei Jahre Krieg, jetzt sind es 1.000 Tage. Es hat sich vor allem eines verändert: die Brutalität des Krieges. Russland verübt einen Völkermord am ukrainischen Volk. Einige Beispiele: Am Sonntag sind 120 Raketen und 90 Drohnen auf ukrainisches Territorium gefallen, es gab viele Tote. Mehrere Bomben schlugen in ein Wohnhaus ein, zwei Kinder – ein 14-jähriges Mädchen und ein neunjähriger Junge - sind gestorben. In Odessa sing am Montag mindestens 10 Menschen ums Leben gekommen.
Parallel zerstört Russland in der Ukraine die Infrastruktur. Die Menschen in der Ukraine müssen ohne Strom und warmes Wasser sitzen – es ist nicht möglich, Essen zuzubereiten. Putin und Russland sind also nur daran interessiert, die Ukraine zu töten.
Andererseits sind 1.000 Tage Krieg auch eine unglaubliche Geschichte über die starke Standhaftigkeit des ukrainischen Volkes. Die Menschen verstehen, dass es um alles geht, ansonsten verliert die Ukraine ihre Staatlichkeit und ihre ethnische Zugehörigkeit. Wir wollen nicht zu Sklaven Russlands werden und werden verteidigen, was uns gehört.
Seit einigen Wochen gibt es Berichte darüber, dass nordkoreanische Soldaten an der Seite von Putins Truppen kämpfen sollen. Sollten die Berichte stimmen, würde die Ukraine nicht mehr gegen einen, sondern zwei Gegner kämpfen – man darf auch nicht auf den Iran vergessen. Völkerrechtler sprechen bereits von Weltkriegs-Stimmung – Sie auch?
Die Ukraine verteidigt sich jetzt gegen drei Länder: Russland, unsere Menschen sterben von iranischen Drohnen, nordkoreanischen Raketen und jetzt die Soldaten. Ich werde als Botschafter immer wieder über vermeintliche rote Linien und Eskalationsstufen gefragt. Die Rollen des Irans oder Nordkorea – das sind bereits die Eskalationsstufen, die gegen die Ukraine gerichtet sind. Das ist Teil der Strategie Russland, das Völkerrecht auszuhöhlen.
Es gibt viele Despoten auf dieser Welt, die genau beobachten, wie Russland das Völkerrecht aushöhlt. In den nächsten Wochen wird entschieden, welche internationale Ordnung wird in Zukunft haben werden.
Wird es Ihrer Meinung nach auf eine friedliche Art und Weise entschieden oder kommt es zu weiteren Kriegen? Wie sehen Sie den Übergang zu einer neuen Weltordnung?
Wir sehen es jetzt jeden Tag! Russland tötet Menschen in der Ukraine mit dem Iran und Nordkorea. Das Völkerrecht wird ignoriert, weil es keine Reaktion durch die internationale Gemeinschaft gibt. Der UNO-Generalsekretär Guterres hat keine Zeit, eine Friedenskonferenz in der Schweiz zu besuchen, besucht aber einen Gipfel, wo er sich mit dem größten Kriegstreiber der Welt umarmt. Staaten wie Russland, Nordkorea oder Iran akzeptieren nur das Recht des Stärkeren. Kleine Länder müssen sich Gedanken machen, was passiert, wenn ein größerer Nachbar sie überfällt und mit keinen Konsequenzen zu rechnen hat.
Unser Leben hier funktioniert, weil wir wissen, was Regeln sind und diese einhalten. Werden sie nicht eingehalten, gibt es Chaos. Und genau in der Ukraine wird die Sicherheitsarchitektur für die Zukunft entschieden: ob wir nach den Regeln leben werden oder nach dem Recht des Stärkeren.
Der ukrainische Präsident Selenskyy hat unlängst seinen Siegesplan gegen Russland vorgestellt. Darin fordert er eine u.a. bedingungslose Einladung zur NATO oder den Krieg nach Russland zu tragen. Wie soll das funktionieren?
Selenskis 5-Punkte-Plan und seine Friedensformel sehen vor, diesen Krieg auf Basis des Völkerrechts und das Völkerrecht wieder herzustellen. Es soll wieder die Zeit kommen, in der Länder keine Angst haben sollen, von ihrem größeren Nachbarn überfallen zu werden.
Zur NATO: Es ist eine souveräne Entscheidung des Volkes, über seine außenpolitische Ausrichtung frei zu entscheiden. Putins genozidaler Krieg in der Ukraine ist möglich, weil die Ukraine alleine und in keinem Bündnis ist. Für uns ist es sehr wichtig, die Einladung zur NATO zu bekommen, um Teil des gemeinsamen Verteidigungsbündnisses zu werden. Nur so kann Putin gestoppt werden. Putin will, dass einzelne Länder alleine quasi neutral sind, dann kann er sie leicht vereinnahmen.
Sie wollen, dass Menschen in Moskau spätnachts die Sirenen hören und ihnen den Schlaf rauben. Was soll das aus Ihrer Sicht bewirken?
Die russische Bevölkerung ist glücklich, dass die Menschen in der Ukraine durch russische Truppen getötet werden. Alle, die aus der Entfernung über den Krieg jubeln, müssen diesen auch zu spüren bekommen. Ich möchte klar betonte, dass es uns darum geht, militärische Ziele in Russland anzugreifen. Wir sind strikt dagegen, dass zivile Objekte und zivile Gebäude unter Beschuss kommen.
Die Menschen in Russland müssen den Krieg zu spüren bekommen. Wenn sie Sirenen und Raketen hören, werden wir sehen, wie sie reagieren werden und weiterhin über den Krieg jubeln werden. Wir haben gehofft, dass die Menschen in Russland wegen der enormen Verluste auf die Straßen gehen, um gegen den Krieg, für den es keine Grundlage gibt, zu demonstrieren.
Putin lebt vom Vertrauen seiner eigenen Bevölkerung. Deswegen ist es extrem wichtig, mit allen erlaubten Mitteln im Rahmen des Völkerrechts den Krieg auf den Boden des Aggressors zu überlagern.
In den USA hat Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Im Vorfeld hatte er angekündigt, den Krieg in der Ukraine innerhalb von 24h zu beenden, Russland spricht von "positiven Signale" von Trump. Ist der Krieg schon im Jänner vorbei?
Ich weiß nicht, was im Jänner kommen wird. Wir verlieren jeden Tag zivile Menschen, unser Land wird jeden Tag immer mehr zerstört. Wir appellieren an unsere Partner, gemeinsam einen nachhaltigen Frieden zu erreichen.
Nur Russland ist für diesen Krieg verantwortlich, Putin ist keinesfalls an einem Frieden interessiert. Wir müssen mit unseren Partnern Russland als Aggressor zu Verhandlungen über die Wiederherstellung des Völkerrechts zwingen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Mit drei Mitteln: Militärische Mittel. Es soll nicht nur in der Öffentlichkeit gesprochen werden, was die Ukraine kann oder braucht. Weniger sprechen, mehr liefern.
Punkt zwei: Wirtschaftliche Mitteln als Instrument, das die politische Führung in Russland zu Verhandlungen zwingt. Die Sanktionen sollen verschärft werden, denn Russland bekommt noch immer 200 Milliarden Euro vom Schatten-Ölverkauf.
Und drittens diplomatische Mittel: Russland soll maximal isoliert werden. Mit diesen drei Instrumenten des Einflusses können wir Russland zu Verhandlungen auf Basis des Völkerrechts zu zwingen.
Sie wären also erst dann überhaupt zu Gesprächen bereit?
Nur mit diesen drei Instrumenten können wir eine Situation erzwingen, wo Russland zu Gesprächen einlenken wird und die Ukraine aus einer starken Position an Verhandlungen teilnehmen wird. Wenn das nicht gelingt, wird Putin nicht gestoppt, er wird weitergehen und weiter töten. Das schafft eine Situation in der Welt, wo mehr und mehr die Gefahr für weitere Konflikte entsteht.
Im September hat in Österreich eine Partei die Wahl gewonnen, die Wolodimir Selenskyy als "Kriegstreiber" plakatierte und immer wieder betont, aus den EU-Sanktionen aussteigen zu wollen. Wie stellen Sie sich eine künftige Kooperation mit Österreich vor?
Präsident Selenskyy als Kriegstreiber zu bezeichnen ist eine unmoralische Manipulation und eine Täter-Opfer-Umkehr, um die russische Aggression zu legitimieren. Das verstehen die meisten in Österreich. Wir haben eine gute Kooperation mit Österreich. Mehr als 100.000 Ukrainer haben hier Schutz gefunden. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und Kommunalebene funktioniert die Zusammenarbeit sehr gut.
Trotzdem hat die FPÖ knapp 29 Prozent erreicht, ihr Kurs gilt nicht unbedingt als russland-feindlich. Der neue Nationalratspräsident Walter Rosenkranz würde Wladimir Putin zu Friedensgesprächen einladen.
Am Samstag hat der Regierungschef eines der stärksten europäischen Länder mit Putin telefoniert und ein paar Stunden später bombardierte er die Ukraine mit 120 Raketen und 90 Drohnen. Das zeigt, dass Putin weiterhin töten will. Ich glaube, hier in Österreich kann sich jeder ernsthafte Politiker aus dieser Situation Konsequenzen ziehen. Wir müssen Putin zwingen, durch unsere gemeinsame Stärke den Krieg gerecht und nachhaltig zu stoppen.
Sie haben in einem "Heute"-Interview im Februar gesagt, Österreich könne nicht neutral sein. Wie genau stellen Sie sich die Rolle Österreichs vor?
Wie kann Österreich neutral stehen, wenn unschuldige Menschen getötet werden? Die Menschen in Österreich zeigen mit ihrer Hilfe großes Herz. Ich war letztens in Bregenz, wo binnen kurzer Zeit ein humanitärer Transport mit medizinischen Geräten organisiert wurde.
Diese Hilfe nicht zur Verfügung zu stellen und zu sagen, ich bin neutral, ist nicht menschlich. Wie kann ein europäisches Land neutral sein, wenn das Völkerrecht verletzt wird? So kann kein Kompromiss erzielt werden, und ich bin dankbar, dass das die meisten Politiker in Österreich verstehen. Deswegen sind alle in der Ukraine dankbar, dass hier weiterhin geholfen wird.
Stellt man die Hilfe ein, wird nur der Aggressor gestärkt. Die Ukraine wird Ukrainer verlieren und Europa wird Europäer verlieren. Mit Putin zu sprechen und die Ukraine zu Frieden auffordern, ohne die Situation vor Ort gesehen zu haben, zeigt, dass solche Menschen weit von der Realität entfernt sind.
Was erwarten Sie sich von einer neuen österreichischen Regierung in puncto Ukraine-Unterstützung?
Wir respektieren die österreichische Neutralität und niemand erwartet, dass Österreich Hilfe gewährleistet, die gegen die Neutralität verstößt. Wir wünschen uns, dass Österreich weiterhin auf der richtigen Seite der Geschichte bleibt und die Ukraine humanitär und medizinisch bestmöglich unterstützt. Ich bin sehr dankbar, dass Österreich weiter auf der Seite der Ukraine steht.
Sie haben aber gerade gesagt, man könne nicht neutral sein.
Österreich ist militärisch neutral, aber politisch auf der Seite der Ukraine und ich erwarte, dass die Position weiterhin so bleibt.
Da sich das Jahr schön langsam dem Ende zuneigt – was war Ihre schönste Erfahrung im Jahr 2024 und was wünschen Sie sich für 2025?
Wir in der Ukraine wünschen uns Frieden wie kein anderer. Wir müssen mit unseren Partnern, die in einem freien Europa leben wollen, weiter zusammenstehen. Es gab trotz des Krieges wichtige Momente, wo wir uns überzeugen konnten, dass die Ukraine nicht alleine steht. Dass das ukrainische Volk trotz allem weiter stark bleibt.Es gab etwa Entscheidungen, was die EU-Beitrittsverhandlungen betrifft und die Stimmung, zusammen mit der Ukraine zu arbeiten, stimmt auch. Ich bin auch stolz und froh, meine starke Ukraine, mein starkes ukrainisches Volk hier repräsentieren zu dürfen.
Noch einmal: Sollte sich Russland durchsetzen, wird die Finsternis auch nach Europa kommen.
Auch nach Österreich?
Überall. Das Völkerrecht wird nicht mehr existieren. Mit internationalen Konflikten werden wir vor neuen Herausforderungen stehen. Wenn die Ukraine Putin nicht stoppt, wird ihn niemand mehr in Europa stoppen können.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Botschafter.
Ich danke und ich möchte mich auch bei Ihren Leserinnen und Lesern dafür bedanken, dass sie weiterhin mit der Ukraine stehen.
Die Bilder des Tages
Derzeit im Fokus der Userinnen und User von Heute.at im Ressort "Nachrichten" ist die aktuell meistgelesene Story "". Für eine kontroverse Debatte sorgt auch die Geschichte "". Ist dir etwas aufgefallen oder hast du einen Input für uns, dann schreib uns ein Mail.
Auf den Punkt gebracht
- Der ukrainische Botschafter in Österreich, Vasyl Khymynets, warnt im Interview vor den weitreichenden Konsequenzen eines möglichen Sieges Russlands im Ukraine-Krieg, der vor 1.000 Tagen begann
- Er betont die Notwendigkeit, Russland militärisch, wirtschaftlich und diplomatisch unter Druck zu setzen, um Verhandlungen zu erzwingen, und lobt die Unterstützung Österreichs, während er die Bedeutung der internationalen Solidarität hervorhebt