Gewalt im medizinischen Alltag

"Finde dich, wird böse enden" – Ärztin mit Mord bedroht

Bedrohung in der Praxis: Eine Ärztin erzählt "Heute", wie Frust in gefährliche Drohungen umschlug – und warum sie trotzdem weitermacht.

Christoph Weichsler
"Finde dich, wird böse enden" – Ärztin mit Mord bedroht
Dr. Kamaleyan-Schmied in ihrer Praxis: Die engagierte Ärztin spricht offen über die Herausforderungen und Bedrohungen in ihrem Berufsalltag.
Ärztekammer für Wien/Seelig

Es war ein Fall, der ganz Österreich erschütterte: Im Sommer 2022 nahm sich die oberösterreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr das Leben, nachdem sie über Monate hinweg Morddrohungen erhalten hatte. Ihre Geschichte hätte ein Weckruf sein sollen. Doch zwei Jahre später zeigt sich: Drohungen und Aggressionen gegen Gesundheitspersonal sind weiter an der Tagesordnung – und die Belastung für Ärzte wächst unaufhaltsam.

Laut einer aktuellen Umfrage unter über 1.000 Wiener Ärzten ist die Situation dramatisch: 37 % der Wiener Ärztinnen und Ärzte sind regelmäßig von Gewalt betroffen. Mehr als die Hälfte (55 %) von 1.102 befragten Medizinern war in den vergangenen zwei Jahren zumindest einmal mit verbaler Gewalt und ein Viertel (24 %) mit psychischer Gewalt im Beruf konfrontiert. 16 % wurden zudem körperlich attackiert. Acht Prozent sind "häufiger" und zwei Prozent "beinahe täglich" mit Gewalt im Beruf konfrontiert – "Heute" berichtete.

Ich bekomme häufig Morddrohungen und die Aggression ist spürbar. Patienten spucken, schreien oder drohen – und das kommt immer häufiger vor
Naghme Kamaleyan-Schmied
Hausärztin in Flordisdorf

Dr. Naghme Kamaleyan-Schmied, Allgemeinmedizinerin in Wien, erlebt die Eskalation täglich: "Ich bekomme häufig Morddrohungen und die Aggression ist spürbar. Patienten spucken, schreien oder drohen – und das kommt immer häufiger vor."

"Warum geht hier niemand ans Telefon?"

Der Frust beginnt oft schon vor der Behandlung. Patienten regen sich über besetzte Telefonleitungen auf, ohne zu sehen, dass das Team bis zur Erschöpfung arbeitet. "Ältere Patienten brauchen oft länger, weil vieles erklärt werden muss. Andere rufen an und fordern Medikamente, die sie nicht bekommen können. Dann werden sie laut und drohen mit schlechten Google-Bewertungen", berichtet Dr. Kamaleyan-Schmied.

Auch die Mitarbeiterinnen in der Praxis stehen unter Dauerbelastung. "Mein Kollege wurde angeschrien, weil er um das Tragen einer Maske gebeten hat. Er hat danach gekündigt. Solche Erniedrigungen gehören mittlerweile zum Alltag."

"Die Wut entlädt sich bei uns"

Die Gründe sind vielfältig: lange Wartezeiten, überfüllte Praxen und ein massiver Ärztemangel. Doch die Leidtragenden sind die Ärzte und ihr Personal. "Eine Patientin kam ohne Termin ins Wartezimmer. Ihre Begleitung wurde aggressiv, weil sie warten musste, und drohte im Wartezimmer: Es gibt bald einen Allgemeinmediziner weniger!"

Andere Patienten lassen ihrer Wut direkt in der Ordination freien Lauf. "Ein Patient hat mich einmal angespuckt und mir gedroht: Ich finde Sie, und dann hat das ein böses Ende. Die Polizei meinte nur: 'Es ist ja nichts passiert.'"

"Die Politik muss handeln"

Die angespannte Lage in Kassenpraxen bringt Dr. Kamaleyan-Schmied auf den Punkt: "Die Politik muss endlich handeln!" Vor allem die Vorgaben der ÖGK erschweren den Alltag. "Montags ersticken wir im Patientenandrang, aber in Wien ist es nicht erlaubt, zwei Ärzte parallel einzusetzen", kritisiert sie.

Hinzu kommt die mangelnde Attraktivität des Berufs: "Eine Konsultation bei uns kostet nur 8 Euro, während Wahlärzte oft Hunderte verlangen." Ihre Forderung ist klar: Mehr Kassenärzte, flexiblere Arbeitsbedingungen und ein Abbau der Bürokratie, bevor das System zusammenbricht.

"Das macht etwas mit einem"

Die psychische Belastung ist enorm. "Eine junge Kollegin saß heulend in der Ordination, nachdem sie von einer Dolmetscherin auf einer Bewertungsplattform beleidigt wurde. Sie sagte nur: 'Ich kann das nicht mehr.' Immer mehr Ärzte geben auf, gerade junge Mediziner entscheiden sich gegen die Allgemeinmedizin."

Für die verbliebenen Ärzte wird die Situation unerträglich. "Wir arbeiten oft umsonst und in unserer Freizeit. Ich rufe Patienten zu Hause an, bettle bei Spezialisten um Termine oder bereite Rezepte vor. Aber das reicht nicht. Jeden Montag ertrinken wir in Patienten – zu zweit für unzählige Patienten."

Hilfe bei Gewalt: Diese Anlaufstellen sind für Sie da
Wenn Sie von Gewalt betroffen sind oder sich bedroht fühlen, stehen Ihnen verschiedene Anlaufstellen in Wien zur Verfügung, die Unterstützung und Schutz bieten:
Frauenhelpline: 0800 222 555 (rund um die Uhr, anonym und kostenlos) Gewaltschutzzentrum: 0800 700 217 (Beratung und rechtliche Unterstützung)
Opfer-Notruf: 0800 112 112 (Hilfe und Informationen für Gewaltopfer) Notruf des Vereins Wiener Frauenhäuser: 05 77 22 (Unterstützung und Schutzunterkünfte für Frauen)
Polizei-Notruf: 133 (sofortige Hilfe in akuten Gefahrensituationen)

Scheuen Sie sich nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie sind nicht allein!

1/60
Gehe zur Galerie
    <strong>21.01.2025: Länger arbeiten, mehr verdienen – ÖVP will DIESE Reform.</strong> Bei den Koalitionsverhandlungen wird es konkret. Länger arbeiten soll sich lohnen. <a data-li-document-ref="120085150" href="https://www.heute.at/s/laenger-arbeiten-mehr-verdienen-oevp-will-diese-reform-120085150">ÖVP-Mahrer fordert 20 % Pauschalsteuer für Zuverdienst in Pension &gt;&gt;&gt;</a>
    21.01.2025: Länger arbeiten, mehr verdienen – ÖVP will DIESE Reform. Bei den Koalitionsverhandlungen wird es konkret. Länger arbeiten soll sich lohnen. ÖVP-Mahrer fordert 20 % Pauschalsteuer für Zuverdienst in Pension >>>
    Helmut Graf

    Derzeit im Fokus der Userinnen und User von Heute.at im Ressort "Österreich" ist die aktuell meistgelesene Story "". Ist dir etwas aufgefallen oder hast du einen Input für uns, dann schreib uns ein Mail.

    Auf den Punkt gebracht

    • Der Artikel beleuchtet die zunehmende Gewalt und Aggression gegenüber medizinischem Personal in Österreich, insbesondere in Kassenpraxen.
    • Trotz der hohen Belastung und ständigen Bedrohungen, wie Morddrohungen und körperlichen Angriffen, fordert die Allgemeinmedizinerin Dr. Kamaleyan-Schmied dringend politische Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und zur Entlastung des Gesundheitssystems.
    CW
    Akt.
    An der Unterhaltung teilnehmen