Politik
"Dilettantisch", "Risiko" – Minister zerlegt Kickl-FPÖ
Der Besuch von FPÖ-Politikern bei den Taliban sorgt für Kopfschütteln. Alexander Schallenberg geht im "Heute"-Gespräch hart mit Kickl ins Gericht.
Es waren sehr ereignisreiche Tage für Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP): Nach zahlreichen bilateralen Gesprächen mit Vertretern aus aller Welt im Rahmen des UNO-Gipfels in New York – inklusive einer Rede vor der Generalversammlung – ging es am Freitagabend zurück nach Österreich. Zuvor ging es für den Minister jedoch noch vor das "Heute"-Mikro: Er sprach über eine Reform des multilateralen Systems, den Umgang mit Putins Diplomaten sowie Österreichs Abhängigkeit von russischem Gas.
"Kickl ist und bleibt ein Sicherheitsrisiko"
Nachdem am Montag bekannt wurde, dass FPÖ-Urgestein Andreas Mölzer gemeinsam mit Ex-Mandatar Johannes Hübner nach Afghanistan zu einem Gespräch mit den Taliban gereist war, gingen die Wogen in der Politik hoch. Die FPÖ distanzierte sich von der Mölzer-Reise und sprach von einer "reinen Privatangelegenheit".
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Das Außenministerium kritisierte die Gespräche mit den Taliban in scharfen Tönen: Auf "Heute"-Nachfrage meinte Schallenberg, die "Kickl-Adlaten" hätten die "deutlichen" Sicherheitswarnungen des Ministeriums ignoriert. "Dass sie dadurch die Bemühungen des Ministeriums gefährden und zugleich den Taliban und ihrer mittelalterlichen Politik eine Bühne bieten, scheint ihnen egal zu sein", tobte der Minister. FPÖ-Chef Herbert Kickl sei ein "Sicherheitsrisiko", seine Partei habe "keinerlei Berührungsängste mit Extremismus aller Art".
„"Kickls Adlaten ignorieren die deutlichen Sicherheitswarnungen des Außenministeriums und versuchen sich dilettantisch in Afghanistan."“
Das ganze "Heute"-Interview mit Außenminister Schallenberg:
"Heute": UNO-Generalsekretär Guterres meinte zuletzt, die Welt gerate "aus den Fugen". Es gebe tiefe Gräben zwischen den Wirtschafts- und Militärmächten, die Spannungen nehmen zu. Stimmen Sie mit ihm überein?
Alexander Schallenberg: Wenn man sich den Planeten anschaut mit den vielen Brandherden und Spannungsfeldern, kann man wirklich diesen Eindruck gewinnen. Es ist auch richtig, dass der Generalsekretär als Stimme des Gewissens fungiert und daher sehr deutliche Worte findet. Tatsächlich leben wir in einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass es im Gebälk kracht. Wir sehen es zwischen Armenien und Aserbaidschan. Die Putschs in Afrika, über allem schwebt der Angriff Russlands auf die Ukraine. Und dann wäre da noch der Klimawandel oder der enorme Migrationsdruck. Also wahnsinnig viele Herausforderungen. Man darf aber nicht verzweifeln, wir müssen mit Realismus daran arbeiten. Alarmismus ist nicht angebracht.
In Ihrer Rede vor der Hauptversammlung haben Sie erwähnt, dass das multilaterale System nicht mehr tauglich sei und reformiert gehöre. Was genau meinen Sie damit?
Das wesentlichste Schlagwort ist Inklusivität. Was wir hier in der UNO sehen, ist das Abbild der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt fünf permanente Mitglieder im Sicherheitsrat, davon keines aus Afrika oder Lateinamerika. Die Vereinten Nationen sind sozusagen der "Weltpolizist", wir brauchen daher nicht weniger, sondern mehr UNO. Daher ist es wichtig, dass der Sicherheitsrat erweitert wird. Das zweite große Thema ist das Vetorecht. Man spricht schon seit Jahren über eine Reform der Vereinten Nationen, aber ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass es nun auch bei Staaten wie den USA die Einsicht gibt, dass sich etwas ändern muss, damit die UNO auch künftig ihrer Aufgabe nachkommen kann.
„"Wir müssen mit Russland zusammenarbeiten."“
Sie haben während Ihrer Reise zahlreiche Treffen mit Politikern aus aller Welt – darunter dem brasilianischen Präsidenten Lula, UNO-Generalsekretär Guterres oder dem israelischen Außenminister Cohen. Aus welchem Gespräch haben Sie am meisten mitgenommen?
Die größte Gefahr, die ich für uns Europäer sehe, ist, dass wir uns zu sehr auf unsere eigenen Probleme konzentrieren und automatisch davon ausgehen, dass das die Probleme des gesamten Planeten sind. Dem ist nicht so. Das Wichtigste an dieser UNO-Woche ist der Reality Check. Wie schaut's denn global wirklich aus? Wie beurteilen Vertreter aus Subsahara-Afrika die Situation, wie sehen lateinamerikanische Kollegen den russischen Angriff auf die Ukraine? Ich nehme aus allen Gesprächen etwas mit.
Die UNO-Generalversammlung ist eine der wenigen Plattformen, bei denen sich westliche Staaten mit Russland treffen. Wie darf man sich als Außenstehender den Umgang mit russischen Diplomaten bei der Vollversammlung vorstellen? Grüßt man sich, spricht man miteinander?
Ich habe keinen Vertreter Russlands getroffen. Die UNO ist nicht die einzige Plattform, denken wir nur an die OSZE in Wien. Dort gibt es jede Woche Treffen, wo Diplomaten aus Russland oder Belarus auf Diplomaten aus den USA oder der EU treffen.
Wir dürfen kein "Cancelling" betreiben: Russland ist geografisch gesehen der größte Nachbar Europas und wird nicht verschwinden. Wir müssen mit ihnen zusammenarbeiten, genauso wie wir mit Indien oder China kooperieren.
Suchen westliche Vertreter also aktiv Kontakt zu russischen Diplomaten?
Ich nicht. Ich würde ihn suchen, wenn ich das Gefühl hätte, dass es Sinn macht – dieses Gefühl habe ich beim russischen Angriff auf die Ukraine momentan nicht.
EU-Botschafter Selmayr warf der Regierung unlängst vor, "Blutgeld" an Russland zu bezahlen. Wie war Ihre erste Reaktion auf diese Aussage?
Dazu ist alles gesagt. Er wurde ins Außenministerium zitiert und wir haben unsere Position unmissverständlich klar gemacht. Er wurde von der Kommission auch nach Brüssel zitiert, um sich dort zu erklären.
Fakt ist aber, dass Österreich seit Jahresbeginn 2,2 Milliarden Euro für Gaslieferungen an Russland gezahlt hat. Der Anteil Russlands bei importiertem Gas lag im Juli bei 66 Prozent. Nur die Slowakei, Mazedonien und Serbien bezogen 2023 mehr Gas aus Russland. Wie passt das zusammen, Herr Außenminister?
Wir haben unsere Abhängigkeit von 80% seit Beginn des russischen Angriffs auf im Schnitt 56% verringern können. Energieministerin Gewessler hat angekündigt, dass wir bis 2027 vollständig aussteigen. Es ist ein Bohren harter Bretter. Wir sind ein Binnenstaat, wir können keine LNG-Terminals bauen, wir sind auf andere Quellen angewiesen. Dass wir – so wie viele andere Staaten – weiterhin Gas aus Russland beziehen ist ein Faktum. Es ist aber auch ein Faktum, dass die Menge von russischem LNG innerhalb der Europäischen Union um 40% zugenommen hat. Dieser Fingerzeig auf Österreich ist also vollkommen verfehlt. Wir werden aussteigen aus russischem Gas. Die Lehre, die wir jetzt ziehen, ist, dass wir unsere Quellen diversifizieren müssen. Das geht nicht von heute auf morgen. Es geht darum, Russland langfristig für immer diesen Erpressungs-Hebel aus der Hand zu nehmen.
„"Die Menschheit hat es doch immer wieder geschafft, Lösungen auf dem Verhandlungsweg zu finden."“
Der ehemalige E-Control-Chef, Walter Boltz sagte kürzlich: "Es wurde keine systematische Aktivität gesetzt, die zu nachweislichem Ausstieg aus russischem Gas führt." Finden Sie nicht, dass die Politik mehr machen könnte, um von russischem Gas unabhängig zu werden?
Ich sehe das ganz anders. Die Energieministerium hat einen klaren Weg aufgezeigt, wir haben zum Beispiel eine strategische Gasreserve angelegt. Der wesentliche Punkt ist: Die Versorgungssicherheit in Österreich muss sichergestellt sein. Wir sind ein Industriestaat, unzählige Arbeitsplätze hängen davon ab.
Ein weiteres großes Thema ist der Getreide-Streit zwischen Polen und der Ukraine. Der selbsternannte größte Unterstützer der Ukraine wählt in einem Monat. Wie beurteilen Sie, dass im polnischen Wahlkampf gerade die so heikle Ukraine-Karte gespielt wird?
Das Bild ist ein sehr unglückliches. Die Ukraine klagt Polen vor der WTO, die Polen reagieren entsprechend. Das ist etwas, was Europa nicht brauchen kann. Es zeigt, dass man bei aller Emotionalität, bei aller Unterstützung gewisse Realitäten nicht aus den Augen verlieren darf. Da denke ich auch an die künftige Heranführung der Ukraine in die Europäische Union. Da wird natürlich die Frage der Teilnahme der Ukraine an der gemeinsamen Agrarpolitik sicher einer der ganz schwierigen Fragen sein.
Für wie kritisch erachten Sie den aktuellen Streit für die polnisch-ukrainischen Beziehungen?
Ich gehe davon aus, dass er bald beigelegt wird. Alle Seiten sind professionell genug um zu wissen, dass nicht mehr Öl ins Feuer gegossen werden soll. Wenn es Probleme gibt, dann müssen sie gelöst werden.
Sie bezeichnen sich selbst als optimistische Person. Was kann uns in der aktuellen Situation Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben?
Die Geschichte lehrt uns, dass unsere Vorväter bereits in krisenhaften Situationen waren, die ähnlich schlimm, wenn nicht sogar noch schlimmer waren. Die Menschheit hat es doch immer wieder geschafft, Lösungen auf dem Verhandlungsweg zu finden. Das stimmt optimistisch.
Der zweite Punkt ist, dass wir Europäer in den letzten Jahrzehnten vielleicht naiverweise gedacht haben, dass wir auf unserem Kontinent für immer in Frieden weiterleben. Aber wir sind viel resilienter und viel stärker, als wir selber glauben. Allein, dass wir die Pandemie deutlich besser überstanden haben als Autokratien, sollte uns Selbstsicherheit geben. Ja, wir erleben gerade einige Herausforderungen, aber jeder Tunnel hat ein Ende.
„"Kickl ist und bleibt ein Sicherheitsrisiko."“
Zuletzt besuchte eine Delegation von namhaften FPÖ-Politikern – darunter Partei-Urgestein Mölzer und Ex-Nationalratsabgeordneter Hübner – die Taliban in Afghanistan. Wusste das Außenministerium von dieser Reise? Welches Bild wirft es international auf Österreich, wenn Spitzenpolitiker öffentlich Gespräche mit einer Terror-Organisation führen?
Kickls Adlaten ignorieren die deutlichen Sicherheitswarnungen des Außenministeriums und versuchen sich dilettantisch in Afghanistan. Dass sie dadurch die Bemühungen des Ministeriums gefährden und zugleich den Taliban und ihrer mittelalterlichen Politik eine Bühne bieten, scheint ihnen egal zu sein. Das zeigt einmal mehr: Kickl ist und bleibt ein Sicherheitsrisiko und die FPÖ unter seiner Führung hat offenbar keinerlei Berührungsängste mit Extremismus aller Art.
Blicken wir etwas in die Zukunft: Wie glauben Sie wird die Welt nächstes Jahr ausschauen? Was wird die 79. UNO-Generalversammlung prägen?
Ich gehe davon aus, dass die 79. Generalversammlung sehr stark geprägt sein wird von den Wahlen in den Vereinigten Staaten, die unmittelbar darauf folgen werden. Allgemein gibt es nächstes Jahr eine Reihe von Wahlen, in der Ukraine, in Österreich, auch die EU-Wahl. Das werden sicher prägende Momente sein. Aber: Wir dürfen in unseren westlichen Demokratien nicht den Fehler machen, dass wir beginnen, Wahlen, als einen Moment der Unsicherheit anzusehen. Wahlen sind ein tragendes Element unserer demokratischen Welt.
Was darüber hinaus kommt? Ein Thema, das immer größer werden wird, ist Afrika. Gerade für Europa ist der respektvolle Umgang mit afrikanischen Partnern vielleicht die wesentlichste Zukunftsfrage. Ein weiteres Thema, das uns bestimmt begleiten wird, sind die Spannungen zwischen USA und China.
Werden Sie nächstes Jahr dann ebenfalls als Redner auftreten?
Davon gehe ich aus, ja.