Politik
Die Akte Kurz – "Heute" hat die 108 brisanten Seiten
Strafbank statt Regierungsbankett: Sebastian Kurz (36) wird ab 18. Oktober in Wien der Prozess gemacht. "Heute" liegt der 108-seitige Strafantrag vor.
Der Antrag ist 108 Seiten lang, wurde den drei Angeklagten am Freitag zugestellt und ist das brisanteste Stück der jüngeren innenpolitischen Geschichte. Wie jetzt bekannt wurde, wird Bundeskanzler außer Dienst Sebastian Kurz wegen des Verdachts der falschen Beweisaussage von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) angeklagt.
Drei Prozess-Tage anberaumt
Neben ihm muss sein jahrelanger Vertrauter Bernhard Bonelli auf der Strafbank Platz nehmen. Auch die frühere Chefin der Casinos Austria, Bettina Glatz-Kremsner, muss sich vor einem noch nicht namentlich genannten Einzelrichter verantworten. Kurz und Bonelli werden von ÖVP-Jurist Werner Suppan vertreten; Glatz-Kremsner vertraut auf die Dienste des Wiener Star-Anwalts Lukas Kollmann. Drei Prozesstage sind vorerst am Wiener "Landl" anberaumt: der 18., 20. und 23. Oktober. Angeklagte und Prozess-Kiebitze brauchen gutes Sitzfleisch: Die öffentlichen Verhandlungen sollen jeweils von 9.30 Uhr bis 16 Uhr dauern. Sebastian Kurz drohen – im Falle einer Verurteilung im Sinne der Anklage – bis zu drei Jahre Haft.
21 Zeugen – darunter Polit-Prominenz
Im bereits am 11.8.2023 eingebrachten Strafantrag – dieser liegt "Heute" vor – wird den drei Angeklagten, wie mehrfach berichtet, das Vergehen der falschen Beweisaussage zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft beantragt darin die Ladung von gleich 21 (!) hochkarätigen Zeugen. Darunter: Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache, die früheren Bundesminister Hartwig Löger und Gernot Blümel. Bei Chat-Mastermind Thomas Schmid kommt es zum brisanten Wiedersehen mit seinen einstigen "Best Buddies" Kurz und Blümel, gegen die er umfassend ausgesagt hat und nun Kronzeugen-Status anstrebt.
Steiner und Strache noch nicht befragt
Einige der prominenten Zeugen konnten von den Korruptions-Fahndern im Ermittlungsverfahren nicht einvernommen werden, da gegen sie selbst Verfahren anhängig sind – zum Beispiel Kurz-Stratege Stefan Steiner. Auch Teile der heimischen Wirtschafts-Elite – hier etwa Investor Sigi Wolf oder Ex-Raika-Generalanwalt Walter Rothensteiner – erhalten eine Ladung.
Kino-Flair im Großen Schwurgerichtssaal
Im historischen Saal im "Grauen Haus" an der Zweierlinie soll auch das sogenannte "Projekt Ballhausplatz" erneut behandelt werden, in dem Sebastian Kurz' Machtübernahme in der ÖVP minutiös geplant wurde. Als "Video-Einlage" geplant ist die Befragung des Altkanzlers vor dem parlamentarischen U-Ausschuss.
Seine dort am 24. Juni 2020 getätigte Aussage ist Dreh- und Angelpunkt des Prozesses. Er habe dort "auf die Frage, ob die Planung, dass MMag. Schmid Vorstand der ÖBAG werden solle ,von ihm ausgegangen sei und ob er bis zur Mitteilung von MMag. Schmid, dass er sich für diesen ausgeschriebenen Posten (als Vorstand der ÖBAG) bewerben werde, nie mit ihm darüber gesprochen habe, dass er dies werden könnte, tatsachenwidrig angab, es sei nicht von ihm ausgegangen.
Was Kurz angelastet wird
➤ Die WKStA unterstellt dem früheren ÖVP-Chef, im damaligen Ausweichquartier des Parlaments die Unwahrheit gesagt zu haben:"Kurz wusste bei seiner Befragung, dass er als Auskunftsperson im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrats aussagte, seine Aussage nicht den tatsächlichen Abläufen und seinem tatsächlichen Kenntnisstand darüber entsprach und er wollte durch die tatsachenwidrigen Aussagen den unrichtigen Eindruck erwecken, dass er mit der Besetzung des Vorstandes und des Aufsichtsrates der ÖBAG nichts zu tun hatte und er nichts von einer politischen Vereinbarung zu Postenbesetzungen wisse."
➤ Ein zweiter Vorhalt der WKStA betrifft, "die Frage, ob er Wahrnehmungen habe, wie der Aufsichtsrat der ÖBAG besetzt wurde, und ob er selbst eingebunden war".
„Motiv? "Ausschließlich um, politische Nachteile für sich persönlich und die 'neue ÖVP' abzuwenden."“
Die Korruptionsjäger schließen auf folgendes "Motiv von Kurz für die Falschaussagen": "Ausschließlich um, politische Nachteile für sich persönlich und die 'neue ÖVP' abzuwenden, weil eine wahrheitsgemäße Aussage zu den in Rede stehenden Postenbesetzungen politische Postenbesetzungen und 'Postenschacher' offenbart hätte und dies mit der von Kurz ab seiner Wahl zum Bundesparteiobmann der ÖVP propagierten Marke 'neuer Stil', in diametralem Widerspruch stand. Die Falschaussage zielte ausschließlich darauf ab, sich der politischen Verantwortlichkeit zu entziehen und die öffentliche Wahrnehmung seiner Politik nicht zu beschädigen."
Kurz und Bonelli: seit Studientagen befreundet
Sein langjähriger Kabinettschef Bernhard Bonelli handelte laut Ansicht der Behörde "aus demselben Motiv und sagte ausschließlich deshalb falsch aus, um seinen 'Chef', langjährigen Freund und Trauzeugen Kurz und die ÖVP vor den dargestellten politischen Nachteilen zu schützen".
Gleiches gelte für Ex-Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner, wobei sie – so die Ankläger – "darüberhinaus insbesondere im Zusammenhang mit ihrer eigenen Bewerbung zur CEO auch deshalb falsch aussagte, um die öffentliche Wahrnehmung ihrer Person durch den Verdacht einer eigenen Begünstigung durch (strafrechtlich nicht relevanten) Postenschacher nicht zu gefährden".
Zahlreiche Chats auf 108 Seiten
Der Strafantrag ist gespickt mit Chat-Nachrichten aus der damaligen Schaltzentrale der Republik. Der Staatsanwalt widmet sich – nach der Kritik selektiver Auslese zuletzt im Strache-Verfahren – auf eineinhalb Seiten deren Beweiswert und argumentiert:
"Die zum Sachverhalt dokumentierten Chatnachrichten wurden allesamt ohne eine solche im Hinblick auf ein gegen einen (Partei-)Freund laufendes Strafverfahren vorliegende Motivation verfasst, sodass ihnen schon deshalb erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt. Chatnachrichten werden zwar – wie zuletzt in einem anderen Verfahren zutreffend festgehalten wurde – 'schnell geschrieben'. Diese Feststellung deutet aber gerade nicht auf schwachen Beweiswert hin. Vielmehr folgt aus der Tatsache der häufig schnell und ohne lange Überlegungen geführten Kommunikation, dass zwar Formulierungen oft erkennbar unüberlegt, 'flapsig' oder emotional gefärbt sind, der zentrale Aussageinhalt aber zumeist – noch dazu wenn er sich aus einer Gesamtschau mehrerer Nachrichten manifestiert – richtig und so gemeint ist. Dies gilt insbesondere für zwischen Vertrauten wie z.B. politischen Weggefährten geführte Kommunikation, weil eine effektive Zusammenarbeit anderenfalls nur erschwert möglich wäre."
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Privatgutachten zerpflückt
Ein von Sebastian Kurz vorgelegtes Privat-Gutachten von Universitäts-Professor Lewisch zerpflückt die Staatsanwaltschaft und möchte es im Hauptverfahren nicht einmal verlesen. Es enthalte "in ihrem zentralen Punkt eine unrichtige Darstellung der herrschenden Rechtsmeinung", so die Anklagebehörde. Es beinhalte überdies "inhaltlich teils verfehlte Ausführungen" und "Spekulationen darüber, wie Sebastian Kurz die an ihn gerichteten Fragen wohl verstanden habe".
„"... dass solche Delikte mit entsprechender Härte verfolgt werden."“
Am Ende kommt es für Sebastian Kurz knüppeldick. Eine Diversion war in seinem Fall "mangels Verantwortungsübernahme" und aus "generalpräventiven Gründen" nicht möglich. Zitat: "Der Allgemeinheit, die falsche Zeugenaussagen allzu oft als 'Kavaliersdelikte' empfindet, muss daher klar signalisiert werden, dass bei falschen Beweisaussagen mit Verurteilungen zu rechnen ist. Dies gilt gerade in Verfahren – wie hier – mit besonderem öffentlichen Interesse, vor allem im Falle erwiesener Falschaussagen, die die Aufklärung derartiger Taten oder die parlamentarische Kontrolle behindern können." Vielmehr bedürfe es "einer spürbaren staatlichen Reaktion, um der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass solche Delikte mit entsprechender Härte verfolgt werden".
Kurz: "Vorwürfe falsch"
Für Sebastian Kurz, Bernhard Bonelli und Bettina Glatz-Kremsner gilt die Unschuldsvermutung. Der Alt-Kanzler hat die Vorwürfe stets lebhaft bestritten. Auf dem Kurznachrichten-Dienst "X" schrieb Kurz am Freitag: "Es ist für uns wenig überraschend, dass die WKStA trotz 30 entlastender Zeugenaussagen dennoch entschieden hat, einen Strafantrag zu stellen. Die Vorwürfe sind falsch und wir freuen uns darauf, wenn nun endlich die Wahrheit ans Licht kommt und sich die Anschuldigungen auch vor Gericht als haltlos herausstellen."