Nur 20 Minuten Verhandlung

Das Geheim-Protokoll: So lief Koalitions-Poker wirklich

Nervenkrimi um Blau-Schwarz: Nach nur 20 Minuten verließen die Verhandler das Parlament durch die Hintertüre. So steht es jetzt um die Koalition.
11.02.2025, 20:16

Blau-Schwarz vor dem Kollaps: Nachdem man am Montag ergebnislos auseinandergegangen war, verhandelten FPÖ-Chef Herbert Kickl und ÖVP-Obmann Christian Stocker mit ihren engsten Vertrauten am Dienstag weiter miteinander. Die Luft war zum Schneiden, nachdem die Schwarzen im Vorfeld harsche Kritik an Kickl geübt hatten.

"Heute" hat das komplette Protokoll des Nervenkrimis und rekonstruiert den Koalitionsthriller vom Dienstag:

06.00 Uhr: Ludwig bringt neue Dynamik in Poker

Über der Hauptstadt ist noch nicht einmal die Sonne aufgegangen, da sieht Wiens Stadtchef Michael Ludwig schon schwarz für die Republik. Auf X spricht er "von einer historischen Situation" und bringt neue Dynamik in den Regierungspoker. Die Hand der Sozialdemokratie sei "weit ausgestreckt", so der SP-Bürgermeister.

10.00 Uhr: Wirtschaftsbund-Chef erzürnt

Dann kommt auch noch "friendly fire" für die Koalitionsverhandler dazu. Noch vor der nächsten Runde im Parlament platzt Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer der Kragen. Er attestierte Kickl in mehreren Medien, "nicht regierungsfit" zu sein, unterstellte ihm "Machtrausch".

"Demokratie bedeutet auch Konsensorientierung und kein Diktat", so der Wirtschaftskammer-Präsident zu "Heute" Richtung Kickl. Im Mittelpunkt müsse das Wohl der Österreicher stehen – "und nicht das Wohl des FPÖ-Parteiobmanns", stellte der VP-Grande klar.

10.45 Uhr: Wiens Karl Mahrer setzt nach

Sein Namensvetter Karl Mahrer legt nur wenig später nach – mit nicht minder deutlichen Worten: "Kickl setzt auf totale Kontrolle und Macht", kritisiert der im Wahlkampf befindliche Wiener Chef der Volkspartei.

11.00 Uhr: Neos-Chefin legt ÖVP Rutsche

Nach Michael Ludwig ist Neos-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger die zweite Oppositions-Politikerin, die sich Dienstagvormittag zu Wort meldet. In einem Livestream in den sozialen Netzwerken adressierte sie "Fassungslosigkeit, Frustration und Ärger" und stellte klar, sowohl neue Ampel-Gespräche (obwohl sie diese Anfang des Jahres selbst hat platzen lassen) und eine Minderheitenregierung ermöglichen zu wollen, um Blau-Schwarz zu verhindern.

11.01 Uhr: Stocker im Parlament

Zeitgleich: High Noon im Hohen Haus an der Wiener Ringstraße: Als Erster trifft Christian Stocker mit Klubchef August Wöginger und Generalsekretär Alexander Pröll zur nächsten Verhandlungsrunde ein. Tags zuvor war man 90 Minuten zusammengesessen – ergebnislos. Der ÖVP-Obmann gibt kein Statement ab.

11.04 Uhr: Jetzt ist auch Kickl da

FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl kommt drei Minuten nach Christian Stocker. Auch er hat seine engsten Vertrauten Reinhard Teufel und Michael Schnedlitz an der Seite. "Ich bin optimistisch", sagt er in die TV-Mikros und verschwindet im Raum "Fellerer/Wörle" des Parlaments. Ein Security hält die Medienmeute davor im Zaum.

11.24 Uhr: Sitzung endet schon wieder

Recht viel hatte man sich aber offenbar trotz Kickls Optimismus nicht zu sagen. Ein Top-Verhandler bestätigt die "Heute"-Info: Bereits nach 20 Minuten endete das Gespräch schon wieder – ohne inhaltlichen Durchbruch. Das war wohl selbst den Spitzenverhandler allmählich peinlich. Sie verließen das Verhandlungszimmer – dort waren Brötchen, Fruchtsäfte und Red Bull eingestellt – durch die Hintertüre.

16.50 Uhr: FPÖ-Chef spricht erneut

Trotz zahlloser Gerüchte bis hin zum Scheitern der Koalitionsverhandlungen schweigen Blau und Schwarz stundenlang. TV-Reporter warten vor dem (mittlerweile leeren) Zimmer stundenlang auf ein Update. Dieses gibt es schließlich erst kurz vor 17 Uhr von FP-Chef Kickl, als dieser aus seiner Parteizentrale in der Reichsratsstraße kommt:

Vor seinem Besuch bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen (dieser führte kurz zuvor noch cobrabewacht seine Hündin Juli äußerln) spricht Herbert Kickl im ORF und auf Servus TV von "einer guten Atmosphäre" in den Verhandlungen, bekräftigt seinen Wunsch, künftig "auch das Innenministerium zu führen". Er sieht in den Asyl- und Migrationsagenden "eine Kernkompetenz" der Freiheitlichen. "Wie bei einem Hürdenlauf" wolle er in den Verhandlungen "eine Hürde nach der anderen" aus dem Weg räumen.

16.54 Uhr: Kickl fährt im Mercedes bei Hofburg vor

Der Weg in die Hofburg ist seinem Fahrer geläufig und nicht weit. Kurz vor 17 Uhr fährt er am Ballhausplatz in der schwarzen Mercedes-Limousine vor und winkt den wartenden Fotografen lachend zu. Von Krise will man bei den Blauen nicht sprechen. Es handle sich um "ein laufendes Update", der Termin sei der Hofburg bereits am Montag avisiert worden. Einen kolportierten Abbruch der Verhandlungen dementierte ein Sprecher auf "Heute"-Anfrage energisch: "Wir befinden uns nach wie vor im Status der Verhandlungen."

17.58 Uhr: FPÖ-Chef mit VdB fertig

Eine volle Stunde unterrichtet der FP-Chef daraufhin das Staatsoberhaupt über seine Sicht des Fortgangs der Verhandlungen. Über den Inhalt des Gesprächs dringt nichts nach außen.

18.10 Uhr: Jetzt kommt Stocker

Für den Bundespräsidenten ist das Tagewerk damit aber noch nicht vollbracht. Er empfängt nun auch ÖVP-Obmann Christian Stocker hinter der Tapetentüre. Stocker hat zuvor vor Medienvertretern klargestellt: "Wir haben gestern unsere Grundsätze, auf die wir eine Regierungsarbeit aufbauen könnten, in die Diskussion gebracht. Da geht es um internationale Beziehungen, [...], Rechtsstaatlichkeit, um die Sicherheit in Österreich und es geht auch um Souveränität und Unabhängigkeit von Russland. Über all das müssen wir noch reden [...]. Daraus resultiert natürlich auch eine Kompetenzverteilung, die auch noch offen ist."

19.05 Uhr: Stocker beendet Rapport

Auch das zweite – laut ÖVP-Sprecher "turnusmäßige" – Gespräch bei VdB endet nach rund einer Stunde. Was besprochen wurde: ebenso streng vertraulich.

19.51 Uhr: Präsident stellt "Ultimatum"

"Der Bundespräsident hat die Verhandlungspartner zu Gesprächen getroffen, um sich über den Stand der Regierungsverhandlungen berichten zu lassen. Er hat beide Parteichefs ersucht, rasch und endgültig zu klären, ob die Verhandlungen abgeschlossen werden können", heißt es aus der Hofburg.

20.00 Uhr: Und jetzt?

Auch, wenn die Koalition bis Dienstagabend nicht kollabiert ist, bleibt die Frage: Wie geht es weiter? "Alles sei "im Fluss", wollte sich ein ÖVP-Sprecher auf "Heute"-Anfrage nicht in die Karten blicken lassen. Er wollte auch das Gerücht nicht kommentiert, dass Herbert Kickl der Volkspartei in Aussicht gestellt habe, im Streit um die Ministerien ein neues Angebot übermitteln zu wollen.

Fakt ist: Nachdem die ÖVP das Finanzministerium aufgegeben hatte, gestand der FPÖ-Chef den Schwarzen die EU-Koordinierung und Montagabend auch noch die Kultur-Agenden zu. Verfassungsdienst und Medien wandern im Gegenzug zu einem freiheitlichen Kanzleramtsminister.

20.15 Uhr: Fix – nächste Runde am Mittwoch

Auch immer mehr Spitzenfunktionäre der Volkspartei können aber – auch angesichts der inhaltlichen Gräben – nicht verstehen, dass sich ihre Partei die Option auf eine Kickl-Koalition noch offen hält. Ein Top-Verhandler bestätigt "Heute" um 20.15 Uhr: "Am Mittwoch wird weiterverhandelt." Wie stehen die Chancen? Dazu heißt es lapidar: "Wir werden sehen." Und die FPÖ meint: "Es gibt derzeit nichts zu kommunizieren ..."

{title && {title} } coi,sea, {title && {title} } Akt. 11.02.2025, 23:47, 11.02.2025, 20:16
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