Politik

"Geimpfte stinken", "lieber tot" – neuer Bericht erschü

Erschütternde 184 Seiten umfasst der Tätigkeitsbericht 2021 der Bundesstelle für Sektenfragen. Corona ließ viele Bürger vollkommen abdriften.

Rene Findenig
Vor allem mit der vieldiskutierten Impfpflicht bekamen Verschwörungstheorien in Österreich Aufwind.
Vor allem mit der vieldiskutierten Impfpflicht bekamen Verschwörungstheorien in Österreich Aufwind.
apa/picturedesk ("Heute"-Montage)

Anlässlich des Ministerrats am Mittwoch präsentierte die Bundesstelle für Sektenfragen ihren Tätigkeitsbericht für das Jahr 2021. Und der liest sich besorgniserregend: Die Zahl der Anhänger von Sekten-ähnlichen Gruppierungen und von Verschwörungstheorien stieg stark an. In nur einem Jahr gab es 5.968 Informations- und Beratungsgespräche mit 1.883 Personen. Bei 583 Fällen war eine umfassendere Beratung oder Begleitung notwendig, heißt es von der Sektenberatung.

"Aufgrund des erhöhten Beratungsaufwands wird das Budget der Bundesstelle für Sektenfragen von 400.000 Euro auf 597.500 Euro, also um knapp 200.000 Euro, angehoben", reagiert die Regierung. Die Phänomene seien vielfältig und würden von religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften oder Angeboten über Verschwörungstheorien insbesondere bei der Coronavirus-Krise in Zusammenhang mit den Maßnahmen der Bundesregierung sowie staatsfeindlichen Tendenzen reichen.

"Esoterik, Okkultismus, Satanismus, Wunderheilungen"

"In diesem Zusammenhang war die Bundesstelle als zentrale österreichweite Anlaufstelle mit einem breiten Spektrum von Themen und Bereichen befasst, das von religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften über Weltanschauungsfragen, Esoterik, Okkultismus, Satanismus, Wunderheilungen, fundamentalistische Strömungen, Angebote zur Lebenshilfe bis hin zu religiösem Extremismus reichte", so die Bundesstelle in ihrem aktuellen Bericht zu den Entwicklungen.

"Besorgnis erregte dabei im Jahr 2021 die fortschreitende Radikalisierung von Anhängerinnen und Anhängern von Verschwörungstheorien, die sich vor allem mit Beginn der vierten Coronavirus-Welle und der Ankündigung einer Impfpflicht im November 2021 durch eine besonders intensive Phase der emotionalen Aufladung und aggressiven Rhetorik auszeichnete", heißt es. Es gebe eine Ablehnung der Impfung sowie einen "Rekord" an Abmeldungen vom Schulunterricht.

"Marionette der Pharmaindustrie", "lieber tot"

In Sachen Corona verzeichnete die Bundesstelle viele Phänomene, die von Freikirchen und Gemeinschaften über "Coronavirus-Demonstrationen" und der "Umpolung" Homosexueller bis hin zu einer Verehrung gleichkommender Zustimmung zum Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin. Fassungslos machen geschilderte Fälle. So starb der Großvater eines Arztes an Corona – seine Familie lehnte diese Diagnose aber vehement ab und gab der Monate zuvor erfolgten Corona-Impfung die Schuld und das eigene Familienmitglied wurde als "Marionette der Pharmaindustrie" beschimpft.

Die Eltern des Arztes verglichen sich zudem mit den verfolgten Jüdinnen und Juden im NS-Regime und der Vater gab an: "Ich bringe mich lieber um, als der Impfpflicht nachzukommen". Die Schwester einer Hilfesuchenden wiederum war überzeugt, dass der Bevölkerung Computerchips implantiert werden sollen, um sie zu versklaven und zu töten. Im Angesicht einer baldigen "Militärdiktatur" wollte sie mit ihren Kindern auswandern – in eine Kommune in Südamerika, wo keine Chemtrails versprüht würden und keine 5G-Masten Gedankenkontrolle ausüben würden.

"Nazi-Mitläuferin", "Roboter ins Gehirn eingesetzt"

Als "Nazi-Mitläuferin" beschimpft wurde wiederum eine Frau von ihrer 70-jährigen Schwester – weil sie sich impfen ließ. Die bisher Reise-begeisterte Schwester kapselte sich stundenlang ins Internet ab, spendete großzügig an Coronaleugner und verlor den Kontakt zu ihrer Familie, weil sie diese aggressiv "missionieren" wollte. Ähnlich die Lebensgefährtin eines Betroffenen: Sie lehnte Corona-Tests ab, weil damit "Roboter ins Gehirn eingesetzt" würden – und machte einen Schulbesuch der zehnjährigen Tochter unmöglich. Die Frau fand schließlich Zugang zu einer abgeschiedenen Kommune, die die Pandemie als Wirken Satans bezeichnete.

Vollkommen abgedriftet war auch ein Mann, der mit Beginn der Pandemie seinen Job verlor. Er war zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren begeistert von rechtsextremen Kampfbegriffen wie einem "Bevölkerungsaustausch" und "QAnon"-Mythen. Er tauchte in eine wirre Welt ein, in der hinter jedem Unglück und Unfall der "Tiefe Staat" stecken würde, der die gesamte Bevölkerung "willenlos" machen wolle. Die siebenjährige Tochter des Mannes verängstigten die Äußerungen immer mehr. Als sich der Mann für die "Endzeitschlacht" vorbereiten wollte, suchte sich seine Lebensgefährtin Hilfe bei der Sektenstelle.

"Geimpfte Personen verbreiten gefährliche Strahlen"

Weitere Fälle im Schnelldurchlauf: In einem Pflegeheim teilte sich das Personal in Maßnahmen-Befürworter und -Gegner, was dazu führte, dass auch die Betreuten teils aggressiv auf die Betreuung durch Geimpfte reagierten. Einer Großmutter wurde außerdem ein Magazin zugestellt, in dem behauptet wurde, dass nicht bei Gottesdiensten, sondern nur bei satanischen Messen Schutzmasken getragen würden.

Und: Die Inhaberin eines Bio-Catering-Services war von einer Leiterin eines Esoterik-Zentrums als Kundin abhängig. Diese behauptete, dass "geimpfte Personen gefährliche Strahlen verbreiten" und "stinken" würden – und so wie sieben Milliarden andere Menschen bald tot seien.

Pikant: Wie es im Bericht heißt, könnten Verschwörungsgläubige "wahrscheinlich grundsätzlich überhaupt nicht" über einen Irrtum aufgeklärt oder noch mit sachlichen Argumenten erreicht werden. Zu einer Abkehr von abstrusen Theorien komme es demnach meist nur nach negativen persönlichen Erlebnissen – entweder, wenn es zu negativen Auswirkungen auf das Privatleben komme oder man selbst mit einer Corona-Erkrankung konfrontiert sei.

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    Karl Schöndorfer / picturedesk.com