Experten-Befürchtung
"Aus Krieg wird bedrohlicheres Russland hervorgehen"
Er sei pessimistisch, sagt der Militärexperte Emil Kastehelmi. Im Interview gehts um die Frage, was ein "gutes Endergebnis" im Ukraine-Krieg wäre.
Im Interview von "20 Minuten" mit Militärexperte Emil Kastehelmi geht es um die Frage, was für die Ukraine ein "ziemlich gutes Endergebnis" wäre.
Wie sieht die aktuelle Lage im Krieg gegen die Ukraine aus?
Die Ukraine befindet sich im Moment in einer sehr schwierigen Situation, sowohl militärisch als auch politisch. Sie hat immense Schwierigkeiten, ihre Ziele zu erreichen, also zu den Grenzen von 1991 zurückzukehren. Im Moment sieht es nicht so aus, als gäbe es in diesem Krieg ein gutes Ergebnis.
Droht ein Zusammenbruch der Donbass-Front oder ist das zu pessimistisch?
Die Russen nehmen zwar nach und nach Dörfer und Städte ein, aber sie sind nicht in der Lage, einen Durchbruch im konzeptionellen Sinn zu erzielen. Der maximale Vormarsch ist im Schnitt während einer Woche auf vielleicht fünf bis zehn Kilometer begrenzt. Von einem Frontzusammenbruch würde ich also nicht sprechen – zumindest noch nicht. Noch sind die Ukrainer in der Lage, sich zu verteidigen.
Was will Russland denn wirklich im Donbass?
Die Eroberung des Donbass deckt sich mit den russischen politischen Zielen dieses Krieges. Man will das gesamte Verwaltungsgebiet im Donbass einnehmen.
Klar. Aber wirtschaftlich erscheint im Donbass vieles überholt und aus ökologischer Sicht in katastrophalem Zustand.
Alles, was Russland im Moment bekommt, sind größtenteils zerstörte Städte und beschädigte Infrastruktur. Es wird eine absurde Menge Geld brauchen, um alles zu reparieren. Die verbliebenen Zivilisten sind alles alte Menschen. Man müsste also eine produktive Arbeiterschaft aus Russland importieren.
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Es geht also um die natürlichen Ressourcen?
Natürlich gibt es in der Gegend viele natürliche Ressourcen, doch ich bezweifle, dass sie Hauptmotivator sind. Russland will seine Einflusssphäre abstecken. Je mehr ukrainisches Land die Russen bekommen, desto mehr können sie das als Sieg verkaufen – und stärkeren Einfluss auf die Ukraine nehmen.
Sind Sie eher optimistisch oder pessimistisch, was ein Ende dieses Krieges angeht?
Ich bin sehr pessimistisch. Denn es gibt so viele Variablen: Vieles hängt davon ab, wer der nächste US-Präsident wird. Und dann man fragt sich, ob andere westliche Länder wirklich den politischen Willen aufbringen, die Ukraine langfristig so intensiv zu unterstützen, dass die russische Kriegsmaschinerie gestoppt und Moskau zu fairen Verhandlungen gezwungen werden kann. Selbst wenn Russland an den Verhandlungstisch gezwungen werden könnte – es würde einige strategisch wichtige Gebiete in der Ukraine behalten. Das wird Folgen haben.
Welche Folgen?
Russland wird aus diesem Konflikt lernen, dass es sich durch Gewalt in eine bessere Lage bringen kann. Aus diesem Krieg wird somit ein bedrohlicheres Russland hervorgehen, das sich gegen viele westliche Länder behauptet hat – und zwar auf eine Weise, die man vorher noch nicht erlebt hat. Ein Ende des Ukraine-Krieges bedeutet also nicht zwangsläufig das Ende der schwierigen Sicherheitslage in Europa.
Was wäre denn ein erreichbarer Sieg, der den Namen noch verdient?
Das ist eine schwierige Frage. Im grundlegenden Sinne verliert die Siegerpartei nichts von ihrem Territorium. Aber wir müssen realistisch sein. Eine Ukraine, die noch über funktionierende Verteidigungsfähigkeiten verfügt und Teil der Nato wird, wäre ein ziemlich gutes Endergebnis, selbst wenn sie einige Gebiete verliert.
Viele Ukrainer glauben, dass ihr Land der Nato bald beitreten wird. Teilen Sie diesen Optimismus?
Ich wäre nicht so optimistisch. Es gibt noch zu viele Variablen in Bezug auf einen Nato-Beitritt, die auf politischer Ebene, aber auch auf dem Schlachtfeld gelöst werden.
Emil Kastehelmi
Emil Kastehelmi (29) ist für die finnische Sicherheitsfirma Black Bird Group tätig. Während seines Dienstes als Nachrichtenoffizier in der Karelischen Brigade kam er erstmals mit Open-Source-Informationen in Berührung. 2014 trat Kastehelmi als Leutnant der Reserve bei, danach begann er ein Studium der Politikwissenschaften an der Uni Turku.
Seit dem Krieg gegen die Ukraine leitet Kastehelmi als Sonderredaktor der finnischen Zeitung "Iltalehti" eine wöchentliche Sendung zu dem Thema. Darüber hinaus arbeitet Kastehelmi an einem neuen Sachbuch und hält Vorträge über den Krieg in der Ukraine und "Open Source Intelligence".
Auf den Punkt gebracht
- Der Militärexperte Emil Kastehelmi äußert sich im Interview pessimistisch über den Ukraine-Krieg und betont, dass Russland aus dem Konflikt gestärkt hervorgehen könnte
- Er sieht die Ukraine in einer schwierigen Lage und bezweifelt, dass ein "gutes Endergebnis" ohne Gebietsverluste realistisch ist, wobei ein Nato-Beitritt der Ukraine ebenfalls unsicher bleibt