Parteien sondieren Mehrheiten

Auch ohne VdB – So formiert sich jetzt neue Regierung

Es braucht keinen Auftrag vom Bundespräsidenten, um eine Regierungsmehrheit zu suchen. Das läuft schon fleißig. Wer mit wem redet, was sich ausginge.

Angela Sellner
Auch ohne VdB – So formiert sich jetzt neue Regierung
Wahlsieger Kickl allein auf weiter Flur. ÖVP-Chef Nehammer, SPÖ-Boss Andreas Babler und Neos-Frontfrau Beate Meinl-Reisinger sondieren, ob sie miteinander könnten. Auch Grünen-Chef Werner Kogler will mitmachen.
Picturedesk; Helmut Graf; "Heute"-Collage

Die Wahlen sind geschlagen, ganz Österreich wartet gespannt, wer das Land künftig regieren wird. Die stimmenstärkste Partei – Herbert Kickls FPÖ – steht trotz des Wahlsiegs ziemlich allein da, weil sich (derweil) niemand mit den Blauen zusammentun will.

Üblich ist, dass der Bundespräsident nach der Wahl dem Chef/der Chefin der Partei, welche die meisten Stimmen erhalten hat, den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Das ist aber nicht in Stein gemeißelt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat bereits anklingen lassen, dass er sich Zeit lassen will. Zunächst führt er zwischen Freitag und Dienstag Gespräche mit den Vorsitzenden der fünf Parlamentsparteien. Den Anfang macht am Freitagvormittag FPÖ-Chef Kickl.

Es ist indes nicht zwingend, dass der Bundespräsident überhaupt gleich einen Regierungsbildungsauftrag erteilt. Die Parteien können auch ohne einen solchen miteinander reden und ausloten, wer mit wem könnte. Das sind die sogenannten Sondierungsgespräche (nicht zu verwechseln mit späteren Koalitionsverhandlungen), für die die Parteien jetzt Teams nominiert haben.

Finden sich in dieser Sondierungsphase realistische Partnerschaften für eine Regierungsmehrheit, könnten die Betreffenden mit diesem Vorschlag auch "eigenständig" zum Bundespräsidenten gehen und sich allenfalls den Auftrag zur Regierungsbildung holen.

Suche nach Mehrheiten

Hinter den Kulissen laufen die Planspiele bereits auf Hochtouren, welche Mehrheiten sich auf Basis der Mandatsverteilung ausgehen könnten. Auf der einen Seite bemüht man sich, eine "Anti-Kickl-Koalition" zu zimmern, auf der anderen Seite wird hin und her überlegt, wie Blau/Türkis vielleicht doch zusammenzubringen wäre – trotz des klaren Neins von ÖVP-Chef Karl Nehammer zu einer Koalition mit Herbert Kickl.

Die FPÖ kommt im neuen Nationalrat auf 57 Sitze. Die ÖVP folgt auf Platz zwei mit 51 Mandaten, die SPÖ liegt auf Platz drei mit 41 Sitzen. Die Neos haben, 18, die Grünen 16 Mandate ergattert.

"Heute" hat sich angeschaut, welche Koalitionen rechnerisch und von den inhaltlichen Positionen her möglich wären.

Große Koalition

TÜRKIS-ROT: Eine Koalition von ÖVP und SPÖ, gemeinhin "große Koalition" genannt, käme zwar in Prozenten nicht auf mehr als 50 %, hätte aber in Mandaten eine hauchdünne Mehrheit. Von den insgesamt 183 Parlamentssitzen käme Türkis-Rot (laut vorläufigem Endergebnis) auf 92 – das wäre also nur eine Stimme. Sehr wacklig – wären nur ein oder zwei Mandatare bei einer Abstimmung krank, wäre die Mehrheit dahin.

Dass sich Rot und Schwarz inhaltlich und personell zusammenraufen können, ist denkbar, aber keinesfalls fix. Viele in der ÖVP stoßen sich an SPÖ-Chef Andreas Babler, wollen nur mit einem anderen Vizekanzler-Kandidaten JA sagen. "Den müssen die Roten anbringen", heißt es in Parteikreisen. Die SPÖ indes steht zu Babler – und er hat deutlich gemacht, "Verantwortung übernehmen zu wollen" und das Ziel der Verhinderung einer Neuauflage von Schwarz/Blau ausgerufen.

Auch programmatisch müssten sowohl die ÖVP als auch die SPÖ nachgeben – Bablers 32-Stunden-Woche und neue Steuern etwa sind für die Schwarzen ein No-Go.

Die Sondierungsteams werden hier einige Baustellen zu beackern haben. Die wichtige Achse aus ÖGB-Chef Wolfgang Katzian für die SPÖ und Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer auf ÖVP-Seite ist aber Teil der Sondierer – es könnte pragmatisch also durchaus etwas weiter gehen.

Ampel

TÜRKIS-ROT-NEOS: Eine solidere Parlamentsmehrheit ergäbe sich, wenn Rot und Schwarz einen dritten Partner hinzunehmen. Die Neos wären hier wohl erste Wahl und sind heiß aufs Mitregieren, wie die pinke Parteichefin Beate Meinl-Reisinger wiederholt gesagt hat. ÖVP, SPÖ und Neos kämen gemeinsam auf 110 Mandate. Der "Dreier" eröffnet also eine deutliche Mehrheit.

Eine Dreiparteien-Regierung, auch Ampel genannt, hat es allerdings in Österreich noch nie gegeben. Es gibt da keine Erfahrungswerte – und der Blick zum Ampel-Chaos im Nachbarland Deutschland macht nicht gerade Mut.

Inhaltlich gibt's zwischen SPÖ und Neos nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. Allerdings funktioniert Rot-Pink in Wien schon seit dem Jahr 2020. Neos-Chefin Meinl-Reisinger hat allerdings auch die ÖVP im Visier, wenn sie mit allem Alten aufräumen will und grundlegende Reformen in den Vordergrund stellt.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfängt ab Freitag die Vorsitzenden der fünf Parlamentsparteien.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen empfängt ab Freitag die Vorsitzenden der fünf Parlamentsparteien.
Helmut Graf

Da würden also einige Kompromisse auszuhandeln sein. Aber die Neos wollen unbedingt in die Regierung – und wissen, dass das nur in einer Dreiervariante möglich ist.

Doch wieder mit Grünen

TÜRKIS-ROT-GRÜN: Der zweite mögliche "Dreier" wäre mit ÖVP, SPÖ und den Grünen. Diese Ampel würde auf 108 Mandate und also auch eine solide Mehrheit kommen. Allerdings ist die ÖVP nach fünf Jahren gemeinsamer Regierung ziemlich durch mit den Grünen. Insbesondere mit Klimaministerin Leonore Gewessler können die Schwarzen nicht mehr. ÖVP-Chef Nehammer hat bereits gesagt, eine neuerliche Koalition mit den Grünen käme nur ohne Gewessler infrage. Grünen-Chef Werner Kogler machte seinerseits klar: "Nur mit Gewessler."

Nehammer könnte sich die Blöße kaum geben, wieder mit einer Ministerin Gewessler in eine Regierung zu gehen. Kogler wiederum könnte sie kaum "opfern".

Fix ist aber: Die Grünen wollen weiter mitregieren, auch wenn sie bei der Wahl deutlich verloren haben.

Mit der FPÖ

BLAU/TÜRKIS: Eine Koalition von FPÖ und ÖVP hätte zu zweit die klarste Mehrheit: 108 Mandate. ÖVP-Chef Nehammer hat eine Zusammenarbeit mit FPÖ-Obmann Kickl jedoch dezidiert ausgeschlossen. Da kann er nicht zurück. Um Blau/Türkis zu ermöglichen, müssten also eigentlich entweder Kickl oder Nehammer zur Seite treten. Was sich bei beiden nicht abzeichnet.

BILDERSTRECKE: FPÖ-Granden beraten nach Wahlsieg

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    Am Mittwoch kam der FPÖ-Vorstand zusammen, um das Team für Sondierungsgespräche festzulegen.
    Am Mittwoch kam der FPÖ-Vorstand zusammen, um das Team für Sondierungsgespräche festzulegen.
    Helmut Graf

    Inhaltlich gibt es freilich zwischen Blau und Türkis große Schnittmengen – allen voran beim Wirtschaftsprogramm, aber auch in Fragen der Migrationspolitik.

    Nicht alle in der ÖVP sind grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen. Auf Landesebene gibt es diese Koalition bereits in drei Bundesländern: Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg.

    Nicht wenige Politikbeobachter halten es für möglich, dass die ÖVP zuerst lange mit der SPÖ verhandelt, das aber letztlich scheitert (absichtlich?) und die ÖVP dann doch mit den Freiheitlichen eine Koalition eingeht. Wendigkeit ist ja eine wesentliche Eigenschaft in der Politik...

    FPÖ in die Opposition

    Der Vollständigkeit halber: Auch Blau und Rot hätten gemeinsam eine Mehrheit von 98 Mandaten. Ist aber inhaltlich wie von den handelnden Personen Kickl und Babler her nicht realistisch.

    Dass Herbert Kickl mit der FPÖ letztlich auf der Oppositionsbank landet, halten indes immer mehr Polit-Insider für wahrscheinlich.

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      privat, iStock

      Auf den Punkt gebracht

      • Die Parteien in Österreich sondieren derzeit mögliche Regierungsmehrheiten, auch ohne formellen Auftrag des Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen
      • Trotz des Wahlsiegs der FPÖ unter Herbert Kickl, scheint eine Koalition mit ihr unwahrscheinlich, während verschiedene Kombinationen wie eine große Koalition zwischen ÖVP und SPÖ, eine Dreierkoalition mit den Neos oder den Grünen sowie eine mögliche, aber derzeit ausgeschlossene, Zusammenarbeit zwischen FPÖ und ÖVP diskutiert werden
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