Hinterzimmer-Gespräche
Wie man jetzt "Anti-Kickl-Koalition" zimmern will
ÖVP und SPÖ scheinen wild entschlossen, eine Koalition der Verlierer abseits der FPÖ zu schmieden. Königsmacherin könnte Beate Meinl-Reisinger werden.
Blauer und pinker Montag, die zweistellig abgestürzte ÖVP auf Tauchstation – am Montag nach der Wahl ließen sich weder Wahlgewinner noch die gebeutelte Kanzlerpartei in die Karten schauen. Hinter den Kulissen wird aber bereits eifrig an einer Koalition an der FPÖ vorbei gebastelt. Zumindest die Roten haben die Weichen dafür am Montag auch bereits öffentlich gestellt.
Trotz Platz 3: SPÖ will regieren
SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler wird bei diesem Poker am Tisch sitzen. "Ich werde diesen Weg mit euch weitergehen": Mit diesen Worten machte er klar, weiter die SPÖ anführen zu wollen. Dieser Weg wird kein leichter sein – immerhin sind die Roten mit ihrer äußerst linken Positionierung erstmals in der Geschichte auf den dritten Platz abgerutscht.
Dennoch möchte die SPÖ "Verantwortung übernehmen", schrieb sie in einem WhatsApp an Funktionäre. "Wir stehen für eine Regierungsbeteiligung bereit"; es gelte, die "FPÖ zu verhindern".
Die SPÖ hat sich am Montag auf ein Verhandlungsteam für etwaige Sondierungsgespräche verständigt. Neben Parteichef Andreas Babler gehören diesem die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, Frauenchefin Eva-Maria Holzleitner, Klubobmann Philip Kucher und ein Vertreter der Gewerkschaft (Wolfgang Katzian oder Josef Muchitsch) an. Ernste Gespräche wird es wohl nur mit der ÖVP und etwaigem Mini-Partner geben: "Die FPÖ unter Herbert Kickl ist kein Koalitionspartner", hielt Klubobmann Kucher fest.
Enttäuscht vom minderen Ergebnis (21,1 Prozent) zeigte sich Vorsitzender Babler. Es sei "nicht zufriedenstellend".
Seinen Rücktritt habe er in den Gremiensitzungen nicht angeboten: "Es hat keinen Grund dafür gegeben." Babler gestand strukturelle Probleme im ländlichen Raum und in Industrieregionen – ehemalige SPÖ-Hochburgen – ein. "Wir wollten deutlich stärker werden."
Burgenland-Chef Doskozil gegen SPÖ in Regierung
"Es tut natürlich weh, wenn man verliert" – mit diesen Worten reagierte Hans Peter Doskozil auf den erstmaligen Absturz der SPÖ auf Platz 3 bei einer Nationalratswahl. Eine Personaldiskussion um seinen ehemaligen Kontrahenten Andreas Babler wolle er nicht vom Zaun brechen.
"Babler ist keine Wundertüte", so der Burgenland-Chef, seine Programmatik sei bekannt gewesen. Doskozil gratulierte der FPÖ zum Wahlsieg: "Sie haben besser mobilisiert." Für ihn sei klar, "dass die FPÖ den ersten Nationalratspräsidenten stellt" – so, wie das in Österreich Usus ist. Auch solle Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag erhalten. 30 Prozent der Österreicher hätten die FPÖ gewählt, man könne diese Wähler jetzt "nicht vor den Kopf stoßen". Das Ergebnis der Roten sei für Doskozil "kein Auftrag, in eine Regierung einzutreten"
Man müsse "FPÖ-Wählern wieder eine Alternative geben in der Sozialdemokratie". Eine andere thematische Schwerpunktsetzung "stand nicht zur Diskussion", so der rote Chef. Dafür gebe es keinen Anlass: "Natürlich wollen die Leute die Themen."
Links-Kurs für ÖVP und Neos Hemmschuh?
Gut möglich, dass zum Regieren Abstriche nötig sind: Viele Punkte des Babler-Programms (32-Stunden-Woche, neue Steuern) dürften rote Linien für ÖVP und Neos darstellen. Will die ÖVP nämlich mit der SPÖ eine Koalition an Wahlsieger Herbert Kickl vorbei schmieden, braucht sie Neos oder Grüne zur Absicherung der parlamentarischen Mehrheit.
Am Ende könnte es doch Blau-Schwarz geben ...
Ein rot-schwarzes Bündnis alleine hätte nur ein Mandat Überhang – die Regierung wäre somit zu jedem Zeitpunkt von Bünden, Gewerkschaft oder Landeskaisern erpressbar. Neos stehen der ÖVP näher als die Grünen. Beate Meinl-Reisinger hatte schon im Wahlkampf deutlich gemacht, dass die Pinken bereit zum Regieren sind. Sie forderte allerdings harte Reformen ein.
Wahlverlierer ÖVP steht vor einer Zerreißprobe. Einerseits will man das Kanzleramt behalten, der Preis könnte – vor allem für die Landeshauptleute – durch zu hohe inhaltliche Kompromisse bei einer Zusammenarbeit mit der Babler-SPÖ aber zu groß werden. Ist die Hürde Babler am Ende zu hoch und treibt die ÖVP doch in die Hände der Blauen? Einige schwarze Funktionäre drängen gemäß "Heute"-Infos bereits vehement auf Gespräche mit der FPÖ.
Der Bundespräsident empfängt Mittwoch Regierung ...
In den nächsten Tagen werden jedenfalls viele Augen auf die Hofburg gerichtet sein: Bundespräsident Van der Bellen nimmt sich in Vier-Augen-Gesprächen alle Spitzenkandidaten der Parlamentsparteien zur Brust. Zunächst tritt morgen die alte Regierung an und wird am Mittwoch um 13.00 Uhr ihren Rücktritt anbieten. Van der Bellen wird sie des Amtes entheben, sie dann sofort mit der Fortführung der Geschäfte betrauen.
... und dann Wahlsieger Kickl
Danach starten die Gespräche mit den Spitzenkandidaten – in der Reihenfolge ihrer Wahlergebnisse. Den Anfang macht also der heikle Termin mit FPÖ-Chef Kickl. Abgeschlossen soll die erste Runde voraussichtlich Anfang kommender Woche sein.
Historischer FPÖ-Sieg bei der Wahl – so jubeln die Blauen
Auf den Punkt gebracht
- ÖVP und SPÖ arbeiten hinter den Kulissen an einer Koalition, um die FPÖ zu umgehen, wobei Beate Meinl-Reisinger von den Neos als mögliche Königsmacherin gilt
- Trotz des dritten Platzes bei der Wahl strebt die SPÖ unter Andreas Babler eine Regierungsbeteiligung an, während die ÖVP vor der Herausforderung steht, entweder mit der SPÖ oder der FPÖ zu koalieren