Gesundheit
Atomkrieg – warum Jodtabletten jetzt schaden können
Ein möglicher Atomkrieg und die Atomkraftwerke der Ukraine geben derzeit Anlass zur Sorge. Dennoch sollte Kaliumjodid jetzt nicht eingenommen werden.
Der russische Präsident hat seine Atomstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt – doch das ist nicht die einzige Bedrohung. Denn ausgerechnet in der unter Beschuss stehenden Ukraine befinden sich fünf Atomkraftwerke (das stillgelegte Kernkraftwerk in Tschernobyl mitgezählt). Sollte eines davon versehentlich oder absichtlich im Rahmen der Kriegshandlungen getroffen werden, dann kommt es zu einem atomaren Ernstfall.
Ein Grund, warum in den sozialen Medien derzeit über eine prophylaktische Einnahme von Kalium-Jodid-Tabletten diskutiert wird. Vermehrt tauchen auch Meldungen auf, dass es in österreichischen Apotheken zu Engpässen der Jodtabletten kommt. Dabei sind gerade diese Tabletten im Ernstfall fast schon nebensächlich und können für manche Personen sogar schädlich sein, wie Franz Kainberger, Professor für Radiologie und Nuklearmedizin an der Med-Uni Wien, gegenüber "Heute" erklärt.
"Jodtabletten sind nicht unwichtig, im Vergleich zur Gesamtsituation in der wir uns im Falle eines solchen Unglücks befinden werden, sind sie aber von untergeordneter Rolle", so der Professor. Kaliumiodid schützte schließlich nur die Schilddrüse vor Karzinomen.
Kein Grund zur Einnahme von Jodtabletten
Die Schilddrüse benötige Jod als Grundstoff für die Produktion von Schilddrüsenhormonen. Bei einem Atomunfall werde radioaktives Jod freigesetzt. "Ein wirklich ganz unangenehmer, dreckiger Cocktail von radioaktiven Substanzmischungen." Der Körper könne das radioaktive Jod – im Falle von Tschernobyl C723 – von dem nicht radioaktiven Jod nicht unterscheiden. "Bekommt die Schilddrüse nun C723 statt Jod angeboten, dann nimmt sie auch das." Im schlimmsten Fall kann das radioaktive Jod dann dort Krebs verursachen.
„"Ein wirklich ganz unangenehmer, dreckiger Cocktail."“
Deshalb sei das Ziel von Kalium-Jodid-Tabletten, so viel Jod in der Schilddrüse anzureichern, dass kein radioaktives mehr aufgenommen werden kann. "Wird die Schilddrüse mit Jod vollgepumpt, dann ist kein Platz mehr für das radioaktive Caesium." Doch dafür gebe es im Augenblick keinen Grund und könne Kalium-Jodid könne sogar zu schwerwiegenden Problemen führen.
"Derzeit ist gibt es sicherlich keinerlei Indikation für die Einnahme von Kalium-Jodid-Tabletten und man muss bei der Einnahme sehr vorsichtig sein. Leidet jemand an einer Schilddrüsenüberfunktion, dann können Jodtabletten diese Überfunktion verstärken." In einem solchen Fall könne man zumindest noch entsprechend dosieren, aber Kainberger betont: "Viele wissen gar nicht, dass sie eine Schilddrüsenüberfunktion haben. Die wird dann unter Umständen überhaupt erst durch die Tabletten ausgelöst."
„"Viele wissen gar nicht, dass sie eine Schilddrüsenüberfunktion haben."“
Es sei außerdem auch gar nicht nötig, Jod vorsorglich einzunehmen, denn: "Österreich verfügt über ein exzellent ausgebautes Strahlenfrühwarnsystem. Sobald eine erhöhte Strahlengefahr besteht oder radioaktiv gefährliche Wolken hierher unterwegs sind, weiß die Bevölkerung sehr rasch darüber Bescheid."
Kinder am stärksten gefährdet
Deshalb rät Kainberger den genauen gesetzlichen Vorgaben zu folgen und Kalium-Jodid-Tabletten nur nach ausdrücklicher Aufforderung durch die Gesundheitsbehörden einzunehmen. "Wenn es soweit ist, wird über die Medien bekannt geben, welche Bevölkerungsgruppen es betrifft und welche nicht." Vor allem Kinder seien in einem solchen Fall von Schilddrüsentumoren betroffen.
„"Die Gefahr eines Schilddrüsenkarzinoms ist für die moderne Medizin problemlos lösbar."“
Der Professor für Radiologie und Nuklearmedizin betont allerdings auch, dass Schilddrüsenkarzinome heutzutage gar keine große Gefahr mehr darstellen. "Heute können wir solche bösartigen Knoten in der Schilddrüse mittels einer ganz einfachen, nicht belastender Ultraschalluntersuchung bereits sehen, wenn sie nur zwei oder drei Millimeter groß sind – und das ist lange, bevor sie gefährlich werden."
Auch nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl konnten fast alle betroffenen Kinder geheilt werden, erzählt er. "Die Gefahr eines Schilddrüsenkarzinoms ist für die moderne Medizin problemlos lösbar."