Politik

Atomdrohung – Putin-Kenner fürchtet "totale Eskalation"

Der gesamte Westen stellt sich mit beispielloser Einigkeit gegen Putin, sein Ukraine-Krieg droht zum Debakel zu werden. Das ist höchst gefährlich.

Roman Palman
Star-Politologe Ivan Krastev zu Gast in der ZIB2 bei Armin Wolf am 28. Februar 2022.
Star-Politologe Ivan Krastev zu Gast in der ZIB2 bei Armin Wolf am 28. Februar 2022.
Screenshot ORF

In einer leicht verspäteten ZiB2 Montagnacht sprach Armin Wolf mit Korrespondent Christian Wehrschütz über die Lage in Kiew und mit dem Star-Politologen und Putin-Kenner Ivan Krastev über Putins Ziele, Irrtümer und möglichen Ausweg.

"In der Hauptstadt im Zentrum ist die Situation noch ruhig. Es könnte aber die Ruhe vor dem Sturm sein", so die dramatische Einschätzung von ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz. Alles deute darauf hin, dass es bald zu einem Großeinsatz kommen würde, sagt er in Bezug auf den massiven Truppen-Aufmarsch rund um Kiew. Wehrschütz' Befürchtung: dieser  Angriff beginne wohl dann mit einem massiven Artillerie-Hagel.

Verkalkuliert

"Offensichtlich hat Putin unterschätzt, welche Widerstandskraft ihm entgegenschlägt", so der Bundesheer-Major weiter. Doch je größer der Widerstand, desto höher werde auch die Chance, dass die Russen gewillt seien, schweres Gerät im Stadtgebiet einzusetzen. "Jeder Tag den die Ukraine durchhält, ist ein Tag wo die russischen Opferzahlen in die Höhen schnellen" – und irgendwann werde Putin der russischen Bevölkerung erklären müssen, wieso es so viele Tote gibt.

Die Friredensverhandlungen lassen keine Hoffnung auf einen Durchbruch, so Wehrschütz' Einschätzung. Dazu sei die Delegation der Russen mit zu wenig hochrangigen Entscheidungsträgern besetzt gewesen. Und auch, dass man sich über eine Fortsetzung erst in einigen Tagen geeinigt habe, verheißt wenig Gutes. Bis dahin könne sich die militärische Lage bereits stark geändert haben.

Was Putin eigentlich will

Der bulgarische Star-Politologen und Putin-Kenner Ivan Krastev analysierte im Anschluss die Motive hinter dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine. "Kaum ein anderer kennt Putin so gut wie er", so Armin Wolf zu Beginn des Interviews über seinen Gesprächspartner. 

Krastev weiß, wieso die Ukraine nun für die Russen zu so einem Debakel wird: "Eines der schlimmsten Dinge, ist es Opfer der eigenen Propaganda zu werden. Und das ist den Russen passiert. Sie glaubten, als Befreier empfangen zu werden, stattdessen werden sie als Eroberer gesehen".

Star-Politologe Ivan Krastev zu Gast in der ZIB2 bei Armin Wolf am 28. Februar 2022.
Star-Politologe Ivan Krastev zu Gast in der ZIB2 bei Armin Wolf am 28. Februar 2022.
Screenshot ORF

Putin habe sich in einem selbst verfassen Essay im Juli 2021 selbst als Wiedervereiniger Russlands dargestellt. Ihm schwebe eine gemeinsame Politik Russland mit der Ukraine an, welche er für sich wie die DDR zur BRD sieht. Doch diese Vision des Kreml-Chefs fährt gerade Vollgas gegen die Wand.

Denn Putin könne die Ukraine weder langfristig besetzen noch unterwerfen, oder gar annektieren. Hat er diesen Krieg deshalb schon verloren?

"Ja, in gewisser Weise glaubt Putin, die pro-westliche Orientierung gebe es nicht. Das sei zwar das Ziel der Elite, doch die Bevölkerung warte nur auf die russische Armee, um endlich wieder nach Hause, zu Russland, zurückkehren zu können. Putin liebt nicht den Krieg, aber er ist verliebt in seine eigene Sicht der Ukraine", analysiert der Experte.

Ausweg ohne Gesichtsverlust?

Die wirklich schwierige Frage sei nun, wie Russlands Präsident ohne Gesichtsverlust aus dem Debakel wieder herauskomme. Selbst wenn er seine Truppen aus der Ukraine abziehen sollte, wie weit würde er sie zurückziehen? Die Anerkennung der pro-russischen Republiken im Donbass könne er nicht einfach unter den Tisch kehren.

"Wir haben eine Atommacht, die sich selbst in die Ecke gedrängt hat. Und Putin will einen Sieg, den ihm weder die Ukraine noch der Westen zugestehen wollen."

Star-Politologe Ivan Krastev zu Gast in der ZIB2 bei Armin Wolf am 28. Februar 2022.
Star-Politologe Ivan Krastev zu Gast in der ZIB2 bei Armin Wolf am 28. Februar 2022.
Screenshot ORF

Es sei eine sehr gefährliche Situation, die an die letzten Tage des kalten Krieges erinnere. Die Sanktionen des Westens seien beispiellos scharf, so Krastev weiter. Putin könne diese so auslegen, dass damit ein Machtwechsel in Moskau erzwungen werden solle.

"Ich habe die Befürchtung, die Situation könnte außer Kontrolle laufen. Wir sollten uns aber auch vor Augen halten, das ist nicht ein Krieg Russlands, das ist Putins Krieg." Und: "Das ist nicht die Annexion der Krim. Die wurde in Russland als gerecht bejubelt, das ist jetzt anders." Der Druck von innen und außen,... "ich hoffe sehr, dass Putin einen Ausweg finden wird, ohne die totale Eskalation zu wählen."