Kampf um Fairness
"Amazon klagt Mitarbeiter" – jetzt spricht Betriebsrat
Recruiter haben Sebastian Nestorov zu Amazon Österreich geholt. Aus Enttäuschung hätte er fast gekündigt, dann gründete er aber einen Betriebsrat.
"Warum verlässt man so einen Arbeitgeber?", fragt Sebastian Nestorov. Der 30-jährige Informatiker war Ende 2021 von Recruitern des Amazon-Konzerns über die Social-Media-Plattform LinkedIn rekrutiert worden. Eigentlich wollte er ins Ausland gehen, dann aber kamen die Pandemie und das verlockende Angebot von Amazon Österreich.
Schnelle Ernüchterung
"Ich habe mich sehr gefreut", erzählt Nestorov, der sich gute Arbeitsbedingungen und einen spannenden Job ausmalte. Immerhin, hatte die Pandemie Amazon satte Gewinne gebracht. 2021, als Nestorov eingestellt wurde, lag der Konzern-Umsatz bei 51,3 Milliarden Euro – 17 Prozent mehr als noch 2020. Was für Nestorov wie ein Traum begann, endete mit Ernüchterung.
"Wir wurden nicht gesehen", sagt er und fügt an: "Während Amazon also Rekordgewinne gemacht hat und die Aktie ordentlich gestiegen ist, hat sich für uns nichts verändert." Langsam sei bei ihm Unmut aufgekommen. "Es gab zwar jährliche kollektivvertragliche Erhöhungen, gewinnbasierte Boni oder Prämien aber nicht." Und das, nachdem der Druck für das Schichtpersonal nicht gerade gesunken sei. Die Fluktuation an Mitarbeitern sei groß gewesen.
Mehr als die Hälfte mit unbefristetem Vertrag
Amazon-Sprecherin Fanziska Helmetsberger entgegnet, dass "deutlich mehr als die Hälfte der Amazon Mitarbeitenden in den Verteilzentren einen unbefristeten Vertrag" hätten. Amazon wolle ein zuverlässiger Arbeitgeber sein, Mitarbeitende halten und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Genaue Zahlen zur Personalfluktuation nennt sie nicht.
Amazon mache allen Mitarbeitern ein attraktives Angebot mit fairem Lohn, sagt Helmetsberger. Hinzu kämen Zusatzleistungen wie Versicherung, Altersvorsorge und ein respektvolles Miteinander. Sortiermitarbeiter in Österreich würden gemäß dem geltenden Kollektivvertrag für Speditions- und Lagereibetriebe entlohnt und nicht unter 14,05 Euro brutto pro Stunde verdienen. Leitende Angestellte würden zudem eine freiwillige Überbezahlung erhalten.
Nestorov, der ab Februar 2022 der Bereichsleiter der Nachtschicht im Verteilerzentrum Simmering war, sagt: "Da war kaum ein Gefühl von Wertschätzung." Kaum hätte man sich kennengelernt, da sei der eine oder andere Kollege auch schon wieder weg gewesen.
Hohe Fluktuation beim Personal
Das habe für ihn die Stimmung mehr und mehr auf den Boden gedrückt: "Da habe ich nicht mehr mitmachen wollen." Nestorov habe länger überlegt, was man zur Verbesserung der Zustände tun könne.
„Ich dachte, jetzt oder nie. Wir haben nur diese Chance.“
Im Frühjahr 2024 nahm Nestorov Kontakt zum Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) auf, wo er an die Angestellten-Gewerkschaft GPA verwiesen wurde. Dort erhielt er den Rat, einen Angestellten-Betriebsrat zu gründen, der künftig die Interessen aller angestellter Mitarbeiter vertreten könne. "Ich dachte, jetzt oder nie. Wir haben nur diese Chance", sagt er im Rückblick.
Die Kündigung lag im Raum
Nestorov, der zu diesem Zeitpunkt schon länger in der Nachtschicht tätig war, dachte daran zu kündigen: "Entweder schaffe ich es jetzt einen Betriebsrat zu gründen, oder ich gehe selbst." Es hätte aber auch passieren können, dass ihn das Unternehmen entlässt. Denn einen Betriebsrat zu gründen, sei alles andere als einfach, erklärt der 30-Jährige. Bei der Suche nach Mitstreitern könne man grundsätzlich jederzeit gekündigt werden. "Erst ab Kundmachung ist man vor einer Kündigung geschützt", erläutert Horst Pammer, Vorsitzender der Gewerkschaft vida in Niederösterreich.
Amazon-Sprecherin Helmetsberger entgegnet, dass es seit mehr als 20 Jahren Betriebsräte an verschiedenen Standorten gäbe und dem Konzern an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gelegen sei – dem widersprechen die jüngsten Ereignisse im kanadischen Quebec: Amazon verkündete, alle sieben Standorte zu schließen, nachdem sich die dortigen Bediensteten im Mai gewerkschaftlich organisiert hatten, schrieb die Nachrichtenagentur Reuters am 23. Jänner 2025.
Erster Betriebsrat in Österreich
In den sieben Jahren, seit Amazon in Österreich tätig ist, habe es hierzulande nie geklappt, dass sich Angestellte oder Arbeiter organisieren, sagt dazu Horst Pammer: "Sebastian Nestorov war der Erste, der das zusammengebracht hat." Am 10. April 2024 wurde die Amazon-Geschäftsführung mit der Kundmachung konfrontiert, am 22. Mai wurde gewählt und eine Woche später, am 29. Mai, konstituierte sich Amazons erster Betriebsrat. Dabei blieb es aber nicht.
„Ich habe das für ganz Österreich getan.“
Am 16. Dezember 2024 verkündete die Gewerkschaft, dass sich ein zweiter Betriebsrat, ein Betriebsrat der Arbeiter konstituiert hatte. Der mediale Aufruhr war groß – "Heute" berichtete.
Amazon klagte gegen Betriebsrat
Im Amazon-Verteilerzentrum Großebersdorf hatte sich ein Schichtarbeiter-Team rund um Jorge Plaut von Nestorov inspirieren lassen. Doch nur zwei Tage, nachdem die Gewerkschaft vida die Gründung eines Arbeiter-Betriebsrates verkündet hatte, klagte Amazon Österreich auf "Nichtigkeit". Man wolle sichergehen, dass die Wahl wirklich demokratisch abgelaufen sei, kommentierte das die Sprecherin des Online-Giganten. Das Bezirksgericht Korneuburg wird im März darüber entscheiden.
Im Interesse aller
Eigentlich hätte die konstruktive Zusammenarbeit zwischen seinem Betriebsrat und der Geschäftsleitung kontinuierlich zugenommen, sagt Sebastian Nestorov und ist überrascht: "Hier klagt Amazon gegen seine Mitarbeiter." Dabei habe es in der ersten Aussendung von Amazon Österreich geheißen, dass die Geschäftsführung die Gründung eines Betriebsrats der Arbeiter unterstütze. Nun gehe man gegen die eigene Belegschaft vor.
Nestorov glaubt nicht, dass eine Klage das Team um Plaut aufhalten kann. Und er freut sich, dass seine Initiative von den Arbeitern weitergetragen wird: "Ich habe das für ganz Österreich gemacht, für diejenigen, die jetzt bei Amazon arbeiten, und für die, die noch kommen."
Derzeit im Fokus der Userinnen und User von Heute.at im Ressort "Österreich" ist die aktuell meistgelesene Story "". Ist dir etwas aufgefallen oder hast du einen Input für uns, dann schreib uns ein Mail.
Auf den Punkt gebracht
- Sebastian Nestorov, ein von Amazon Österreich rekrutierter Informatiker, gründete aus Frust über die schlechten Arbeitsbedingungen Amazons ersten Betriebsrat.
- Trotz der anfänglichen Freude über seinen neuen Job, führte der Mangel an Wertschätzung und die hohen Arbeitsbelastungen dazu, dass Nestorov sich entschloss, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, was schließlich zur Gründung eines zweiten Betriebsrats führte, gegen den Amazon nun rechtlich vorgeht.