Rechtsextremismus-Barometer
36 % der Österreicher wollen keine Muslime als Nachbarn
Erstmals wurden rechtsextreme Einstellungen in Österreich genauer erhoben. Die Ergebnisse zu Zugewanderten und Verschwörungsmythen sind bedenklich.
Von Ende April bis Ende Mai wurde in Österreich erstmals die Verbreitung von rechtsextremen Einstellung genauer untersucht. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) hat dazu 2.198 Personen repräsentativ gewichtet und befragt, die Ergebnisse der Studie am Mittwoch präsentiert. Das gesellschaftlche Potential für Akteure, die autoritäre, rassistische, antisemitische und verwandte Einstellungen vertreten, ist demnach enorm.
Gleich eine Mehrheit der Befragten erachtet eine "umfassende Remigration", also zwangsweise Außerlandsbringung von Zugewanderten, für notwendig. Ebenso fühlt sich eine Mehrheit manchmal "fremd im eigenen Land" aufgrund der in Österreich lebenden Muslime (die eigentlich nur 8,3 Prozent ausmachen). Eine Mehrheit denkt auch, dass man "gefährliche Menschen" einsperren können solle, noch bevor sie Straftaten begangen haben.
Mehrheit für "Remigration"
Als Basis und Vergleichswert wurde zu Beginn jener Bevölkerungsanteil erhoben, der "ausgeprägt rechtsextreme Einstellungen" vertritt. Dazu wurde eine Skala mit sechs Statements gebildet, in denen es etwa um "unwertes Leben" oder Gleichberechtigung geht. Rund zehn Prozent stimmten mindestens vier der sechs radikaleren Items zu.
Kann jemand ein "guter Österreicher" werden, wenn man keine österreichischen Vorfahren hat? 16 Prozent sagen klar "Nein" oder "Eher nein". 32 Prozent finden, Österreich zu kritisieren sei ein weiteres No-Go.
Dass Zugewanderte gut für die Wirtschaft sind, finden nur 38 Prozent, 32 Prozent stimmen nicht oder eher nicht zu. Der Aussage, dass Muslimen die Zuwanderung untersagt werden soll, stimmen 29 Prozent voll und ganz oder eher zu. "Umfassende Remigration" wird nur von 27 Prozent abgelehnt, während sich exakt 50 Prozent dafür aussprechen.
Wen Österreicher gern als Nachbarn hätten
Gut veranschaulichend ist die Frage, welcher Personengruppe Österreicher gern nicht als Nachbarn hätten. 38 Prozent wollen nicht neben Roma und Sinti leben, 36 Prozent nicht neben Muslimen. Mit etwas Abstand folgen generell zugewanderte Personen (17 Prozent), Transgenderpersonen (16 Prozent), Juden (10 Prozent), Homosexuelle (acht Prozent) und Menschen anderer Hautfarbe (sieben Prozent). Fast doppelt so hoch sind diese Werte unter den Befragten mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen.
Im Themenkomplex Antisemitismus finden 23 Prozent den Einfluss der Juden zu groß, 42 Prozent finden Israels Politik in Palästina vergleichbar mit den Nazis im 2. Weltkrieg. Unter den Personen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen sind mit 52 und 60 Prozent sogar eine Mehrheit. Apropos Nationalsozialismus: Dass der NS auch "seine guten Seiten" hatte, finden zwölf bzw. 39 Prozent der Befragten.
Corona-Pandemie laut 29 % inszeniert
Sehr verbreitet ist die Anfälligkeit für Verschwörungsmythen. 51 Prozent denken, die Bevölkerung werde von den Medien systematisch belogen. 47 Prozent glauben, die österreichische Bevölkerung werde durch Zugewanderte ersetzt. 29 Prozent sind der Meinung, die Corona-Pandemie war nur inszeniert.
Positivere Erkenntnisse brachte die Haltung der Österreicher zur Demokratie zutage. Auch, wenn die Bevölkerung bei konkreten Polizeimaßnahmen (vor allem gegenüber potenziellen Straftätern) eine eher autoritäre Haltung vertritt, ist der Wert der Demokratie unbestritten, ein "starker Mann" an der Spitze von einer großen Mehrheit abgelehnt.
Zurück zu den Menschen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen, genauer deren parteipolitische Präferenzen. In der klassischen Sonntagsfrage würden 58 Prozent die FPÖ wählen, 17 Prozent die SPÖ, elf die ÖVP. Dahinter folgt die Bierpartei mit sechs, NEOS mit vier, Grüne mir drei und die KPÖ mit zwei Prozent.
Bedenklich, aber nicht alarmierend
Die Studienergebnisse seien laut den Autoren aber noch kein Grund für Alarmierung. "Auch wenn sich eine Gruppe von Menschen mit ausgeprägt rechtsextremen Einstellungen ausmachen lässt, so ist der überwiegende Teil der Befragten dennoch klar demokratisch gesinnt", heißt es in der Zusammenfassung.
"Doch sind manche Ergebnisse auch für die Gesamtbevölkerung durchaus demokratiepolitisch bedenklich, etwa wenn 29% der knapp 2.200 Befragten finden, Muslimen und Musliminnen sollte die Zuwanderung nach Österreich untersagt werden, 38% wollen nicht neben Rom*nja und Sinti*zze wohnen und 42% finden, dass Israels Politik in Palästina genauso schlimm sei wie die Politik der Nazis im Zweiten Weltkrieg, eine Aussage, die von Gerichten immerhin als Straftatbestand nach dem Verbotsgesetz ausgelegt werden könnte."
Letztlich zeigt sich also doch ein "gesellschaftlich nicht vernachlässigbares Bedürfnis nach Abwertung der "anderen", eine Verachtung von Minderheiten sowie eine mit einem zunehmenden Vertrauensverlust in demokratische Institutionen verbundene sozialpsychologische "Lust" an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Autoritarismus."
Details zum Rechtsextremismus-Barometer 2024
Leitung: Andreas Kranebitter, Johanna Willmann
Zeitraum der Erhebung: April und Mai 2024
Art der Erhebung: Online-Befragung (CAWI)
Stichprobe: 2.198 Befragte (repräsentativ für österreichische Wohnbevölkerung zwischen 16 und 75 Jahren)
Institut: marketagent.com online research GmbH
Begutachtung: Institutional Review Board der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität Wien
Wissenschaftlicher Beirat: Christian Fleck (Graz), Fiona Kalkstein (Leipzig), Reinhard Kreissl, Sylvia Kritzinger, Oliver Rathkolb und Christoph Reinprecht (Wien)
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Auf den Punkt gebracht
- Eine neue Studie des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) zeigt, dass rechtsextreme Einstellungen in Österreich weit verbreitet sind.
- Eine Mehrheit der Befragten befürwortet Maßnahmen wie "umfassende Remigration" und empfindet sich aufgrund der in Österreich lebenden Muslime manchmal "fremd im eigenen Land".